Herr Kaufmann, jeder fünfte Schweizer Haushalt heizt mit Gas. Rund 50 Prozent davon stammen aus Russland. Wir sitzen in der Falle, oder?
Ronny Kaufmann: Es ist schon seit Jahren klar, dass diese Abhängigkeit ein Problem ist. Das rächt sich jetzt. Wir müssen Gas aus anderen Ländern holen und fossiles durch erneuerbares Gas ersetzen, aber das wird nicht von heute auf morgen gelingen. So schnell kommen wir aus der fossilen Abhängigkeit nicht raus.
Nun will Wladimir Putin Gas nur noch gegen Rubel liefern. Was geschieht, wenn Europa darauf nicht eingeht und die russischen Lieferungen enden?
Ein abrupter Stopp würde zweifellos zu Verwerfungen führen, aber erst im kommenden Winter. Dann würden wohl auch viele Schweizer frieren. Deshalb hat Europa bereits reagiert und von den USA eine Zusicherung für die Lieferung von Flüssiggas erhalten. Das wird dafür sorgen, dass die Gasspeicher Anfang Winter zu 90 Prozent gefüllt sind. Nach meiner Ansicht ist die Gefahr einer Unterversorgung damit vorderhand gebannt.
In der Schweiz stehen 300'000 Gasheizungen. SP und Grüne wollen sie so schnell wie möglich ersetzen. Und die Hausbesitzer sehen es gleich: Wärmepumpen boomen.
Die Stossrichtung stimmt: Wir müssen weg von fossilem Gas. Aber mit einer reinen Elektrifizierung treiben wir den Teufel mit dem Beelzebub aus. Wärmepumpen brauchen Strom. Und genau davon haben wir im Winter ohnehin schon zu wenig. Den zusätzlichen Saft müssen wir uns dann aus Kohlekraftwerken in Deutschland oder Polen besorgen. Deshalb erachte ich eine einseitige Strategie, die nur auf Strom setzt, als wenig Erfolg versprechend. So machen wir aus einer Gaskrise einfach eine Stromkrise. Wir sollten auf fossiles Gas verzichten und selber viel mehr erneuerbare Gase in der Schweiz produzieren!
Die Schweiz als Gas-Nation?
Die Schweiz hat erst ein paar Dutzend Biogasanlagen, die ihr Gas ins Netz einspeisen. Das sind viel zu wenige. Doch nur Anlagen, die Strom herstellen, erhalten Fördergelder des Bundes. Das müssen wir dringend ändern.
Aber Schweizer Hofdünger kann russisches Gas kaum ersetzen …
Genau. Deshalb brauchen wir zusätzlich Power-to-Gas-Anlagen, die Strom in Gas umwandeln. Wir haben ja nur im Winter ein Stromproblem. Die Stromüberschüsse der Sommermonate müssen wir nutzen und Gas daraus machen. Da stehen wir ganz am Anfang. Im April startet die erste industrielle Power-to-Gas-Anlage der Swisspower-Allianz bei Limeco im zürcherischen Dietikon den Betrieb.
Damit lösen wir das aktuelle Versorgungsproblem nicht.
Das stimmt, aber wir sollten jetzt nicht auf voreilige Lösungen setzen, die uns am Ende zu teuer zu stehen kommen. Wir müssen auf erneuerbares Gas setzen und die Wärmenetze ausbauen. Da spielen die Städte und moderne Quartierlösungen eine zentrale Rolle. Über sie sprechen wir am nächsten Freitag am Stadtwerkekongress in Aarau.
Niemand hindert die Städte am Bau solcher Netze. Die Stadtwerke hätten auch schon längst in Biogasbetriebe und Power-to-Gas-Anlagen investieren können. Warum tun sie es nicht?
Weil sie alles selbst bezahlen müssen. Es gibt Subventionen für fast alle grünen Energien – aber weder für erneuerbares Gas noch für Wärmenetze. So sah das abgelehnte CO₂-Gesetz noch Investitionsbeiträge für Anlagen vor, die Biogas ins Netz einspeisen. In der revidierten Version sind sie verschwunden. Dafür müssen Power-to-Gas-Anlagen weiterhin Netzentgelt für den Strom bezahlen, den sie zu Gas umwandeln.
Warum importieren wir jetzt nicht einfach viel erneuerbares Gas aus dem Ausland?
Das müssen wir tatsächlich tun! Doch weltweit nimmt die Nachfrage zu. Das heisst, dass auch die Preise steigen. Hinzu kommt, dass beim Import per Pipeline auch auf erneuerbares Gas eine CO₂-Abgabe erhoben wird. Diese Abgabe ist ein weiterer Hemmschuh. Darum müssen wir jetzt vor allem die inländische Produktion ankurbeln. Das Geld ist ja vorhanden. SP und Grüne wollen mehr als drei Milliarden Franken für neue Wärmepumpen ausgeben. Damit könnten wir eine stattliche Anzahl Biogas- und Power-to-Gas-Anlagen errichten.