Globetrotter-Chef kritisiert Reiseindustrie
«Eine Woche Ägypten für 700 Franken? Dann stimmt etwas nicht»

André Lüthi ist bekannt dafür, kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Kurz vor Ferienbeginn spricht er im Interview über die Rückkehr der Billigflüge, Overtourism in der Schweiz, den Blausee-Skandal – und er gibt Tipps für Mittelmeer-Alternativen in der Nähe.
Publiziert: 24.06.2024 um 10:19 Uhr
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Aktualisiert: 24.06.2024 um 14:06 Uhr
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André Lüthi (63), Chef und Mitinhaber der Globetrotter Group.
Foto: Siggi Bucher
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Thomas SchlittlerWirtschaftsredaktor

Mitte Juni, am Flughafen Zürich herrscht bereits Urlaubsstimmung: Menschen aus allen Weltgegenden stehen Schlange oder schlagen in Cafés die Zeit tot, bis ihr Flugzeug bereitsteht.

André Lüthi (63), Chef und Mitinhaber der Globetrotter Group, steht vor seinem nächsten Abenteuer: neun Tage Pakistan. Mit Blick spricht der Reiseprofi jedoch über Destinationen, die bei Herr und Frau Schweizer etwas höher im Kurs stehen.

Blick: Herr Lüthi, wir sitzen am Flughafen. Was löst dieser Ort bei Ihnen aus?
André Lüthi: Fernweh. Die Sehnsucht nach der grossen, weiten Welt. Das Reisen ist und bleibt für mich die beste Lebensschule und ein wichtiger Beitrag zur Völkerverständigung. Das Einlassen auf fremde Länder und Kulturen, sich selber eine Meinung bilden, vielleicht das eine oder andere Vorurteil – zum Beispiel gegenüber islamischen Ländern – abbauen. Ganz nach meinem Leitgedanken: «Einmal sehen ist besser als tausendmal hören.» Meistens beginnt der Aufbruch zu neuen Entdeckungen hier am Flughafen.

Sie sind so stark mit dem Reisen verbunden wie wenige andere – und selbst auch viel mit dem Flugzeug unterwegs. Dennoch äussern Sie sich immer wieder kritisch zur Vielfliegerei und unserem heutigen Reiseverhalten. Wie passt das zusammen?
Ich habe nichts gegen das Fliegen – im Gegenteil. Was ich nicht verstehe, sind Flüge für 30 Franken nach London und Angebote, die dem Reisen den wahren Wert nehmen. Wenn ich den Flug nach Ägypten und eine Woche im Viersternehotel für 700 bis 900 Franken bekomme, dann stimmt etwas nicht. Entweder werden zum Beispiel die Mitarbeitenden vor Ort nicht anständig bezahlt, oder die Reiseveranstalter und Airlines müssen ihre überschüssigen Kontingente loswerden.

Sie haben Zeit und Geld für grosse Reisen. Leute mit kleinem Portemonnaie haben dieses Privileg nicht. Sie sind auf günstige Flüge angewiesen.
Ich kritisiere nicht die Menschen, die günstige Angebote annehmen, sondern unsere Industrie, die solche Angebote kreiert. Es muss alles in einer gesunden Relation sein. Für 30 Franken nach London fliegen – ist das Reisen zu solchen Preisen ein «Menschenrecht»? Für ein Auto oder ein tolles Bike muss man auch sparen. Wieso soll das beim Reisen anders sein? Wenn man auf etwas spart, freut man sich auch viel mehr darauf. Doch wenn man mit dem Sackgeld nach London fliegen kann, stimmt etwas nicht.

Die Reisebranche durchlebt turbulente Zeiten: Migros will Hotelplan verkaufen, vergangene Woche meldete FTI-Insolvenz an, der drittgrösste Reiseveranstalter Europas. Wie beurteilen Sie das Ganze?
Ich bedaure in erster Linie die betroffenen Mitarbeitenden. Die Marktanteile von FTI in der Schweiz werden sich die verbleibenden Player unter sich aufteilen. Uns als Globetrotter Group betreffen die Umwälzungen nur am Rande, wir haben eine ganz andere Zielgruppe.

Zu Hotelplan gehört auch der Individualreise-Spezialist Travelhouse sowie der Ferienhaus-Spezialist Interhome. Das könnte für Globetrotter interessant sein. Hat die Migros bei Ihnen angeklopft?
Die Branche ist klein, geredet wird immer. Aber eine mögliche Teilakquisition ist für uns zum jetzigen Zeitpunkt kein Thema. Zudem wären für uns eher Unternehmen interessant, die noch stärker auf eine Nische fokussiert sind.

Nach dem Traumjahr 2023 lassen die Buchungen für diesen Sommer bei vielen Reiseanbietern zu wünschen übrig. Was sind die Gründe?
Mich überrascht das nicht. Ich war schon zu Beginn des Jahres zurückhaltend mit meinen Prognosen. 2023 war ein Ausnahmejahr, Corona-Nachholeffekte spielten eine grosse Rolle. Das ist etwas vorbei. Bei vielen ist das Budget aufgrund der Teuerung knapper als im Vorjahr, gerade bei Familien. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass sich viele vor der Sommerhitze fürchten und deshalb erst im Herbst nach Italien oder Spanien reisen. Das Mittelmeer hat im Sommer an Attraktivität eingebüsst, die Leute buchen vermehrt Destinationen im Norden Europas. Island zum Beispiel hat punktuell schon ein Overtourism-Problem während der Sommerferien.

Welche Destination würden Sie empfehlen, wenn ich Hitze und Massen vermeiden, aber nicht um die ganze Welt fliegen will?
Mein Geheimtipp in der Nähe ist Osteuropa. Dort gibt es Destinationen, die viel zu bieten haben, aber noch nicht überlaufen sind. Ich denke etwa an Ungarn, Bulgarien, Rumänien. Aber auch die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen sind eine Reise wert. Wer Weite und Natur sucht, sollte zudem nicht nur an Skandinavien und Island denken, sondern zum Beispiel auch Schottland nicht vergessen.

Overtourism ist auch in der Schweiz ein Thema. Vor einigen Wochen haben Sie für rote Köpfe gesorgt, weil Sie die Werbebudgets von Schweiz Tourismus infrage stellten. Die Organisation bekommt jährlich zwischen 50 und 60 Millionen Franken vom Bund. Wie viel weniger würden Ihrer Meinung nach reichen?
Es ist nicht mein Ziel, Schweiz Tourismus die Mittel zu kürzen. Die Organisation macht im Rahmen ihres Mandats einen guten Job. Angesichts der Besuchermassen, die für die Einheimischen vielerorts zur Belastung geworden sind, müssen wir aber darüber sprechen, die Mittel vielleicht anders einzusetzen. Schweiz-Werbung im Ausland, wie das teilweise noch immer gemacht wird, ist zu überdenken. Mit meiner «Provokation» auf Linkedin wollte ich nur eine entsprechende Diskussion lancieren.

Laut Schweiz Tourismus wurde das klassische Standortmarketing bereits stark zurückgefahren. Man fokussiere darauf, die Gäste besser zu lenken, sagt Direktor Martin Nydegger – nicht nur betreffend Reisezeit, sondern auch, was das Reiseverhalten und die Destinationen betrifft.
Die heutigen Reisenden sind mündig, wissen dank Social Media, anderen Medien und Freunden wohin sie reisen wollen, bevor sie irgendwo auf der Welt ein Reisebüro besuchen. Dementsprechend ist es schwierig, die Gäste zu lenken. Das war vor zwanzig Jahren anders. Wir könnten deshalb mehr Geld im Inland investieren – etwa in eine sinnvolle Sensibilisierung der Gäste.

Wie soll das konkret aussehen?
Schweiz Tourismus könnte zum Beispiel eine Gemeinde wie Lauterbrunnen dabei unterstützen, ihr punktuelles Problem Overtourism in den Griff zu bekommen. Oder Konzepte entwickeln, wie die negativen Begleiterscheinungen der Besuchermassen auf ein Minimum reduziert werden können.

Was für Konzepte könnten das sein?
Ich habe kein Patentrezept. Aber sinnvoll fände ich zum Beispiel Helfer an den Hotspots, welche die Gäste aus aller Welt informieren und bezüglich unserer Kultur sensibilisieren. So liesse sich etwa verhindern, dass Privatgrundstücke betreten werden, um Fotos zu machen, oder sie als Parkmöglichkeit genutzt werden. Wichtig und wirkungsvoll ist eine Regelung des Verkehrs, also zum Beispiel eine Limitierung der Parkplätze oder der Anzahl Busse. Eintrittstickets und Gebühren dagegen machen nur dort Sinn, wo der Zugang auch tatsächlich kontrolliert werden kann. Für Dörfer wie Lauterbrunnen oder Städte wie Luzern ist das schwierig.

Am Blausee, wo Sie Mitbesitzer sind, wird bereits Eintritt verlangt. Als Schweizer ist es mir aber suspekt, für den Besuch eines Sees bezahlen zu müssen.
Das gibt es auch bei anderen Naturschauplätzen. Der Zugang zu Wasserfällen, Schluchten oder Höhlen ist ebenfalls oft kostenpflichtig. Am Blausee stellen wir den Besuchern eine tolle Infrastruktur zur Verfügung wie die Bootsfahrt oder Feuerstellen mit Holz. Zudem regulieren wir in der Hochsaison mittels Eintrittskarten die maximale Zahl der Gäste.

Der Blausee sorgt seit längerer Zeit wegen eines vermeintlichen Umweltskandals für Schlagzeilen. Sie und die beiden anderen prominenten Mitbesitzer – Ex-Nationalbank-Präsident Philipp Hildebrand und Stefan Linder, Mitgründer des Swiss Economic Forum – liefern sich mit Bauunternehmen und Behörden eine Schlammschlacht. Was gibt es Neues?
Wir sind nach wie vor überzeugt, dass das Fischsterben in unserer Forellenzucht durch die unsachgemässe Entsorgung von giftigem Bahnschotter und toxische Pressschlämme verursacht wurde. Wir haben deswegen vor fast vier Jahren Strafanzeige eingereicht. Zudem wollen wir verhindern, dass durch den Lötschberg-Ausbau noch mehr Giftmüll in das Grundwasser gelangt. Auf einer illegalen Deponie kann man keinen Installationsplatz bauen. Die Überbauungsordnung schliesst dies aus. Der Ball liegt bei der Berner Staatsanwaltschaft und dem Bundesverwaltungsgericht, welche die Tatbestände untersuchen.

Zuletzt hat die Berner Staatsanwaltschaft Strafbefehl erhoben wegen angeblicher Nötigung und Hausfriedensbruch – und zwar gegen Ihren Geschäftspartner Stefan Linder. Die Sache ist komplett aus dem Ruder gelaufen. Wieso sitzen nicht alle Beteiligten zusammen, um gemeinsam eine Lösung zu finden?
Es wäre zu begrüssen, wenn das möglich wäre. Wir haben grundsätzlich immer ein offenes Ohr, ein direktes Gespräch schadet nie.

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