Am Freitag, 1. Dezember, ist es wieder so weit. Dann wird das Bundesamt für Wohnungswesen (BWO) den neuen Referenzzins bekannt geben und damit wohl die zweite Erhöhung in diesem Jahr und überhaupt seit dessen Einführung 2008.
Der Zinsanstieg verteuert die Immobilienfinanzierung. Das bekommen früher oder später auch die Mieterinnen und Mieter zu spüren. Denn die Immobilienbesitzer dürfen die höheren Zinsen auf die Mieterschaft überwälzen, wenn der hypothekarische Referenzzins steigt. Umgekehrt kann die Mieterschaft eine Mietzinsreduktion einfordern, wenn der Referenzzins fällt.
Durchschnittszins ist gestiegen
Der Referenzzins stützt sich auf den hypothekarischen Durchschnittszinssatz der Banken und wird jeweils auf den nächsten Viertelprozentwert gerundet. Im September war der Durchschnittszins gemäss Erhebung der Nationalbank bei den Banken von 1,44 auf 1,59 Prozent gestiegen. Der Referenzzins blieb bei 1,5 Prozent. Erst wenn der Durchschnittszins wie nun erwartet über 1,625 anzieht, wird auf 1,75 gerundet.
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Ab dem zweiten Dezember wird demnach voraussichtlich ein Referenzzins von 1,75 Prozent gelten. Das heisst, alle Mieten, die auf einem Satz von 1,5 Prozent beruhen, können um 3 Prozent erhöht werden.
Wie viele Mietverhältnisse vom erneuten Zinsanstieg betroffen sind, kann nur geschätzt werden. Gemäss Raiffeisen hätten die Besitzerinnen bei rund zwei Dritteln aller vermieteten Wohnungen das Recht, die Mieten anzupassen.
Doch im Vergleich zu den Marktzinsen bewegt sich der hypothekarische Referenzzins nur sehr langsam. Denn er ist von seiner Bauweise her sehr träge.
Der Referenzzins reagiert verzögert
Innerhalb eines Jahres hat die Nationalbank den Leitzins von minus 0,75 auf 1,75 erhöht, dadurch sind die Marktzinsen generell gestiegen. Die höheren Zinsen gelten aber nur für neu abgeschlossene Hypotheken oder solche, die an den Geldmarktzins Saron gebunden sind.
Festhypotheken, die vor der Zinswende abgeschlossen wurden, sind vom Zinsanstieg nicht betroffen. Daher ist der Durchschnittszins auf alle ausstehenden Hypotheken seit 2021 nur 0,5 Prozentpunkte gestiegen, viel weniger als die Zinsen für neue Hypotheken.
Diese haben je nach Laufzeit zwischen 1,5 und 2 Prozentpunkte zugenommen: Für eine zehnjährige Festhypothek verlangen die Banken unterdessen etwa 3 Prozent. Im Tiefpunkt von 2020 waren Abschlüsse um die 1,25 Prozent die Regel. Saron-Hypotheken haben sich seit der Negativzinsphase im Schnitt von 1 auf 2,7 Prozent verteuert.
Die Trägheit bedeutet aber auch, dass der Durchschnittszins auf dem Hypothekenbestand und damit auch der Referenzzins länger hoch bleibt, selbst wenn die Zinsen wieder etwas sinken.
Allerdings können sich Mieterinnen und Mieter, die ein langes Mietverhältnis haben, nicht beklagen. Seit seiner Einführung 2008 ist der Referenzzins achtmal gesunken, was zu sinkenden Mieten geführt hat.
Dass jetzt der Referenzzins steigt, ist denn auch nicht der Hauptgrund für die hohen Mieten in der Schweiz und den zunehmenden Frust am Mietmarkt.
Zweigeteilter Wohnungsmarkt
Das Problem liegt tiefer. Genauer gesagt in einem Mietwohnungsmarkt, der zweigeteilt ist. Den grossen Teil des Marktes machen bestehende Mietverhältnisse aus. Diese Altmieter sind durch Regulierungen geschützt. Ihre Mieten dürfen nur in den seltensten Fällen angepasst werden. Und zwar dann, wenn die Teuerung steigt und der Referenzzinssatz angehoben wird. Da die Zinsen zwischen 1995 und 2022 kontinuierlich gefallen sind und es keine relevante Inflation gab – 2021 lag das Preisniveau in der Schweiz auf demjenigen von 2008 –, haben sich die Bestands- und die Neumieten weit voneinander entfernt.
Lachende Langzeitmietende
Wer schon lange in der gleichen Wohnung ist, hat gut lachen. Die ZKB hat nachgerechnet: Mieterinnen und Mieter im Kanton Zürich, die 2008 in eine Mietwohnung einzogen, konnten ihren Mietzins bis heute um 3,3 Prozent reduzieren. Aufgrund des stetig sinkenden Referenzzinssatzes. Zur gleichen Zeit sind die Angebotsmieten um einen Drittel gestiegen. Es ist ein riesiger Kontrast: auf der einen Seite die stark steigenden Preise von Angebotsmieten, auf der anderen die stetig gleichbleibenden oder gar sinkenden Bestandsmieten.
In Genf und Zürich ist die Differenz am grössten. Eine neu vermietete Dreizimmerwohnung kostet in Genf 53 Prozent mehr als eine Bestandswohnung. In Zürich liegt die Differenz bei 28 Prozent. Bestandsmieter sparen daher viel Geld. Der durchschnittliche Miethaushalt in Zürich spart jährlich über 5200 Franken Miete. Das ergibt eine Ersparnis von 1,1 Milliarden Franken jedes Jahr allein in der Stadt Zürich.
Lock-in-Effekt
Die Regulierung der Bestandsmieten hat zahlreiche Mieterinnen und Mieter viele Jahre lang vor steigenden Wohnkosten geschützt. Und hat Fehlanreize geschaffen. Wer in einer begehrten Bestandswohnung lebt, wird diese nicht so schnell verlassen, selbst wenn sie dem eigenen Bedarf nicht mehr entspricht, denn man müsste mit viel höheren Angebotsmieten leben.
So bleiben Senioren und Seniorinnen häufig in viel zu grossen Wohnungen, und Familien finden keine Wohnungen, die gross genug sind. Dieser «staatlich» geschaffene Anreiz zur langen Verweildauer in der gleichen Wohnung wird als Lock-in-Effekt bezeichnet. Er führt dazu, dass mit der Zeit die bezahlbaren Wohnungen nicht mehr von denjenigen Mietern und Mieterinnen bewohnt werden, die sie brauchen, sondern von jenen, die sich vor langer Zeit ein preisgünstiges Objekt sichern konnten.
Mehr Menschen auf weniger Fläche
Nicht zu vergessen das Bevölkerungswachstum. Seit dem Jahr 2000 ist die Bevölkerung in der Schweiz um 23 Prozent gewachsen. Im selben Zeitraum wuchs Deutschland um 2,7 Prozent, die EU um 4,6 und Österreich um 13,8 Prozent. Das Wachstum besteht zum überwiegenden Teil aus der Zuwanderung. Letztes Jahr wanderten per Saldo 80’000 Personen in die Schweiz ein, dieses Jahr dürften es noch mehr sein. Die Zahlen des Bundesamts für Statistik zeigen, dass 80 Prozent der Zugewanderten aus Europa stammen. Der Medianlohn der zugewanderten Kaderangestellten liegt bei 11'430 Franken, im Vergleich zu 10'350 Franken für Schweizer Kaderleute. Es kommt also eine zahlungskräftige, hoch qualifizierte Klientel in die Schweiz, die Wohnungen benötigt.
Und daran mangelt es immer mehr. 2023 sollen 42’000 Wohnungen fertiggestellt werden. In den Jahren 2015 bis 2018 waren es noch gut 54’000 Wohnungen jährlich. Einsprachen, Baulandhortung, kaum Neueinzonungen und höhere Baukosten erschweren das Bauen zunehmend. Hinzu kommt, dass der Flächenbedarf pro Kopf allgemein zugenommen hat. Mehr Menschen mit mehr Platzbedarf auf kleinerer Fläche ergeben nun mal höhere Preise. Das Dilemma soll nun durch Verdichtung gelöst werden. Eine Idee, die von den Parteien sämtlicher Couleur unterstützt wird. Nur sieht das bei den betroffenen Anwohnern und Anwohnerinnen anders aus. Einsprachen verzögern Bauprojekte oft jahrelang, ebenso langwierige Baubewilligungsprozesse, Heimat- und Lärmschutz.
Bauland wird gehortet
Gleichzeitig gibt es weitere Probleme. Die Hürden für die Einzonung von Bauland haben sich seit Inkrafttreten des revidierten Raumplanungsgesetzes erheblich erhöht. Temporär waren Einzonungen in verschiedenen Kantonen während Jahren gar nicht mehr möglich. Und die Anzahl der unüberbauten Bauzonen geht zurück.
Zudem wird Bauland gehortet. Dieses Phänomen basiert unter anderem auf den Regulierungen, die ein starkes Preiswachstum eigentlich verhindern wollten, wie die Credit Suisse kürzlich in einer Studie schrieb. Anfang der 1990er-Jahre wurde die Grundstückgewinnsteuer eingeführt, mit dem Ziel, den Handel auf dem Immobilienmarkt zu reduzieren, weil man der Überzeugung war, dass weniger Transaktionen das Preiswachstum begrenzen würden. Je kürzer die Haltedauer der Grundstücke ist, desto höher fällt die Gewinnsteuer aus. Seither sind die Preise dennoch ununterbrochen gestiegen. Gleichzeitig warten die Besitzerinnen und Besitzer von Grundstücken mit deren Entwicklung heute länger, da ihre Rendite nach Steuern dann höher liegt.
Instrumente wären vorhanden
Zwar könnten die Kantone Massnahmen zur Mobilisierung von Bauland vorsehen. Dazu gehören das Kaufrecht von Gemeinden (zum Beispiel BS, BL, GE, LU, SG) oder Rückzonungen (zum Beispiel LU, VD) bis hin zur Erhebung einer Lenkungsabgabe auf unüberbautes Bauland (zum Beispiel AG, BE). In vielen Kantonen stehen diese Instrumente den Gemeinden jedoch noch nicht lange zur Verfügung. Zudem müssten sie von den Gemeinden konsequent angewendet werden.
Es zeichnet sich also keine baldige Entspannung am Mietmarkt ab. Referenzzins hin oder her.