Was braucht ein Praktikant, um im Haifischbecken des Investment-Bankings, kurz IB, zu bestehen? Eine Zahnbürste – drei von drei Mahlzeiten werden täglich am Bürotisch eingenommen. Eine Ersatzkrawatte, um im Falle von Kaffeeflecken gerüstet zu sein. Und Vitamine, um die 15-Stunden-Tage gesund zu überstehen. Die Liste stammt von eFinancialCareers, der laut eigenen Aussagen weltweit führenden Webseite für die Vermittlung von Finanzjobs. Sie ist also durchaus ernst gemeint.
Im Zuge des Banken-Bebens rund um die Credit Suisse steht das Investment Banking im Fokus – schon wieder. Bereits in der globalen Finanzkrise 2008 kam dem IB besondere Bedeutung zu: Die US-Investmentbank Lehman Brothers war damals Konkurs gegangen und hatte die globale Bankenwelt mit in die Tiefe gerissen.
Hohe Gewinne – bei hohem Risiko
Zum Investment-Banking gehören Börsen- und Devisengeschäfte, die Beratung von Unternehmen bei Firmenübernahmen, Börsengänge, die Ausgabe von Wertpapieren oder der Handel mit hochkomplexen Finanzprodukten (etwa Derivaten). Dem gegenüber steht das «klassische» Bankgeschäft: Entgegennahme von Spargeldern, Vergabe von Hypotheken und Firmenkrediten, Vermögensverwaltung.
«Im Investment Banking winken hohe Gewinne – aber es lauern auch grosse Risiken», erklärt Andreas Ita (49). Er war über 20 Jahre bei der UBS tätig, davon 14 Jahre im Investment-Banking. Heute ist er Geschäftsführer von Orbit36, einer Strategieberatungsfirma, die Banken im Risikomanagement unterstützt.
Amerikanische Banker-Kultur
Das IB-Geschäft stammt aus den USA. «Ab den 90er- und Nullerjahren wollten auch die europäischen Banken in diesem globalen Geschäft mitmischen», erklärt Ita. Neben der CS stiegen auch die UBS und die Deutsche Bank gross ins Geschäft ein.
Mit der amerikanischen Konkurrenz mithalten konnten sie nie wirklich. Auch, weil die besten Leute an der Wall Street lieber bei Goldman Sachs oder Morgan Stanley arbeiteten als bei CS, UBS & Co.
«Das Umfeld ist extrem kompetitiv», beschreibt Ita das amerikanische Investment Banking. Die Boni liegen höher als in anderen Bankbereichen. «Es besteht die Gefahr, dass man die Investment Banker in guten Zeiten extrem gut bezahlt. Aber in schlechten Zeiten kann man die Löhne ja nicht einfach für alle auf 0 reduzieren.» Auch, weil einzelne Händler selbst in Verlustjahren grosse Gewinne einbringen. Sie will die Bank gerade in Krisenzeiten um keinen Preis verlieren.
«Wolf of Paradeplatz»?
Obwohl CS und UBS lange im amerikanischen IB-Geschäft tätig waren, schwappte die Kultur nie gänzlich auf den Paradeplatz über. Der «Wolf of Wall Street», im Hollywood-Streifen verkörpert durch Leonardo Di Caprio (48), blieb ein mehrheitlich amerikanisches Phänomen.
«Im Investment-Banking in der Schweiz arbeiten auch viele Leute, die sehr vernünftig geschäften», versichert Ita. Das liegt auch daran, dass hiesige Investmentbanker praktisch nur zwischen CS und UBS als Arbeitgebern wählen können. «Da hat man weniger Anreize, übermässige Risiken einzugehen und, wenn es schiefgeht, einfach den Job zu wechseln.»
Der kulturelle Graben führte aber dazu, dass es den europäischen Banken schwerfiel, ihr Personal an der Wall Street im Griff zu behalten. Das Archegos-Debakel etwa, das der CS 2021 einen Verlust von mehr als fünf Milliarden Franken einbrockte, entstand im IB an der Wall Street. Auch 2022 resultierte im IB der Credit Suisse ein Verlust von mehr als drei Milliarden.
Die CS wollte das IB-Geschäft herunterfahren und in die CS First Boston auslagern – so sahen es Präsident Axel Lehmann (64) und CEO Ulrich Körner (60) in der strategischen Neuausrichtung vor, die sie im Herbst vorgestellt hatten. «Aber am Ende lief der CS die Zeit davon», so Itas Urteil.
Die UBS war der CS um Jahre voraus: Sie begann bereits ab 2011, ihr Engagement im Investment Banking zurückzustufen. Allerdings nicht freiwillig, sondern aufgrund des öffentlichen Drucks nach der Staatsrettung in der Finanzkrise
Das Erbe von Brady Dougan
Die CS hingegen war mit einem blauen Auge durch die Finanzkrise gekommen und hatte weniger Grund, sich zu reformieren. Kommt hinzu, dass mit Brady Dougan (63) von 2007 bis 2015 ein US-Amerikaner und Investment Banker erster Güte auf dem CEO-Posten der Credit Suisse sass.
Das Scheitern der CS alleine auf die Investmentbanker zu schieben, griffe allerdings zu kurz: Greensill etwa, das zweite prominente Verlustgeschäft der CS in Milliardenhöhe, war im Asset Management angesiedelt, nicht im IB.
Das Fass zum Überlaufen brachte am Ende zudem keine erneute Verfehlung im Investment-Banking. Sondern der Konkurs der US-amerikanischen Silicon Valley Bank und der damit einhergehende Vertrauensverlust für die CS.