Als Ex-Präsident Barack Obama im Mai dieses Jahres beim US-Entertainer James Corden sitzt, macht er Schlagzeilen. «Die Wahrheit ist, und ich meine das völlig ernst, dass es Aufnahmen von Objekten am Himmel gibt, von denen wir nicht genau wissen, was sie sind», sagt er bezüglich unerklärlicher Lichterscheinungen, die US-Piloten wiederholt am Himmel gesehen haben – etwa blinkende Lichter, die sich in einer Art und Weise und einer Geschwindigkeit bewegen, die sich die US-Behörden nicht erklären können.
«Stellen Sie sich Objekte vor, die eine Geschwindigkeit von 13'000 Kilometern pro Stunde erreichen, sich vor Radar verstecken können, sich durch Luft, Wasser und vielleicht das Weltall bewegen können, keine Flügel, Propeller oder keinen sonstigen erkennbaren Antrieb haben und anscheinend trotzdem die Gravitationskräfte der Erde ausser Gefecht setzen können», sagt Luis Elizondo im Mai dieses Jahres dem US-Newsportal NBC. Der Ex-Geheimdienstler war von 2007 bis 2012 Leiter des «Advanced Aerospace Threat Identification Program» («Fortgeschrittenes Identifikationsprogramm zur Identifizierung von Bedrohungen im Luftraum») im US-Verteidigungsministerium. Elizondo legte sein Amt 2017 nieder – weil er die Geheimhaltung von rund 120 Sichtungen an der Ostküste der USA nicht mehr mitmachen wollte, wie er sagt. Mit der ist es jetzt vorbei. In den nächsten Tagen legt das Pentagon dem US-Kongress einen Bericht über die unbekannten Flugobjekte vor.
US-Regierung so ungefähr: «Wir haben keinen blassen Schimmer»
Es gibt sie also doch: Aliens, denkt da so mancher. Doch zu den Wahrscheinlichkeiten ausserirdischer Besucher später mehr. Was in diesem Bericht steht, ist so oder so eine Sensation, ob wir nun ausserirdische Besucher haben oder nicht. Die US-Regierung gibt darin zwar an, keine Beweise für die Existenz von Ausserirdischen zu haben. Sie gibt aber öffentlich zu, ganz einfach keinen blassen Schimmer zu haben, worum es sich bei den mehrfach beobachteten Luftphänomenen handelt, die sich auf Wärmebildkameras, optisch von blossem Auge oder auf diversen Radargeräten zeigen.
Das ist an sich bereits höchst beunruhigend, wie Kevin Heng sagt. Der Professor für Astrophysik an der Universität Bern ist ein weltweit führender Experte für Exoplaneten – also Planeten ausserhalb unseres Sonnensystems – und Leiter des Center for Space and Habitability (ungefähr: Zentrum für Weltraum und Bewohnbarkeit) in Bern. Er geht grundsätzlich davon aus, dass Leben ausserhalb der Erde existieren muss: «Lange war es ein Stigma, die Frage nach ausserirdischem Leben überhaupt zu stellen. Heute beweist die Wissenschaft: Es ist höchst wahrscheinlich, dass nicht nur auf der Erde Leben entstehen kann.» Das sei nur eine Frage von statistischer Wahrscheinlichkeit: Es gibt allein in unserer Galaxie über 100 Milliarden Sterne, also Sonnen, um die wiederum mehrere Planeten kreisen, und es gibt Trillionen von Galaxien. Schier unvorstellbare Zahlen. Wir stehen zudem – auch dank Hengs interdisziplinärer Forschung – kurz davor, bei diversen Planeten erforschen zu können, wie ihre jeweilige Atmosphäre aussieht und ob Wasser vorhanden ist. Heng sagt deshalb: «Anzunehmen, wir seien allein im Universum, ist schlicht arrogant.»
Entweder handelt es sich um unbekannte Technologie unbekannter Staaten oder um Alien-Technologie
Er geht zwar nicht in erster Linie davon aus, dass es sich bei den unerklärlichen Phänomenen um Ufos handelt – ist aber trotzdem besorgt. «Dass die Amerikaner nicht wissen, worum es sich bei den Phänomenen handelt, und das sogar zugeben, lässt zwei Rückschlüsse zu: Entweder handelt es sich um Technologie eines anderen Staates, oder es handelt sich tatsächlich um Technologie von Aliens, was ebenfalls beunruhigend wäre», sagt Heng. Er hält den Besuch von Ausserirdischen aus diversen Gründen aber für unwahrscheinlich. Nur schon wegen der unfassbar grossen Distanzen, welche eine – auch technologisch fortgeschrittene – fremde Kultur überwinden müsste.
Was trotz der Möglichkeit von unbekannten Technologien unbekannter Staaten oder Lebensformen etwas beruhigend wirken könnte, ist zudem, dass der offizielle US-Bericht zu unerklärlichen Himmelsphänomenen nicht der erste ist. Er hat sehr, sehr alte Vorläufer, die 3500 Jahre zurückreichen – um so genau zu sein, wie das in solchen Zeitabschnitten möglich ist. Aus dem Jahr 1440 vor Christus soll der sogenannte Tulli Papyrus datieren, ein ägyptisches Schriftstück, von dem eine Abschrift in den 1950er-Jahren publik wurde. Die Schreiber des Pharaos Thutmose III sollen darin von «feurigen Scheiben» am Himmel berichten. Die Echtheit des Papyrus ist umstritten. Dennoch gibt es unzählige Dokumente über die Jahrhunderte, welche von unerklärlichen Himmelsphänomenen berichten – unter anderem eines aus Basel aus dem Jahr 1566. Schwarze Kugeln sollen da am Himmel gegeneinander gekämpft und schliesslich rot geglüht haben, bevor sie erloschen.
USA sammeln seit 1951 Daten
Im letzten und in diesem Jahrhundert häuften sich die Berichte von Sichtungen unbekannter Objekte am Himmel. Die US-Regierung beginnt bereits ab 1951 Daten zu sammeln – nachdem der US-Pilot und Geschäftsmann Kenneth Arnold im Juni 1947 öffentlichkeitswirksam angibt, über dem Mount Rainier im US-Bundesstaat Washington mehrere Flugobjekte gesehen zu haben.
Nur einen Monat später, im Juli 1947, stürzt ein Überwachungsballon für nukleare Tests über Roswell, New Mexico, ab. Ungeschickte Kommunikation seitens des US-Militärs führt dazu, dass in landesweiten Medien spekuliert wird, es habe sich um den Absturz eines Ufos gehandelt, was die US-Regierung zu vertuschen versuche. Bilder von langgliedrigen sogenannten Aliens kursieren – und es ist an dieser Stelle ein Blick in die Geisteswissenschaften interessant. Denn die Bilder von langgliedrigen Aliens mit grossen Köpfen, die schon ab den 1920er-Jahren – und wegen der oben beschriebenen Vorkommnisse verstärkt ab den 1950er-Jahren – kursieren, sehen nicht zufälligerweise so aus, wie sie aussehen.
Wie Aliens in unserer Vorstellung aussehen und welche Interessen sie verfolgen – das zeigt ziemlich genau auf, was in unserer Gesellschaft gerade läuft, sagt Philipp Theisohn. Der Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Zürich beschäftigt sich seit rund zehn Jahren mit Science-Fiction und Ausserirdischen in Literatur und Film, schreibt darüber aktuell ein Buch und hat 2015 im Literaturhaus Strauhof in Zürich die Ausstellung «Mars – Literatur im All» konzipiert.
Das Aussehen der Aliens – klein, feingliedrig, mit überdimensionierten Köpfen – ist gemäss Theisohn geschichtlich verankert: Im Jahr 1877 vermeint der Mailänder Astronom Giovanni Schiaparelli Kanäle auf dem Mars auszumachen – ein optischer Fehler, wie sich später herausstellt. Der Anblick befeuert aber die Fantasie, denn nur einige Jahre vorher, im Jahr 1869, wurde der Suez-Kanal eröffnet, das Resultat der grössten technischen Meisterleistung der Zeit. Die Entdeckung vermeintlicher riesiger Kanäle auf dem Mars legt deshalb den Schluss nahe: Auf dem Planeten existiert eine Zivilisation, die unsere noch übertrifft. Und weil sie also weiterentwickelt ist als wir, sind die Gehirne dieser «Marsmenschen» grösser, die Extremitäten jedoch eher verkümmert, da technischer Fortschritt keine körperliche Arbeit mehr verlangt – und schon sind wir beim Bild des grosshirnigen, feingliedrigen Aliens.
Science-Fiction gibt es seit ungefähr 400 Jahren
Diverse Verschwörungstheorien, ein ganzes Literaturgenre, unzählige Filme, TV-Serien und Computerspiele sind entstanden, seit Nikolaus Kopernikus 1543 bewiesen hat, dass sich nichts ausser dem Mond um die Erde dreht, und sicher nicht das ganze Universum. Sein Nachfolger Johannes Kepler, der die Gesetzmässigkeiten beschreibt, wie sich die Planeten unseres Sonnensystems um die Sonne bewegen, ist gemäss Theisohn übrigens wohl auch der erste Science-Fiction-Autor überhaupt: Er beschreibt 1608 in seinem Werk «Somnium» eine Zivilisation auf dem Mond.
Seither sind in Literatur und Filmen Ausserirdische auch eine Projektionsfläche, um unsere grössten Ängste und Sehnsüchte abzubilden, sagt Theisohn. «So bildet etwa die Mars-Reihe des US-Pulp-Fiction-Schriftstellers Edgar Rice Burroughs den ganzen Heroismus ab, der in den Materialschlachten des Ersten Weltkriegs verloren geht – einfach auf dem Mars.»
Doch warum beflügelt die Vorstellung von Ausserirdischen eigentlich unsere Fantasie derart, dass das Genre zum Spiegel unserer Gesellschaft wird? Nun, zum einen, und dafür muss man noch nicht einmal einen Psychologen bemühen, liegt die Neugierde und das Erforschen in der menschlichen Natur. Und natürlich rührt das Thema an einen Urkonflikt und eine Sinnfrage der Menschheit, sagt Theisohn: «Zum einen wünschen wir uns verzweifelt, nicht allein zu sein. Nicht inmitten unserer Mitmenschen, nicht auf dieser Welt, aber auch nicht im Universum. Zum anderen ist ein unbekanntes Gegenüber auch immer eine Bedrohung – ob das jetzt der andere Steinzeitstamm ist oder das Alien auf dem Nachbarplaneten.»
In unserer Popkultur schlägt sich dieses Spannungsfeld in so unterschiedlichen Filmen wie etwa «Alien» nieder, in dem wir einem unverständlichen, feindlichen Wesen gegenüberstehen. «Contact» mit Jodie Foster in der Hauptrolle ist das Gegenteil, da sehnt sich der Mensch nach friedlichem Kontakt und nach mehr Wissen, nach Antworten, und schickt deshalb elektromagnetische Informationen ins All.
Nachrichten ins All zu schicken, ist wohl nicht sehr klug
Wie wir das real auch tun. Ein 1984 gegründetes Institut namens SETI (Search for Extra-Terrestrial Intelligence) sendet regelmässig Signale an diverse Sterngruppen – und steht unter massiver Kritik, unter anderem seitens des 2018 verstorbenen Physikers Stephen Hawking. Er geht davon aus, dass wir uns potenziellen ausserirdischen Kulturen nicht bemerkbar machen sollten. Auch Heng stösst ins selbe Horn: «Unsere Gesellschaft ist erst seit hundert Jahren technologisch. Eine sehr kurze Zeit. Und wir haben bereits mit massiver Rohstoffknappheit zu kämpfen. Der Schluss liegt nahe, dass eine weiterentwickelte Kultur ebenfalls auf Rohstoffe angewiesen ist – und uns nicht unbedingt freundlich gegenübersteht.»
Er ist sich zudem sicher, dass wir solche Wesen nicht verstehen würden – und benutzt ein Bonmot des Physikers und Science-Fiction-Autors Arthur C. Clarke: «Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden.» Und Theissohn doppelt nach: «Wir verstehen uns schon untereinander oft nicht – da ist es eine Illusion zu erwarten, dass wir von einer anderen Spezies Antworten auf unsere Sinnfragen erhalten.»
Ein kleiner Trost für alle, die jetzt befürchten, die unerklärlichen Phänomene aus dem Pentagon-Bericht könnten bereits die Geister sein, die wir unbedacht gerufen haben: Können sie nicht. Die erste abgeschickte Nachricht erreicht erst 2022 ihr Ziel, und zwar den 12½ Lichtjahre von unserem Sonnensystem entfernten Teegardens Stern im Sternbild Widder.