Die Wall Street hat 2020 eine wahre Achterbahnfahrt hingelegt. Anfang März fielen die Aktienkurse zu Beginn der Corona-Pandemie in den Keller. Ein Minus-Rekord nach dem anderen wurde gebrochen. Das erste Quartal war letztlich das schlechteste in der Geschichte der New Yorker Börse.
Seit Anfang April haben sich die Märkte wieder gefangen und in den letzten Monaten gar eine regelrechte Aufholjagd gestartet. Der US-Leitindex Dow Jones steht bereits wieder bei über 27'200 Punkten – vor zweieinhalb Monaten war er noch bei rund 18'500 Punkten. Und auch der Schweizer Aktienindex SMI hat vergangene Woche die Schallmauer von 10'000 Punkten wieder durchbrochen, nachdem er im März auf bis auf knapp 7600 Punkte gefallen war.
Der Aufschwung aber kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Corona-Krise einige bekannte Opfer gefordert hat. Darunter der renommierte US-Autovermieter Hertz, das Öl-Unternehmen Chesapeake oder die Fluglinien Norwegian Air Shuttle und Latam. Sie alle haben bereits Insolvenz angemeldet oder angekündigt, den Insolvenzantrag einzureichen. An der Wall Street aber scheint das niemanden zu kümmern, im Gegenteil: Die Aktienkurse der Bankrott-Unternehmen sind in der vergangenen Woche explodiert!
Plus 644 Prozent für Pleite-Firma – wie kann das sein?
Der Aktienpreis von Hertz ist nach der Insolvenz-Ankündigung Mitte Mai zuerst von rund 3 Dollar auf 85 Cent abgesackt. Doch in den letzten sieben Tage legte der US-Autovermieter ein Comeback hin, das seinesgleichen sucht: Plus 644 Prozent! Plötzlich wurde die Hertz-Aktie am Montagnachmittag an der Wall Street wieder für 5.53 Dollar gehandelt.
Das gleiche Phänomen konnte man in der vergangenen Woche bei anderen Pleite-Firmen beobachten, darunter Chesapeake und Latam. Ihr Aktienkurs legte um jeweils 545 Prozent respektive 292 Prozent zu. Da stellt sich die Frage: Wie kann das nur sein?
Es kommt auch auf den Insolvenzantrag an
So richtig erklären können das Phänomen auch die Experten nicht. Klar ist: Insolvenz bedeutet nicht automatisch, dass es die Firma nicht mehr geben wird. Nach amerikanischem Recht gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie es für ein betroffenes Unternehmen weitergeht. Die zwei Wichtigsten:
- Insolvenz nach Chapter 7: Das Worst-Case-Szenario für die Aktionäre. Sie müssen in diesem Fall mit einem Totalverlust rechnen. Die Geschäfte der betroffenen Firma werden eingestellt und der Insolvenzverwalter verkauft, was sich noch an den Mann bringen lässt. Da oft nicht genug Geld vorhanden ist, um die Schulden zu tilgen, bleibt für die Aktionäre nichts mehr übrig.
- Insolvenz nach Chapter 11: Die beste von den schlechten Lösungen aus Sicht der Aktionäre. Hier ist das Ziel des Insolvenzantrags die Sanierung des Unternehmens. Die Voraussetzung dafür: Die Firma muss in der Lage sein, ohne seine Schuldenlast theoretisch Gewinn zu erwirtschaften. Ist auch noch Liquidität vorhanden, steht einem Comeback theoretisch fast nichts mehr im Wege. Bedeutet: Die Aktionäre können hoffen, dass ihr Papier dereinst wieder an Wert gewinnt.
Ein Grund für den explosiven Wertanstieg der Bankrott-Firmen Latam Airlines und Chesapeake sind Gerüchte, dass diese Unternehmen Insolvenz nach Chapter 11 beantragen werden. Autovermieter Hertz hat bereits Ende Mai mitgeteilt, dass man sich auf Chapter 11 berufen wird.
Der Laien-Investor übernimmt die Börse
Experten erklären das Phänomen aber auch mit dem Laien-Investor. Während der Corona-Pandemie und den weltweit sinkenden Aktienkursen haben kostenlose Investment-Plattformen wie Robin Hood in Amerika oder Swissquote in der Schweiz Millionen respektive Zehntausende Neukunden verzeichnet. Die scheinbar historische Chance auf Gewinne an der Börse wollte sich niemand entgehen lassen.
Erwiesenermassen springt dem Laien-Investor ein tiefer Aktienkurs immer zuerst ins Auge. Eigentlich ein Trugschluss, denn eine Beteiligung an einer günstigen Firma ist – in der Regel – nicht erfolgversprechender. Doch wenn genügend Käufer daran glauben und zugreifen, steigt in der Folge der Aktienkurs. Und wenn der Glaube über Tage hält, kann es zu solch astronomischen Kursgewinnen kommen.
Ein guter Indikator für diese These ist das Aktienvolumen – es war bei den Bankrott-Firmen in den letzten Tagen besonders hoch.