SNB-Rekordverlust von 100 Milliarden Franken
Jetzt drohen Sparprogramme und Steuererhöhungen

Die Nationalbank hat den höchsten Verlust ihrer Geschichte eingefahren. Damit wanken auch die Millionen-Ausschüttungen an Bund und Kantone. Dort geht nun das grosse Rechnen los.
Publiziert: 30.07.2022 um 00:11 Uhr
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Aktualisiert: 30.07.2022 um 13:06 Uhr
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SNB-Präsident Thomas Jordan muss den grössten Verlust der Geschichte vermelden.
Foto: Bloomberg via Getty Images
Sarah Frattaroli

Seit mehr als 100 Jahren investiert die Schweizerische Nationalbank (SNB) Milliardenbeträge in Gold, Fremdwährungen, Anleihen und Co. Aber das gab es in der über 100-jährigen Geschichte der Zentralbank noch nie: Im ersten Halbjahr 2022 hat sie einen Verlust von 95,2 Milliarden Franken eingefahren!

Das bringt die SNB zwar nicht in Bankrottgefahr: Sie hat Reserven von 1000 Milliarden Franken. In unmittelbarer Gefahr sind aber die Ausschüttungen der SNB an Bund und Kantone. Die Logik: Wenn bei der SNB die Kassen klingeln, gibt sie einen Teil ihres Gewinns weiter. Als «Zückerli» für die Staatskasse. Für das letzte Jahr etwa haben Bund und Kantone gemeinsam 6 Milliarden Franken erhalten – die maximale Ausschüttung.

Reservetopf leert sich

Das Geschäft lief in den letzten Jahren gar dermassen rund, dass die SNB zusätzlich zur Milliarden-Spritze an Bund und Kantone eine Ausschüttungsreserve von 102 Milliarden angehäuft hat. Doch der aktuelle Halbjahresverlust leert diesen Topf auf einen Schlag fast gänzlich.

Wenn die SNB im zweiten Halbjahr eine schwarze Null – oder gar einen Gewinn – erwirtschaftet, bleiben einige Milliarden im Topf. Doch realistisch ist das nicht: Rezessionsangst, Inflation, schwacher Euro und Börsenbaisse bleiben schliesslich akut.

Die Ausschüttung an Bund und Kantone dürfte fürs Jahr 2022 also deutlich geringer ausfallen als bisher – oder ganz wegbleiben. Es wäre das erste Mal seit 2013, dass die Kantone auf die SNB-Millionen verzichten müssen. Und das ist einschneidend: Zürich etwa hat für das letzte Jahr 714 Millionen Franken erhalten.

Kantone rechnen fest mit dem Geld

Die Ausschüttung kam in den letzten zehn Jahren derart zuverlässig, dass die Kantone das Geld längst in ihren Budgets einplanen. Wenn es unverhofft wegbleibt, klafft in der Rechnung plötzlich ein Millionenloch.

Der Kanton Luzern hatte für das laufende Jahr mit 160 Millionen Franken von der SNB gerechnet. Der Luzerner Finanzdirektor Reto Wyss (57) sagt dazu: «Wir waren und sind uns aber stets bewusst, dass es auf diese Geldquelle keine Garantie gibt.» Abgerechnet werde erst am 31. Dezember, so Wyss weiter. Es schwingt die Hoffnung mit, dass die SNB ihren Milliardenverlust im zweiten Halbjahr noch ausbügeln kann. Angesichts der trüben Wirtschaftslage erscheint das blauäugig.

Werden Sparprogramme oder gar Steuererhöhungen notwendig, wenn die SNB-Millionen wegbleiben? Luzern gibt sich bedeckt. Man werde die Situation gegebenenfalls analysieren und «die notwendigen Schlüsse» ziehen. Andere von Blick angefragten Kantone äussern sich ähnlich.

«SNB-Gelder retten uns»

Die Finanzdirektorenkonferenz (FDK) sagt stellvertretend, dass die finanzielle Gesundheit der Kantone nicht von den SNB-Geldern abhänge. Das klang vor einem Jahr noch ganz anders. Ernst Stocker (67), Finanzdirektor des Kantons Zürich und Präsident der FDK, sagte damals in der «NZZ»: «Die Steuererträge und die SNB retten uns. Ohne SNB-Gelder müssten wir entweder Leistungen kürzen oder die Steuern erhöhen.»

Die Kantone hatten damals mit den Folgen der Pandemie zu kämpfen, mussten Geld für Härtefallhilfen oder arbeitslose Künstler auftreiben. Da kamen die SNB-Millionen gelegen. Die Pandemie ist mittlerweile mehrheitlich verschmerzt. Dafür bereiten steigende Energiepreise und die Inflation Sorgen. Die SNB-Ausschüttung wäre da weiterhin hochwillkommen.

In den kantonalen Finanzdepartementen geht nun das grosse Rechnen los. Die Budgets für das Jahr 2023 werden derzeit erstellt. Viele Kantone werden die SNB-Ausschüttung wohl vorsorglich streichen. Und stattdessen von ihrem Eigenkapital zehren, Schulden anhäufen – oder eben doch Sparprogramme schnüren oder die Steuern erhöhen.

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