Sind religiöse Chefs die besseren Arbeitgeber, Herr Elsener?
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Victorinox-Chef im Interview:Sind religiöse Chefs die besseren Arbeitgeber?

Victorinox-Chef Carl Elsener (62) über überraschende Pandemie-Folgen
«Es gibt Hamsterkäufe bei Sack- und Küchenmessern»

Carl Elsener führt in der vierten Generation die traditionsreiche Messerschmiede Victorinox. Im Gespräch verrät der Patron, warum ein harter Lockdown gut fürs Geschäft sein kann, ob christliche Chefs die besseren sind und wer Sackmesser hamstert.
Publiziert: 10.06.2021 um 06:39 Uhr
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Aktualisiert: 18.06.2021 um 16:24 Uhr
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Ein Mann und seine Mission: Mit diesem Smart kommt Victorinox-Patron Carl Elsener zum Interview.
Foto: Philippe Rossier
Interview: Christian Kolbe

Auch für den Chef ist alles noch ganz frisch: Carl Elsener (62) löst einen Werksalarm aus, als der Victorinox-Patron voller Stolz Blick exklusiv das neue Hochregallager zeigen will. Aus Sicherheitsgründen darf selbst der oberste Boss das Herzstück des Verteilzentrums in Seewen SZ nicht einfach so betreten, wie es ihm gerade passt. Denn niemand soll von umherflitzenden Gabelstaplern überrollt werden. Die autonomen Hightechgefährte tragen Namen wie Mythen, Hochstuckli oder Fronalpstock – eine Referenz an die Berge rund um die traditionsreiche Messerschmiede in der Innerschweiz.

Herr Elsener, Asiaten oder Araber müssen in der Pandemie zu Hause bleiben, verwaiste Souvenirshops in der Schweiz und rund um den Globus. Keine Touristen, kein Geschäft für Victorinox. Wie dramatisch ist der Einbruch?
Carl Elsener: Der Einbruch des internationalen Tourismus schmerzt uns sehr. Vor allem in der Schweiz, wo wir einen Fünftel unseres gesamten Umsatzes erzielen. Souvenirshops in Touristenhotspots wie Luzern oder Interlaken erzielen nur noch einen Bruchteil des Umsatzes im Vergleich zu Vor-Corona-Zeiten.

Ohne Touristen sind Ihre Sackmesser Ladenhüter?
Das Schweizer Sackmesser ist ein sehr beliebtes Mitbringsel. Auch viele Firmen hierzulande decken sich mit unseren Messern ein, bevor sie Kunden im Ausland besuchen. Keine Reisen – keine Sackmesser als Geschenk!

Die kaufkräftigen Fernreisenden werden wohl erst 2023 wieder losziehen. Was heisst das für Ihr Geschäft?
Wir stellen uns noch auf schwierige Monate ein. Corona erlebten wir wie eine Tsunami-Welle, die rund um den Globus rollt. Angefangen hat alles in Asien, während das Geschäft in Europa, USA oder Lateinamerika noch lief. Dann ist die Welle nach Europa hinübergeschwappt, später in die USA – und Südamerika hat immer noch bestellt, wie wenn es kein Corona gäbe. Während des ersten Lockdowns in Europa ist der Umsatz um 60 Prozent eingebrochen.

Und insgesamt?
Im letzten Jahr ist unser Umsatz um 30 Prozent eingebrochen. Hätten wir keine Reserven gehabt und nicht auf Kurzarbeit zurückgreifen können, dann wäre es wohl auch bei uns nicht ohne Entlassungen gegangen.

Heisst das, Victorinox hat im letzten Jahr einen Verlust eingefahren?
Ja, weltweit konsolidiert haben wir keinen Gewinn erwirtschaftet.

Carl Elsener – Patron der vierten Generation

Carl Elsener steht seit 2007 an der Spitze von Victorinox, ist Konzernchef und Verwaltungsratspräsident in Personalunion. Der Patron gehört zur vierten Generation und arbeitet seit über 40 Jahren für das von seinem Urgrossvater im Jahr 1884 gegründete Unternehmen. Elsener ist verheiratet und Vater dreier Kinder.

Zahlen gibt Victorinox mit Sitz in Ibach SZ als Familienunternehmen nur spärlich bekannt. 2020 erzielten die 2100 Mitarbeitenden einen Umsatz von rund 335 Millionen Franken. Das ist ein Drittel weniger als im Vorjahr, unterm Strich musste die Messerschmiede im Corona-Jahr einen Verlust verzeichnen.

Carl Elsener steht seit 2007 an der Spitze von Victorinox, ist Konzernchef und Verwaltungsratspräsident in Personalunion. Der Patron gehört zur vierten Generation und arbeitet seit über 40 Jahren für das von seinem Urgrossvater im Jahr 1884 gegründete Unternehmen. Elsener ist verheiratet und Vater dreier Kinder.

Zahlen gibt Victorinox mit Sitz in Ibach SZ als Familienunternehmen nur spärlich bekannt. 2020 erzielten die 2100 Mitarbeitenden einen Umsatz von rund 335 Millionen Franken. Das ist ein Drittel weniger als im Vorjahr, unterm Strich musste die Messerschmiede im Corona-Jahr einen Verlust verzeichnen.

Die Regierungen lockern, die Impfungen laufen, die Lust auf Reisen steigt. Wächst auch Ihr Geschäft?
Ja, das erste Quartal 2021 läuft einiges besser als erwartet. Gesamthaft liegen wir 25 Prozent über Vorjahr, wobei ja das erste Quartal 2020 auch noch kein schlechtes war. Besonders kräftig ist die Erholung mit je 30 Prozent in Asien und in der Region Europa, Mittlerer Osten und Afrika. In Südamerika liegt das Plus bei 17 Prozent, in Nordamerika bei 14 Prozent.

Was ist der Hauptgrund?
Bei vielen unserer Kunden kehrt das Grundvertrauen zurück, dass es bald wieder aufwärtsgeht. Deshalb beginnen Einkäufer nun zu hamstern – aus Angst, sie könnten den Aufschwung verpassen, weil sie nicht rechtzeitig bestellt haben. Das machen wir auch: Als wir bemerkt haben, es wird schwierig, Karton oder anderes Verpackungsmaterial zu beschaffen, haben wir sofort mehr bestellt. Lieferengpässe will niemand mehr erleben, deshalb gibt es rund um den Globus Hamsterkäufe.

Von Sackmessern – wirklich?
Ja, bei unseren Partnern gibt es bei den Sackmessern und Küchenmessern Hamsterkäufe!

Und das, obwohl nach wie vor noch niemand gross auf Reisen geht?
Den stärksten Einbruch sehen wir beim Reisegepäck. Auf der anderen Seite verkaufen sich Haushalts- und Berufsmesser auch während Corona ausgezeichnet. In einigen Märkten haben wir ein ausserordentlich starkes Wachstum im Küchenbereich gesehen. Wenn alle zu Hause essen und kochen müssen, dann steigt auch die Nachfrage nach guten und scharfen Messern.

Zum Beispiel?
Extrem war das in Australien, aber auch in einigen europäischen Ländern wie Frankreich oder Italien war das Wachstum enorm.

Je härter der Lockdown, desto besser …
… für den Absatz von Haushalts- und Berufsmessern von Victorinox, richtig!

Victorinox gehört dieses Jahr zu den Top-Arbeitgebern der Schweiz – was macht einen guten Chef aus?
Zum Beispiel ein langfristig denkendes Familienunternehmen, das Verantwortung für die Gesellschaft und Belegschaft übernimmt. Dies hat sicher auch mit unserer christlichen Werthaltung zu tun. Christliche Werte, das bedeutet Respekt, Vertrauen, Dankbarkeit. Das fördert ein positives Betriebsklima. Unserer Familie gibt der Glaube viel Kraft und Halt, gerade in dieser schwierigen Corona-Zeit. Victorinox existiert seit 1884, wir haben schon viele Krisen erlebt. Etwa die Terroranschläge von 9/11, als Sackmesser plötzlich als Waffe galten und der Umsatz fast über Nacht um 38 Prozent eingebrochen ist.

Sie sind also krisenerprobt?
Wir haben aus diesen schwierigen Zeiten gelernt, dass es enorm wichtig ist, in guten Zeiten Reserven zu bilden. Es ist das Ziel unserer Familie, wenn immer möglich Arbeitsplätze zu schaffen – und die auch in schwierigen Zeiten zu erhalten.

Sind religiöse Chefs bessere Arbeitgeber?
Gute Chefs setzen klare Ziele, sind Vorbild, führen respektvoll und schenken ihren Mitarbeitenden Vertrauen. Dabei kann eine christliche Wertehaltung helfen.

Dreimal pro Tag unterbrechen Ihre Angestellten für ein paar Minuten mit Fitnessübungen ihre Arbeit. Weshalb?
Wir haben in vielen Abteilungen, im Büro wie in der Produktion, gemerkt, dass repetitive Tätigkeiten zu Verspannungen führen oder Sehnenscheidenentzündungen auslösen können. Wir unterbrechen deshalb die Arbeit regelmässig, und ein darauf geschulter Mitarbeiter macht die Entspannungsübungen vor. Bei dieser «Balance Time» machen praktisch alle mit.

Da gibt es kein Murren?
Am Anfang hatten ältere Mitarbeitende Bedenken, sie haben sich geniert, Turnübungen vor allen zu machen. Doch dann ging mein damals 80-jähriger Vater durch den Betrieb, hat die Übungen mitgeturnt und alle animiert, mitzumachen. Dadurch haben sich die Ausfallzeiten um 40 Prozent verringert.

Weshalb hat Victorinox ein neues Verteilzentrum gebaut?
Wir hatten bisher 17 verschiedene Lagerstandorte, in der Schweiz und in Europa. Die Logistik war aufwendig, komplex und auch teuer. Pro Jahr sparen wir durch den Bau eines einzigen Verteilzentrums an die 3 Millionen Franken. Da lohnen sich die Gesamtinvestitionen von 50 Millionen Franken allemal. Das ist auch ein klares Bekenntnis zum Standort Schweiz. Wenn immer möglich haben wir beim Bau Schweizer Firmen berücksichtigt, sind dafür auch bereit, bis zu 25 Prozent höhere Preise zu bezahlen.

Wie viele Jobs sind so entstanden?
Wir beschäftigen im neuen Distributionszentrum 40 Mitarbeitende und können pro Jahr bis zu 40 Millionen Produkte in die ganze Welt versenden.

Der Bundesrat hat das Rahmenabkommen mit der EU versenkt. Hat das einen Einfluss auf das Geschäft von Victorinox?
Wir haben Vertrauen, dass der Bundesrat diese Frage ganzheitlich und im Interesse der Schweiz beurteilt und entschieden hat. Auf unser Geschäft hat dieser Entscheid bisher keine Auswirkungen. Längerfristige Konsequenzen lassen sich zum heutigen Zeitpunkt noch nicht abschätzen.

Welche Neuerungen hat Victorinox in der Pipeline?
Ein Brotmesser mit Damastklinge oder ein scharfes Tomatenmesser, das es nun auch als Klappmesser gibt. Taschenmesser mit Aluminiumschalen sind auch sehr beliebt. Bei den Uhren haben wir ein schlankes Damenmodell lanciert, und beim Reisegepäck haben wir in Rucksäcke investiert, denn in Zeiten von Corona ist Outdoor-Equipment sehr gefragt.

Gibt es weitere von der Pandemie inspirierte Produkte?
Die ganze Welt bestellt online, muss Pakete auspacken. Deshalb hat unser Team in China angeregt, eine Klinge zu entwickeln, die sich besonders für das Öffnen von Paketen eignet. Daran arbeiten wir nun. Das wird bald auf den Markt kommen – und vielleicht in einigen Sackmessern den Büchsenöffner ersetzen.

Die ganze Grossfamilie arbeitet im Betrieb – geht das gut?
Wir sind elf Geschwister, ich habe sieben Schwestern und drei Brüder, von den elf Kindern meines Vaters arbeiten acht im Betrieb in diversen Positionen. Ich bin Chef geworden, weil ich der Älteste war, der erste im Unternehmen und ich mich für alle Bereiche der Firma interessiert habe. Wir sind in der Victorinox aufgewachsen, unser Spielplatz war die Fabrik, wir haben Schlösser aus Verpackungskarton gebaut. (lacht)

Sie werden dieses Jahr 63 – Zeit, über die Nachfolge nachzudenken?
In der zehnköpfigen Geschäftsleitung sitzen fünf Familienmitglieder. Da gibt es einige, die sind an die zehn Jahre jünger als ich, die könnten in meine Fussstapfen treten, sollte mir etwas passieren. Wir sind heute die vierte Generation, aber auch die fünfte Generation ist bereits in der Firma vertreten.

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