Dieser Schlag aus den USA hat gesessen: Die Schweiz sei die «Gehilfin Putins». So stellt es die sogenannte Helsinki-Kommission dar, ein unabhängiges Gremium aus US-Parlamentariern, Behördenvertretern, Lobbyisten und Experten. «Die Schweiz ist seit langem als Zielland für Kriegsverbrecher und Kleptokraten bekannt, die dort ihre Beute verstecken», so die Kommission. Im aktuellen Kontext sei sie «ein führender Wegbereiter des russischen Diktators Wladimir Putin und seiner Kumpanen».
Putin und Co. würden mit Hilfe des Schweizer Finanzplatzes Milliarden verstecken. Die Schweizer Justiz sei von Russland korrumpiert worden, so die US-Kommission weiter. Schliesslich seien hierzulande gerade einmal 9 Milliarden Franken russische Gelder blockiert worden – obwohl die Bankiervereinigung bis zu 200 Milliarden Russen-Gelder auf Schweizer Konten vermutet.
Die Breitseite schlug hierzulande hohe Wellen. Schliesslich hatte auch der Schweizer Korruptionsexperte Mark Pieth (69) im öffentlichen Briefing der Helsinki-Kommission am Donnerstag scharf gegen Geldwäscherei-Schlupflöcher in der Schweiz geschossen. Er nannte die Schweiz in diesem Zusammenhang unter anderem «einen der grössten Offshore-Häfen weltweit».
Sanktionen verpuffen
Die Schweizer Banken fühlen sich zu Unrecht an den Pranger gestellt: «Die Schweizer Banken halten sich strikt an alle geltenden Gesetze und Massnahmen, einschliesslich der Sanktionen von schweizerischen, internationalen und supranationalen Gremien», schreibt die Bankiervereinigung auf Anfrage von Blick. Die Massnahmen gegen Geldwäscherei seien in den letzten Jahren «fortlaufend verschärft» worden.
Dass die Branche sich verteidigt, scheint logisch. Überraschender ist, dass ausgerechnet Korruptionsexperte Pieth ihr Recht gibt! «Die Helsinki-Kommission hat verschiedene Dinge miteinander vermischt», sagt er im Gespräch mit Blick. Pieth will sich denn auch nicht als Chefankläger gegen den Schweizer Bankenplatz verstanden wissen.
Fakt sei aber, dass die Russland-Sanktionen in der Schweiz verpuffen. Nicht, weil die Schweizer Banken skrupellos Geld von sanktionierten russischen Oligarchen annehmen. Sondern, weil sie vielfach gar nicht wissen, wer hinter einem Unternehmen, einer Immobilie oder einem Bankkonto steckt. «In der Schweiz hat sich eine ganze Industrie von Anwälten herausgebildet», erklärt Pieth. «Sie gründen für ihre Klienten Briefkastenfirmen, zum Beispiel auf den Virgin Islands. Dann eröffnen sie für diese Firmen Bankkonten, zum Beispiel in Zypern. Und am Ende verschiebt ein Treuhänder zwischen diesen Bankkonten Geld hin und her.»
Putin, Mafia, Terroristen
So lässt sich nicht nur das Vermögen russischer Oligarchen verschleiern, sondern auch Geld der Mafia oder von Terrororganisationen. Wem das Geld gehört, weiss nur der Schweizer Anwalt. «Er kann sich hinter dem Anwaltsgeheimnis verstecken, muss den Namen seines Klienten nicht preisgeben», kritisiert Pieth. Und das, obwohl der Anwalt in dieser Konstellation eigentlich als Financier agiert, nicht als Anwalt.
Die Schweiz habe es versäumt, das Geldwäschereigesetz auch auf die Anwälte auszuweiten. Eine entsprechende Revision wurde im März 2021 von der bürgerlichen Mehrheit im Parlament versenkt. Der SVP-Nationalrat Pirmin Schwander (60) argumentierte damals im Rat: «Bei der Bekämpfung der Geldwäscherei ist die Schweiz weltweit vorne.» Die scharfe Kritik aus den USA straft ihn nun Lügen.
Die Lobby der Anwälte habe ganz Arbeit geleistet, um die Verschärfung des Geldwäschereigesetzes zu verhindern, sagt Pieth kopfschüttelnd. «Wir können noch so schöne Sanktionslisten schreiben und dem Geld nachjagen. Wir werden es trotzdem nicht finden! Die Anwälte haben es zu geschickt versteckt.» Dass der Staat keine Handhabe gegen die Anwälte habe, ziehe nun den Ruf des gesamten Finanzplatzes in den Dreck, findet Pieth bedauernd.
Oligarchengelder als Altlasten
Dem pflichtet auch Bernhard Bauhofer (59) bei. Er ist Reputationsexperte, Unternehmensberater und Kenner des Schweizer Bankenplatzes. «Vor zehn Jahren wäre das vielleicht noch gerechtfertigt gewesen», findet er. Seither habe sich viel getan. «Die Finanzmarktaufsicht schaut mit Argusaugen hin. Die Banken sind extrem vorsichtig, von wem sie Geld annehmen.»
Trotzdem schliesst auch Bauhofer nicht aus, dass auf Schweizer Bankkonten noch Oligarchengelder liegen. «Altlasten, die wir noch aufarbeiten müssen.» Ihn macht skeptisch, dass die scharfe Kritik ausgerechnet aus den USA kommt. «Die sollten sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Die USA bieten selber vielfältige Möglichkeiten zur Geldwäscherei.»
Beide Experten, Pieth und Bauhofer, stellen auch die Absichten der Helsinki-Kommission in Frage. Als «Kronzeuge» sagte im öffentlichen Briefing am Donnerstag der US-Investor und Kreml-Kritiker Bill Browder (58) aus. Er führt einen persönlichen Rachefeldzug nicht nur gegen Putin, sondern auch gegen die Schweizer Bundesanwaltschaft. Es geht um den Tod von Browders Anwalt und Berater Sergei Magnitski (1972–2009) in russischer Haft. Magnitski sass hinter Gittern, weil er aufgedeckt haben soll, wie russische Beamte Staatsgelder veruntreuten. Es geht um über 200 Millionen Dollar – die auch in der Schweiz liegen sollen. Das Geld bleibt bis heute verschwunden. Dennoch stellte die Bundesanwaltschaft ihr Verfahren im Fall letztes Jahr ein. Das ist Browder bis heute ein Dorn im Auge.
Aber politische Absichten der Helsinki-Kommission hin oder her: Eine blütenweisse Weste hat die Schweiz punkto Geldwäscherei trotzdem nicht. «Dass die Schweiz das Geldwäschereigesetz letztes Jahr nicht auf die Anwälte ausgeweitet hat, ist schlicht peinlich. Das schleckt keine Geiss weg», sagt Pieth.
Immerhin: Im Ausland löste die Breitseite der Helsinki-Kommission gegen den Schweizer Finanzplatz wenig Echo aus. Einzig dem US-Onlinemagazin Bloomberg war der Fall eine kurze Meldung wert.