Es ist ein Teufelskreis: Im Team fällt jemand aus, Diagnose Burnout. Die verbleibenden Teammitglieder müssen einspringen, schieben Überstunden – und rutschen im schlimmsten Fall selber ins Burnout. Mit diesem Problem kämpfen immer mehr Unternehmen in der Schweiz: Die Arbeitsausfälle aufgrund psychisch bedingter Erkrankungen haben im letzten Jahr um 20 Prozent zugenommen. Zu diesem Schluss kommt eine Studie des Versicherungskonzerns Axa. In Deutschland zeigte eine andere Erhebung jüngst sogar einen Anstieg um 85 Prozent bei den Ausfällen aufgrund seelischer Leiden.
Über 30 Prozent der Erwerbstätigen in der Schweiz fühlen sich emotional erschöpft. Simon Weder (35) von der Axa macht dafür auch den Arbeitskräftemangel mitverantwortlich: «Können offene Stellen in einem Unternehmen nicht besetzt werden, steigt der Druck auf bestehende Mitarbeitende stark. Die Folgen der Überlastung sind oft stressbedingte Arbeitsausfälle.»
Mehr als eine Viertelmillion Stellen sind in der Schweiz laut einer Auswertung des Personalunternehmens x28 aktuell unbesetzt. Bis 2030 werden aufgrund der demografischen Entwicklungen laut Prognosen 800'000 Arbeitskräfte fehlen.
Firmen betreiben Pflästerli-Politik
«Jede unfreiwillige Überstunde führt zu Absenzen», warnt die Arbeitspsychologin Hildegard Nibel (63). Die befragten KMU geben laut der Axa-Studie an, mit einer angenehmen Arbeitsatmosphäre, einer offenen Kommunikations- und Feedbackkultur sowie Massnahmen zur Verbesserung der Work-Life-Balance gegen Arbeitsausfälle aufgrund psychischer Erkrankungen vorzugehen.
Das sei höchstens Pflästerli-Politik, findet Nibel: «Man könnte psychische und körperliche Erkrankungen rechtzeitig erkennen, wenn man eine gute Absenzdatenanalyse machen würde.» Wenn ein Mitarbeiter mehr als fünfmal im Jahr ausfällt, müssen die Alarmglocken schrillen. «Wenn man dann nicht reagiert, fällt einem das irgendwann auf die Füsse.»
Hoch bezahlte Berater brauche es dafür nicht. Selbst Kleinunternehmen ohne professionelle HR-Abteilungen können mit betroffenen Mitarbeitenden nach Wegen suchen, um die Belastung zu senken und die Arbeitsfreude zu steigern. Etwa mithilfe eines Teilzeitpensums statt einer Vollzeitbeschäftigung. «Das wäre ein winziger Schritt, aber viele Unternehmen gehen ihn nicht», kritisiert Nibel. «Diese Arbeitgeber sind selber schuld, wenn sich die Arbeitsausfälle häufen.»
Personalmangel hat auch sein Gutes
Noch schlimmer kommt es, wenn Arbeitgeber sich als Opfer und die kranken Angestellten als Täter sehen. Statt bei Fehlern und Missgeschicken hinter ihren Mitarbeitenden zu stehen, setzen manche Firmen auf Überwachung ihres Personals und verbreiten ein Klima der Angst. «Es ist ja klar, dass man da psychisch krank wird», so Nibel.
Immerhin: Wenn jemand wegen einer psychischen Erkrankung vorübergehend ausfällt, hat er heute bessere Karten, seinen Job zu behalten. Aufgrund des Arbeitskräftemangels sind Unternehmen zurückhaltender geworden, angeschlagene Angestellte vor die Tür zu setzen.