So ist der Lindt-Chef vernetzt
Ernst Tanner war der erste Grossinvestor bei René Benko

Er war der erste prominente Schweizer Grossinvestor bei René Benko. Egal wie das Drama um Signa ausgeht: Für den Lindt-Chef hat sich der Deal gelohnt.
Publiziert: 26.11.2023 um 19:13 Uhr
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Aktualisiert: 26.11.2023 um 19:16 Uhr
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Der Einstieg von Lindt-Chef Ernst Tanner bei Signa im Jahr 2013 hatte Signalwirkung.
Foto: EQ Images
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Marc Kowalsky
Bilanz

Sein Einstieg 2013 hatte Signalwirkung: Mit seinem Investment in das Immobilienreich von René Benko (46) verlieh Lindt-Chef Ernst Tanner (77) dem schon damals umstrittenen österreichischen Unternehmer hierzulande die nötige Glaubwürdigkeit. «Ich habe bei Lindt ein akribisches Reporting eingeführt. Diesen hohen Anspruch habe ich auch bei Signa», sagte Tanner damals. Er konnte nicht ahnen, dass Benko im Lauf der Jahre ein komplett undurchsichtiges Beteiligungskonstrukt aufbauen sollte, bei dem nur noch er und Finanzchef Manuel Pirolt den Durchblick haben – wenn überhaupt. «Die Transparenz war gegeben, solange Signa nur im Immobilienbereich tätig war. Als Retail dazukam, hatte ich keine Transparenz mehr», sagt Tanner heute.

Die Diversifikation ins Handelsgeschäft (unter anderem die Globus-Kaufhäuser, Selfridges oder das KaDeWe) war für Tanner ein Fehler: «Ich glaube, dass Signa heute noch gut dastehen würde, wenn sich das Unternehmen auf Immobilien konzentriert hätte.» So aber braucht Signa Geld, viel Geld: Von einer halben Milliarde bis Jahresende ist die Rede, von zusätzlichen 400 bis 600 Millionen bis April und von weiteren Hunderten Millionen danach. Ob die Firma die nächsten Monate überlebt: höchst ungewiss.

Die Mitstreiter

Offiziell ist Ernst Tanner nur noch Executive Chairman bei Lindt, de facto bleibt er Alleinherrscher. Schliesslich ist er auch Vorsteher der Pensionskasse, die wiederum der grösste Aktionär von Lindt ist, er ist der grösste Privataktionär, und er präsidiert die Lindt Chocolate Competence Foundation, welche das Schokoladenmuseum am Hauptsitz in Kilchberg betreibt. Um das Tagesgeschäft bei Lindt kümmert sich, soweit ihn Tanner lässt, Adalbert Lechner, dessen Vorgänger Dieter Weisskopf sitzt inzwischen im VR. Dort amtet auch Luxusunternehmer Silvio Denz. Als erster und einziger globaler Markenbotschafter bleibt Roger Federer auch nach seinem Rücktritt für Lindt aktiv, mit ihm und seiner Frau Mirka haben die Tanners auch privat Umgang. Zum Freundeskreis gehören zudem Ex-Roche-Präsident Franz Humer und Unternehmer Philippe Gaydoul.

Adalbert Lechner kümmert sich bei Lindt um das Tagesgeschäft.
Foto: PD

Die Gegenspieler

Tanners Machtballung sorgt regelmässig für Kritik, besonders von der Aktionärsvereinigung Ethos unter Vincent Kaufmann. Mit Haribo unter Hans Guido Riegel stritt sich Tanner jahrelang um den Goldbären, mit Lidl Schweiz unter dem damaligen Chef Torsten Friedrich um den Goldhasen – beide Fälle konnte er für sich entscheiden. Auf dem zersplitterten Markt für Edelschokolade kann Lindt keiner das Wasser reichen. Lediglich Ferrero unter Lapo Civiletti und Nestlé-Tochter Cailler unter Corinne Gabler sind erwähnenswert.

Die Familie

Ernst Tanner, Bauernsohn aus dem Schaffhausischen, ist seit 52 Jahren verheiratet mit Renate, einer studierten Innenarchitektin. Sohn Derek arbeitete mehrere Jahre ebenfalls bei Lindt & Sprüngli, etwa als Leiter des japanischen Marktes sowie der weltweiten Lindt-Shops. Inzwischen hat er sich selbstständig gemacht und verwaltet die familieneigenen Beteiligungen: etwa die Messerschmiede La Forge de Laguiole, die er auch operativ leitet und die zu 100 Prozent im Familienbesitz ist, die Anteile an der B2B-Bestellplattform Orderfox und neu am Big-Data-Analysten Genie KI. Domiziliert ist das Family Office in der Villa Windegg im Zürcher Seefeld, welche die Tanners 2015 gekauft haben.

Die Karriere

Ernst Tanner absolvierte das KV, ein Studium an einer Business School in London, dann heuerte er beim US-Konsumgüterriesen Johnson & Johnson (J&J) an. Der schickte ihn an die University of North Carolina und nach Harvard. Bei J&J legte Tanner eine Blitzkarriere hin: Mit 36 leitete er in den USA eine Tochtergesellschaft mit 800 Mitarbeitern, später wurde er Europa-Chef. Nach 25 Jahren Karriere musste sich Tanner 1993 entscheiden: warten, ob er dort CEO wird (die Chancen, sagt er selbst, wären wohl gut gewesen) – oder in die Schweiz zurückkehren und die serbelnde Lindt & Sprüngli übernehmen. Er entschied sich für Letzteres und machte den Edelschokoladenhersteller zum hochprofitablen Weltkonzern. Das lohnte sich auch für ihn selbst: Jedes Jahr bekommt Tanner hundert Aktien, derzeit sind diese mit knapp 11 Millionen bewertet. Insgesamt über 400 Millionen Franken sind seine Anteile inzwischen wert. Seit 1291, pardon, 1995 ist Tanner VR der von Nick und Nayla Hayek geleiteten Swatch Group, seit 2011 deren Vizepräsident. Von 1999 bis 2004 diente er im Board von Adecco, wo er unter anderem auf Unternehmer Andreas Jacobs und auf Multi-VR Andreas Schmid traf, von 1998 bis 2010 bei der Credit Suisse. Seither ist Tanner befreundet mit dem langjährigen CS-Präsidenten Urs Rohner.

Ernst Tanner ist VR-Vizepräsident bei der von Nick Hayek geleiteten Swatch Group.
Foto: Keystone

Die Benko-Connection

Ernst Tanner lernte René Benko über gemeinsame Freunde kennen, zu denen die heuer verstorbene Sängerin Tina Turner zählte sowie Harti Weirather, einstiger österreichischer Ski-Abfahrtsweltmeister und Investor bei Benko. Tanner kaufte 2013 vier Prozent der Signa Prime Selection, in der die besten Bestandesimmobilien liegen. 2015 gab Tanner die Aktien zurück und kaufte stattdessen zehn Prozent der Muttergesellschaft Signa Holding für 90 bis 100 Millionen. Weil er bei zwei massiven Kapitalerhöhungen (Gesamtumfang: 1,2 Milliarden Euro) nicht voll mitzog, sondern nur einen höheren zweistelligen Millionenbetrag nachschoss, reduzierte sich sein Anteil in den Jahren danach auf sieben Prozent. 2021 verkaufte er vier Prozent für 300 Millionen Franken. Seinen Einsatz hat Tanner damit mehr als wieder eingespielt. Hinzu kommt das, was von der Holding an Wert noch übrig bleibt, wenn sich der Nebel lichtet. Vor der Krise waren das 200 Millionen Franken. Anders als andere Investoren wie Beraterlegende Roland Berger oder Kühne+Nagel-Grossaktionär Klaus-Michael Kühne hat Tanner keine Put-Klausel in seinen Verträgen. Abschreiben muss er jene rund 0,8 Prozent, die er an der Onlinetochter Signa Sports United hielt: Diese meldete Ende Oktober Insolvenz an, als eine vertraglich zugesagte Geldspritze der Signa Holding über 150 Millionen ausblieb.

Gemeinsame Freunde führten René Benko und Ernst Tanner zusammen.
Foto: AFP

Andere Schweizer folgten Tanners Investment: Rudolf Bär von der gleichnamigen Bankendynastie etwa oder Handykönig Hans-Ulrich Lehmann, der frühere Besitzer des EHC Kloten. Er kaufte Benko privat eine Villa am Gardasee ab sowie zwei Prozent an der Signa Prime, hat diesen Anteil jedoch vor zwei Jahren wieder verkauft. Arthur Eugster, Besitzer des Kaffeemaschinenherstellers Eugster/Frismag, hält noch 11,5 Prozent an der Holding. Tanner nahm auch Einsitz im Signa-Beirat, aus dem Benko kürzlich auf Druck der Investoren austreten musste. Dort trifft der Lindt-Chef auf den ehemaligen österreichischen Bundeskanzler Alfred Gusenbauer, Ex-Vizekanzlerin Susanne Riess-Hahn und auf Roland Berger. Zeitweise Mitglied waren auch Walid Chammah, früherer Chairman von Morgan Stanley, sowie Edi Leemann, früher Chef der Falcon Bank, ebenso wie Ex-Porsche-Chef Wendelin Wiedeking, bis dieser sich 2017 mit Benko verkrachte. Nun wird der Beirat von Sanierer Arndt Geiwitz geführt, der bis Anfang Dezember die Lage analysieren soll. Allerdings hat der Beirat keine formelle Kompetenz. Weil Benko weiterhin die Stimmenmehrheit hält, ist seine Macht ungebrochen. Dieter Berninghaus, Chef von Signa Retail, sitzt unter Tanner im VR von Lindts Schokoladenmuseum (lässt allerdings seit Mai aus gesundheitlichen Gründen alle Ämter ruhen). Tanners Frau Renate ist Götti seiner Zwillinge. So schliesst sich der Kreis.

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