Es war ein Milliardenprojekt: Nord Stream 2. Die 1230 Kilometer lange Ostseepipeline von Russland nach Norddeutschland wurde vergangenes Jahr fertiggestellt. Seit Oktober ist sie sogar mit Gas gefüllt. Bloss: Seit etwa drei Wochen ist die Betreibergesellschaft, die Nord Stream 2 AG mit Sitz in Zug, de facto insolvent. Seit die Tochter des russischen Staatskonzerns Gazprom von den USA auf die Sanktionsliste gesetzt wurde, ist sie nicht mehr in der Lage, ihre Rechnungen zu bezahlen.
Das betrifft auch die Swisscom. Das Telekomunternehmen versorgte die Aktiengesellschaft in Zug mit Internet- und Festnetzanschlüssen und unterstützte sie bei der IT-Sicherheit. SonntagsBlick weiss: Bis zum 24. Februar stellte die Swisscom sogar ein IT-Support-Team. Am Tag des russischen Angriffs auf die Ukraine verliessen die Swisscom-Mitarbeiter das Gebäude jedoch Hals über Kopf; Website und E-Mail-Accounts sind abgeschaltet.
Die Swisscom weist auf Anfrage darauf hin, selbst Sanktionen zu riskieren, wenn man Sanktionen nicht durchsetze. Ein Sprecher betont: «Sofern Swisscom oder ihre Lieferanten aufgrund von Sanktionen ihre Leistungen einstellen müssen, nutzt Swisscom jedoch allfällige Übergangsfristen, um mit den jeweiligen Kunden einen möglichst geordneten Ausstieg zu gewährleisten.»
Dass die Betreibergesellschaft komplett lahmgelegt ist, bleibt nicht ohne Folgen für die Pipeline: Monitoring und Wartung sind nicht mehr sichergestellt. Sascha Müller-Kraenner (58), Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, sieht das mit Besorgnis: «Die aktuelle Situation rund um Nord Stream 2 ist problematisch und kann nicht ewig so bleiben.»
Ratlosigkeit herrscht
In Küstennähe ist das Wirtschaftsministerium des deutschen Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern für die Aufsicht über die Pipeline verantwortlich, im Rest der Ostsee das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH). Müller-Kraenner kritisiert, dass sich weder die eine noch die andere Behörde wirklich verantwortlich zeige. «Es hat sich offenbar niemand Gedanken darüber gemacht, was nun passieren soll.»
Eine Anfrage beim BSH bestätigt diesen Eindruck. Dort will sich niemand zu den Perspektiven der Pipeline äussern. Das Wirtschaftsministerium Mecklenburg-Vorpommern jedoch wehrt sich gegen den Vorwurf. Es bestünden «keine Bedenken hinsichtlich der Sicherheit und Integrität der gasgefüllten Leitungen». Auf die Frage zu den Perspektiven der Pipeline offenbart das Amt aber eine gewisse Ratlosigkeit. «Die Nutzungsdauer der Pipeline war für 50 Jahre geplant», so ein Sprecher. Ein Rückbau nach Ausserbetriebnahme wäre «nach den dann geltenden rechtlichen Regelungen vorzusehen» gewesen.
Für Müller-Kraenner ist klar, dass «früher oder später» ein Rückbau nötig wird, wie das in den Bestimmungen der Pipelinegenehmigung festgeschrieben sei. Laut Genehmigung sollte die Nord Stream 2 AG dafür aufkommen. Ist die Betreibergesellschaft insolvent, wäre Gazprom in der Pflicht. «Falls sich auch Gazprom weigert, für den Rückbau aufzukommen, müsste die Pipeline unter Zwangsverwaltung gestellt werden», so Müller-Kraenner.
Mit anderen Worten: Was mit Nord Stream 2 geschieht, ist völlig unklar – ebenso wie die Frage, ob die Swisscom je für ihre Leistungen bezahlt wird.