Die Credit Suisse trennt sich von CEO Thomas Gottstein (58). Sein Nachfolger Ulrich Körner (59) soll das taumelnde Geldhaus vom Investmentbanking befreien und die Vermögensverwaltung ausbauen.
Bloss: «Dieser Strategiewechsel wurde schon sehr oft angekündigt», sagt Vontobel-Analyst Andreas Venditti (49). «Passiert ist relativ wenig.»
Was jedoch schwerer wiegt: Ob Investmentbanking oder Vermögensverwaltung – es herrscht die gleiche Risikokultur. Sie treibt die CS-Banker mit exorbitanten Boni zu immer waghalsigeren Geschäften in den dunkelsten Ecken der Finanzwelt: Steuerbetrug, Korruption, Geldwäscherei, Spionage – die Bank lässt keinen Skandal aus.
Die Ära Rohner
Doch in den Leitlinien für die neue Körner-Strategie ist die Risikokultur kein Thema. Die sei «solide» und werde weiter «optimiert», schreibt die Credit Suisse. Dabei gäbe es für die Bank keinen besseren Zeitpunkt, sich diesem fundamentalen Problem zu stellen. Denn Thomas Gottstein ist der letzte einflussreiche Repräsentant der Ära Rohner.
Der Jurist Urs Rohner (62) wurde 2011 Präsident der Credit Suisse. Als die Bank 2014 in den USA wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung zu einer Milliarden-Busse verdonnert wurde, meinte Rohner: «Persönlich haben wir eine weisse Weste.» Diese Kultur der Verantwortungslosigkeit setzte sich in der CS-Chefetage fest, die Skandale häuften sich. Bisher hat die Bank Bussen in der Höhe von elf Milliarden Franken bezahlt. Nun stellt sie erneut eine Milliarde dafür zurück.
Urs Rohner nahm 2021 den Hut – Verantwortung übernahm er nie. Stattdessen kassierte er 42 Millionen Franken für seine Debakel-Dekade. «Was sich die Führungskräfte der Credit Suisse in den letzten Jahren geleistet haben, ist eine Frechheit», sagt FDP-Nationalrat und Unternehmer Matthias Jauslin (60). «Kein Firmenchef in der Industrie oder im Gewerbe würde sich solche Summen auszahlen. Diese kranke Bonuskultur ist auch ein Affront gegenüber den vielen Bankangestellten, die für einen normalen Lohn täglich gute Arbeit leisten.»
Aktionäre müssen handeln
Politisch in das Bonusgefüge einzugreifen, hält Jauslin aber für falsch: «Es ist Aufgabe der Aktionäre, dem Treiben ein Ende zu setzen.» Zu den grossen CS-Aktionären zählen allerdings Namen wie Harris Associates oder Blackrock. Selber Teil der Hochfinanz, stellen sie das Vergütungssystem wohl kaum infrage.
Seit Anfang 2022 hat sich die Credit Suisse von acht Geschäftsleitungsmitgliedern getrennt. Im April verabschiedete sich Roche-Chef und Rohner-Gefährte Severin Schwan (54) aus dem Verwaltungsrat. Sie treten alle mit einer weissen Weste ab – auch Gottstein, der sich zum Abschied sogar rühmt, das Risikomanagement gestärkt zu haben.
Die Wurzel des Übels
«Thomas Gottstein hat das Risikomanagement nicht verbessert», sagt Compliance-Expertin Monika Roth (71). «Er hat im Gegenteil alles schöngeredet.» Roth bezweifelt, dass mit neuen Köpfen alles besser wird. «Die Risikokultur ist die Wurzel der Probleme bei der Credit Suisse. Die beseitigt man nicht, indem man ein paar Äste abschneidet.» Nötig sei ein Wandel in der Führungsetage. «Doch Verwaltungsratspräsident Axel Lehmann und der neue CEO Ulrich Körner sind Technokraten. Sie unterschätzen die Bedeutung der Firmenkultur.»
Diese Kultur hat nicht nur Bussen zur Folge, sondern auch Milliardenverluste. Die Kosten der Investmentbank sind doppelt so hoch wie die Erträge. Aber auch die Ergebnisse der Vermögensverwaltung haben sich markant verschlechtert. «Die Zahlen sind erschreckend», sagt Analyst Andreas Venditti. «Die Credit Suisse dürfte sich aus weiteren Bereichen der Investmentbank zurückziehen, wobei eine Abwicklung komplex und teuer sein wird.»
«too big to fail»?
Noch skeptischer ist Compliance-Expertin Roth: «Die CS-Skandale sind ein Desaster für den Schweizer Finanzplatz. Es ist völlig unklar, ob die Bank sich wieder aufrichten kann.» Steht das Geldhaus vor dem Ende? «Leider ist heute sogar die Abwicklung ein realistisches Szenario», sagt Roth.
Aber ist die Bank nicht zu gross, um unterzugehen – «too big to fail»? Sie hat doch quasi eine Staatsgarantie! Grünen-Nationalrat Gerhard Andrey (46) winkt ab: «Die hat sie schon längst nicht mehr. Die Politik hat nach der Finanzkrise diverse Massnahmen getroffen, damit der Bund eben nicht mehr einspringen muss, wenn ein systemrelevantes Finanzinstitut ins Taumeln gerät.»
Nach der staatlichen Rettung der UBS im Jahr 2008 mussten die grossen Banken auf Geheiss des Bundes ihre Kapitalausstattung massiv verstärken. Und zwar nicht nur für den laufenden Betrieb, sondern auch für den Ernstfall. Hinzu kommen Tausende Seiten Katastrophenpläne – pro Bank. Reicht das alles nicht, wenn es ernst wird, ist der Ofen eben aus. Bern wird nicht intervenieren.
Die CS könnte fallen
Der Ernstfall ist bei der CS nicht mehr auszuschliessen, wenn sie ihren bonusgetriebenen Risikokurs weiterfährt. Gerhard Andrey hat im Nationalrat ein Postulat durchgebracht, das bis in die Reihen der FDP mitgetragen wird. Er will, dass Manager künftig persönlich haftbar gemacht werden können: «Es braucht eine Regulierung, die die Verantwortung der höchsten Kader stärker in den Fokus stellt.»
Und die Kunden? «Sie sind ja frei, zu einer massvolleren Bank zu wechseln», sagt Nationalrat Jauslin. Tatsächlich hat die CS im zweiten Jahresquartal 7,7 Milliarden Franken Kundengelder verloren.
Die Bank hat ein Vertrauensproblem. Sie kann noch so viele Milliarden von einer Division in die andere umschichten – sie rettet sich nur, wenn sie mit der Kultur der Rohner-Ära bricht.