In vielen Firmenzentralen und an den Konzernsitzen herrscht grosse Hektik. Es gilt, auf die täglich ändernden Herausforderungen wegen des Kriegs und der Sanktionen zu reagieren – erst recht bei Unternehmen, die mit Russland geschäften.
Nun droht den Firmen, die vorübergehend ihre Aktivitäten in Russland einstellen wollen, weiteres Ungemach: eine Verstaatlichung ihrer Betriebe und Produktionsstätten. Die russische Regierung werde ein entsprechendes Gesetz ausarbeiten, kündigte gestern der ehemalige Präsident Dmitri Medwedew (56) an.
Russen wollen westliche Firmen halten
Für Michael Kühn (43) ist das alles andere als eine leere Drohung. «Diese Ankündigung muss man sehr ernst nehmen», so der Osteuropaexperte bei der Exportförderin Switzerland Global Enterprise (SGE). Offen sei allerdings noch, wie die Drohung konkret umgesetzt werden könnte.
Aber das Ziel ist klar: «Es geht darum, die Abwanderung westlicher Firmen aus Russland zu verhindern», sagt Kühn.
Diese Drohung könnte eine ganze Reihe grosser Schweizer Firmen treffen, die bereits angekündigt haben, ihre Geschäfte einzustellen: etwa den Technologiekonzern ABB, den Spezialitätenchemiekonzern Clariant, der in Moskau unter anderem ein Verkaufsbüro und ein Labor betreibt, oder den Logistiker Kühne+Nagel.
Grosse Verunsicherung
Zum Thema äussern möchten sich diese und andere Unternehmen nicht – zu heikel, so der Tenor aus den Konzernzentralen. Es geht auch um die Reputation. Diese Sorge haben KMU nicht, sie stehen nicht so im Fokus der Öffentlichkeit. Trotzdem ist bei den kleineren Schweizer Unternehmen, die sich rat- und hilfesuchend an SGE wenden, die Verunsicherung gross.
Viele entscheiden sich dafür, trotz aller Probleme, vorerst in Russland zu bleiben: «Es geht darum, das Geschäft zu retten oder zumindest auf Sparflamme aufrechtzuerhalten», so Kühn. «In jedem Fall spielt die unternehmerische Verantwortung eine enorme Rolle, denn es geht um Mitarbeiter vor Ort und vertragliche Verpflichtungen gegenüber Kunden.»
Rückkehr wäre schwierig
Um zu zeigen, wie ernst es den Russen mit ihrer Drohung wirklich ist, kündigte Medwedew in seiner Funktion als Vizepräsident des russischen Sicherheitsrats zudem an: «Was auch immer die Gründe des Weggangs sind, so sollten die ausländischen Firmen verstehen, dass eine Rückkehr auf unseren Markt schon nicht mehr einfach sein wird.»
Eine Drohung, die wohl verstanden wird. Gerade für kleine Firmen steht viel auf dem Spiel, gibt es keine Chance, auf andere Märkte auszuweichen: «Schweizer KMU haben viel Zeit und Geld in den Aufbau des russischen Marktes investiert, das will man nicht leichtfertig aufgeben», sagt Osteuropaexperte Kühn.