Es ist 8.30 Uhr. In der Victorinox-Fabrik in Ibach SZ erheben sich die Produktionsmitarbeitenden von ihren Arbeitsplätzen. 5 Minuten machen sie Dehnübungen, atmen gemeinsam ein und aus oder massieren sich selber die Schultern. «Balance Time» heisst das Programm und findet beim traditionsreichen Schweizer Sackmesser-Hersteller seit über 20 Jahren zwei- bis dreimal täglich statt.
Nicht nur die Angestellten in der Fabrik machen mit, um ihre Hände von den immer gleichen Bewegungen zu entlasten. Auch das Büropersonal turnt, dehnt und entspannt mehrmals täglich für einige Minuten. Das Programm ist ein Erfolgsmodell. Nicht nur für die Angestellten, sondern vor allem auch für die Firma. «Die Ausfallstunden konnten mehr als halbiert werden», sagt dazu Robert Heinzer (64), Personalchef bei Victorinox.
Körperliche Reaktion schon nach wenigen Minuten
Mittlerweile kommt das Programm unter anderem auch bei der Südostbahn SOB, Siemens und der Confiserie Sprüngli zum Einsatz. Aber sind ein paar Minuten Dehnübungen und Achtsamkeit am Tag tatsächlich die Lösung für die chronisch gestresste Schweizer Arbeitsbevölkerung? Zumindest sind sie ein Teil der Lösung, sagt Priska Gauger-Schelbert (56), Expertin für betriebliche Gesundheitsförderung und Erfinderin der Balance Time bei Victorinox und Co. «Der kurze Wechsel vom ‹Machen› zum ‹Sein› sorgt dafür, dass mein Körper nicht mehr nur von Stresshormonen bestimmt wird.»
Mit ein paar Turnübungen am Tag ist es allerdings nicht getan. «Es geht ums Bewusstsein für die Selbstverantwortung», betont Gauger-Schelbert. «In Firmen, die ein solches Programm umsetzen, sind die Vorgesetzten tendenziell achtsamer: Wie viel lade ich den Leuten auf? Das ergibt eine Kettenreaktion.»
Turnübungen können auch kontraproduktiv sein
Wer sein Personal überlastet, kann auch mit Dehnübungen wenig gegen Ausfälle tun. «In diesem Fall können solche Massnahmen sogar negative Auswirkungen haben, weil die Unternehmensleitung die Glaubwürdigkeit verliert, die Probleme im Betrieb ernsthaft anzugehen», schreibt dazu die Suva.
Vielmehr müssten Firmen konkrete Massnahmen gegen die Überlastung treffen – etwa, mehr Personal einstellen. «Nichtsdestotrotz können Massnahmen auf Verhaltensebene ein Anfang dafür sein, sich als Betrieb aktiv mit der Gesundheit der Mitarbeitenden auseinanderzusetzen», so die Suva weiter.
In den Victorinox-Büros ist es mittlerweile 16.30 Uhr. Eine für die Balance Time geschulte Teamleiterin führt ihre Kolleginnen und Kollegen raus auf die Terrasse. Das Team richtet den Blick für ein paar Minuten bewusst in die Weite statt auf den Bildschirm.