In einer kalten Dezembernacht steht ein Schweizer auf dem Balkon seines Hotelzimmers in St. Moritz GR. Aufgeregt unterhält er sich auf Englisch mit seiner Ehefrau – das Handy gen Himmel gerichtet. Die zwei sind sich sicher: Sie sind gerade Zeuge eines Ufos. Also filmt das Ehepaar den farbig blinkenden Punkt am Nachthimmel des Bündner Edel-Skiorts. Eine Drohne könne es nicht sein, dafür sei das unbekannte Flugobjekt zu weit oben und gebe zudem keine Geräusche von sich, urteilen die beiden.
Das Video der (vermeintlichen) Ufo-Sichtung lädt der Mann zusammen mit einer kurzen Beschreibung auf der App von Enigma Labs hoch. Als Dauer gibt er 20 Minuten an, die Objektform bezeichnet er als Flash – als helles Leuchten. Seine Frau ist als Zeugin aufgeführt.
Bereits über 15'000 Meldungen seit Herbst 2022
Enigma Labs sammelt solche Meldungen seit Herbst 2022 auf einer Webseite. Im Februar 2023 kam eine kostenlose App für iPhones hinzu. Das private US-Unternehmen baut so mittels Crowdfunding eine grosse Ufo-Datenbank auf. Mit der Sammlung will es die Sichtungen datenbasiert erforschen. Deshalb spricht die Firma auch nicht von Ufos, weil viele Menschen diesen Begriff sofort mit grünen Männchen oder Science-Fiction-Filmen in Verbindung bringen. Sie verwendet stattdessen die weniger negativ konnotierte Abkürzung UAP, die für unidentifizierte Luftphänomene steht.
Das US-Unternehmen bedient damit einen regelrechten Hype. Laut dem «Tagesanzeiger», der erfassten Sichtungen ausgewertet hat, sind seit Herbst 2022 über 15'000 Meldungen eingegangen – die überwiegende Mehrheit in den USA. Dort ist die Faszination über mysteriöse Sichtungen in der Luft besonders ausgeprägt. Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2021 glauben 41 Prozent der US-Bürger, dass ausserirdische Raumschiffe die Erde bereits besucht haben.
Den Ufo-Boom befeuerte damals das US-Verteidungsministerium. Das Pentagon veröffentlichte vor vier Jahren einen UAP-Bericht, der vor grosses Aufsehen sorgte. 50 Jahre lang hatte die Behörde zuvor zu unerklärlichen Luftphänomenen geschwiegen. Seither hat das Pentagon mehrfach betont, dass es keine Beweise für Alien-Besuche gebe – zuletzt Anfang Jahr.
Filme und Medien beeinflussen die Menschen
Auch hierzulande halten sich die «Believers» trotzdem hartnäckig. Also jene, die von einer Ufo-Sichtung überzeugt sind. Für die Schweiz weist die App zurzeit 18 Meldungen aus – über das ganze Land verteilt. Hinzu kommen rund 280 Einträge, die Enigma Labs aus historischen Quellen zusammengetragen hat.
Wie viel Wissenschaft hinter der Ufo-Datenbank steckt, ist fraglich. Die Historikerin Kate Dorsch von der Universität von Pennsylvania nannte die Daten gegenüber dem Magazin Wired «sozial konstruiert». Sprich: Die Menschen lassen sich von Filmen oder Nachrichten beeinflussen. Als die USA im Februar 2023 einen chinesischen Spionageballon im amerikanischen Luftraum abschossen, gab es unzählige Berichte über ausserirdische Flugobjekte in den sozialen Medien. Und auch in der Ufo-App stiegen die Meldungen sprunghaft an.
Enigma Labs will dem entgegenwirken, indem es jedem Eintrag einen Score zwischen 1 und 100 zuweist. Je wahrhafter die Meldung daherkommt, umso höher der Wert. Die schlechte Nachricht für den St. Moritzer Hotelgast: Seine Meldung hat bloss einen Score von 55. Dass er also tatsächlich ein Ufo entdeckt hat, ist ziemlich unwahrscheinlich.