Der Markusplatz in Venedig (I), die Altstadt von Dubrovnik in Kroatien, die Wasserfälle in Lauterbrunnen BE, sie alle haben das gleiche Problem: Hier trampeln sich die Touristen auf den Füssen rum. «Overtourism» nennt sich dieses Phänomen, das sich im Reiseboom nach Corona nochmals verschärft hat. 2023 verzeichnete die Schweiz 41,8 Millionen Logiernächte. Und es sollen noch mehr werden.
Zwar sind die Touristen selber Schuld, wenn alle an die gleichen Hotspots reisen. Nicht so die aber lokale Bevölkerung, die den Touristenströmen in ihrem Alltag nicht ausweichen kann. Touristen sind auch eine willkommene Einnahmequelle. Allerdings nicht unbedingt eine verlässliche, wie das Beispiel Iseltwald BE zeigt. Dort wollen die Fans einer südkoreanischen Fernsehserie nur ein Selfie auf einem Bootssteg im Brienzersee machen, am Ort und seinen übrigen touristischen Angeboten sind sie nur mässig interessiert.
Mehr zum Problem «Overtourism»
Lokale Problemzonen
Lauterbrunnen plant für Besucher mit dem Auto eine Extragebühr einzuführen. In Iseltwald kostet das Selfie auf dem Steg bereits jetzt fünf Franken. Hat die Schweiz ein Problem mit Massentourismus? Das wollte die Vermarktungsorganisation Schweiz Tourismus genau wissen und hat eine Umfrage zur Tourismusakzeptanz durchgeführt. Das Ergebnis: Nur fünf Prozent der Schweizer Bevölkerung macht sich wirklich Sorgen über die Folgen des Tourismus in der Schweiz. Vor allem diejenigen, die in den touristischen Hotspots wohnen.
«Die Schweiz hat kein generelles Problem mit Massentourismus», erklärt Martin Nydegger (53), Direktor von Schweiz Tourismus. «Aber wir müssen eingestehen, punktuell – zeitlich und lokal – gibt es schon Engpässe.»
Konkret: Wirklich überrannt in der Schweiz sind nur ein halbes Dutzend von insgesamt rund 1500 Tourismusdestinationen. Was in der Schweiz anders ist gegenüber Städten wie Venedig oder Dubrovnik, dazu meint Nydegger: «Es gibt in der Schweiz keine Destination, die 365 Tage im Jahr Saison hat, die von Kreuzfahrtschiffen angesteuert werden kann, und auch keinen Ort, der Billigtouristen anzieht, die in ihrem Reiseverhalten wirklich unausstehlich sein können.»
Konkrete Sorgen
Allerdings: Die Bevölkerung ist sich bewusst, dass der Tourismus auch in der Schweiz zu konkreten Problemen führen kann. An erster Stelle des touristischen Sorgenbarometers steht die Teuerung (10.4 Prozent), gefolgt von Verschmutzung und Littering (9.7 Prozent), Verkehrsproblemen (9.6 Prozent), knappem Wohnraum (9.4 Prozent) sowie Natur- und Umweltschäden (8.4 Prozent).
Die Teuerung betrifft die ganze Schweiz, die Menschen scheinen sich Sorgen darüberzumachen, ob sie sich Ferien im eigenen Land überhaupt noch leisten können. Die anderen Punkte beziehen sich auf die Auswüchse der Anziehungskraft der Schweiz als Tourismusmagnet wie auch als beliebter Zweitwohnungssitz von Schweizern und Ausländern.
Problem unterschätzt?
Eine andere Kennzahl lässt aufhorchen: Ein Viertel der Befragten fühlt sich im Alltag vom Tourismus gestört, fühlen sich zum Beispiel an ihrem Wohnort nicht mehr richtig zu Hause. Und gar mehr als die Hälfte fühlt sich zumindest in gewissen Bereichen vom Tourismus negativ beeinflusst.
Man sollte diese Zahlen nicht überbewerten, sagt Nydegger. «Wichtig sind für uns die fünf Prozent, die sich wegen des Tourismus echt Sorgen machen. Diesen Stimmen müssen wir zu hören und gemeinsam nach Lösungen suchen.» Zum Beispiel, indem die Vermarktungsorganisation versucht, die Touristenströme besser zu lenken, damit nicht alle gleichzeitig am gleichen Ort sind.