Wie dramatisch die Lage ist, zeigt der Textilmaschinenkonzern Rieter. Das Traditionsunternehmen aus Winterthur ZH musste bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr einen Stellenabbau ankündigen. Erst im Sommer gab Konzernchef Thomas Oetterli (54) den Abbau von 300 Stellen in der Verwaltung bekannt. Nur wenige Monate später kommen weitere 400 bis 600 Stellen hinzu, wie das Unternehmen am Freitag mitteilte. Diesmal werden vor allem Stellen in der Produktion abgebaut.
Seinen Einstieg bei Rieter hat sich Oetterli wohl anders vorgestellt. Er war zuvor CEO des Liftbauers Schindler, musste dort aber abrupt gehen. Nach einem kurzen Abstecher zum umstrittenen Immobilienfinancier Norbert Ketterer (57), der mit Nokera den Fussballklub FCZ sponsert, kam er im März zu Rieter. Der Abbau erfolgt in enger Absprache mit dem Verwaltungsrat. Dort hat Grossaktionär Peter Spuhler (64) das Sagen, der gut 33 Prozent am Industriekonzern hält.
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Rieter durchlebt einen Abschwung, wie ihn Unternehmen selten erleben. Die Firma, deren Wurzeln bis ins Jahr 1795 zurückreichen, macht den grössten Teil ihres Umsatzes mit Spinnmaschinen. Diese werden im Rahmen von Grossprojekten hergestellt, die Textilfabrikanten in Auftrag geben. Dieses Projektgeschäft unterliegt den Konjunkturzyklen besonders stark.
Halbierter Auftragseingang
Wie dramatisch die Entwicklung ist, zeigen die am Freitag veröffentlichten Zahlen. Der Umsatz in den ersten neun Monaten dieses Jahres betrug 1093 Millionen Franken. Der Auftragseingang lag im gleichen Zeitraum bei nur 452 Millionen. Man muss kein Hellseher sein, um zu erkennen, dass «die Umsätze in den kommenden Quartalen zwangsläufig deutlich tiefer ausfallen und die Gewinne entsprechend einbrechen werden», sagt Raiffeisen-Ökonom Matthias Geissbühler.
Rieter ist nicht die einzige Beteiligung von Peter Spuhler, die schwierige Zeiten durchmacht. Noch düsterer sieht es beim Stahlbauer Swiss Steel aus. Das Unternehmen steckt in existenziellen Schwierigkeiten. Der starke Franken und die steigenden Energiepreise graben tiefe Furchen in die Bilanz. Eine rasche Besserung ist nicht in Sicht.
Die Auftragsflaute zieht sich durch die ganze Branche. Auch Unternehmen wie der Innerschweizer Industriezulieferer Bossard, einst Liebling vieler Börsianer, gerieten unter die Räder und verloren nach schlechten Umsatzzahlen und einem verhaltenen Ausblick sechs Prozent an der Börse. Ganz schlimm erwischte es Comet aus dem Freiburger Sensebezirk, die am Mittwoch über zehn Prozent einbüsste, und Meier Tobler aus Schwerzenbach ZH, die sogar 20 Prozent verlor.
Manager verstehen die Welt nicht mehr
Schlecht läuft es auch für das Basler Chemie- und Pharma-Schwergewicht Lonza. Nach schwachen Quartalszahlen und einer erneuten Gewinnwarnung am Montag brach der Aktienkurs ein. Bis Freitag verloren die Titel über 20 Prozent. Ein Börsenwert von über zwei Milliarden Franken löste sich buchstäblich in Luft auf.
Lonza-Präsident Albert Baehny, der mit 71 Jahren interimistisch als CEO einspringen musste, ist von der heftigen Reaktion sichtlich überrumpelt. «Ich verstehe die Sorgen des Marktes nicht», sagte der erfolgsverwöhnte Manager in einem Interview mit der «Finanz und Wirtschaft». Das wegbrechende Geschäft mit den Corona-Impfstoffen verzeihen ihm die Anleger nicht.
Was sind die Hintergründe der Auftragsflaute? Für Ökonom Geissbühler zeigt die «massive Zinswende» der Notenbanken zunehmend Wirkung. Die Weltkonjunktur hat sich bereits deutlich abgeschwächt und dürfte in den kommenden Monaten weiter an Schwung verlieren. Insbesondere der Industriesektor befinde sich in einer schwierigen Lage.
Frühindikatoren wie der sogenannte Einkaufsmanagerindex für die Industrie deuten auf eine Rezession hin. Wichtige Handelspartner wie Deutschland befinden sich bereits in einer solchen. Für die stark exportorientierten Schweizer Industrieunternehmen kommt der starke Schweizer Franken als zusätzliche Belastung hinzu. Sein Kurs ist diese Woche auf ein neues Rekordtief von 95 Rappen pro Euro gerutscht.
Auslaufender Corona-Effekt
Bisher konnten viele Unternehmen noch von den vielen Bestellungen zehren, die die Auftragsbücher nach der Corona-Pandemie rasch füllten und aufgrund von Lieferengpässen nur verzögert abgebaut werden konnten. «Inzwischen hat sich das Bild aber stark verändert», sagt Geissbühler. Seit dem zweiten Quartal dieses Jahres sind die Auftragseingänge stark rückläufig, und eine baldige Trendwende ist nicht in Sicht.
All dies deute auf eine schwache Umsatzentwicklung in den kommenden Quartalen hin. «Dementsprechend sind wir weiterhin der Meinung, dass die Gewinnschätzungen für 2024 insgesamt zu hoch sind und eine Revision nach unten notwendig ist», sagt Geissbühler, der die Anlagestrategie bei Raiffeisen als Chief Investment Officer verantwortet. Der Gegenwind für Industrieaktien bleibe daher vorerst bestehen.
Dass der Wind rauer wird, ist vielen Industriellen bewusst. «Wer jetzt nicht mit einer gut gefüllten Auftrags-Pipeline in den Winter geht, wird es sehr schwer haben», sagt einer, der nicht zum ersten Mal einen Abschwung erlebt. Er ist sich sicher: Die Kurse werden noch weiter fallen, denn die Analysten haben den Einbruch der Auftragseingänge noch nicht ausreichend berücksichtigt.
* Wirtschaftsjournalist Beat Schmid war in seiner Karriere für mehrere grosse Medienhäuser tätig. Er schreibt im SonntagsBlick über Finanzthemen.