Schweizer Hotels sind keine Flüchtlingsunterkünfte mehr
Nach den Ukrainern ziehen wieder Touristen ein

Hunderte Hoteliers stellten im Frühling ihre Betten für Ukraine-Flüchtlinge zur Verfügung – meist kostenlos. Nun, in den Sommerferien, sind die Zimmer wieder durch Touristen belegt. Die Flüchtlinge wurden umplatziert. Das war nicht immer leicht.
Publiziert: 26.07.2022 um 00:50 Uhr
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Aktualisiert: 27.07.2022 um 09:49 Uhr
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Im Hotel The Lab in Thun BE, ...
Foto: thelabhotel.ch
Sarah Frattaroli

Hotels, Zeltplätze, Jugendherbergen: ausgebucht. Die Sommerferien sind in vollem Gang. Damit all die Touristen Platz finden, mussten andere weichen: ukrainische Flüchtlinge, die noch im Frühling in Schweizer Hotels untergebracht waren.

Hunderte Hoteliers zeigten sich nach Kriegsausbruch solidarisch, boten ihre leerstehenden Zimmer als Notunterkünfte an. Es war gerade Zwischensaison: Die Skipisten schon zu, die Wanderwege noch nicht offen – in den Hotels herrschte gähnende Leere.

Das sieht mittlerweile anders aus. «Das Hotel ist randvoll, wir sind bis aufs letzte Zimmer belegt», sagt etwa Daniel Lehmann (56), Direktor des Hotels Marriott in Zürich. Lehmann hatte in seinem 5-Sterne-Haus zwischenzeitlich 12 Zimmer an ukrainische Flüchtlinge vergeben – unentgeltlich.

Mittlerweile sind sie alle wieder ausgezogen. «Der Kanton hat die Flüchtlinge weitervermittelt in private Unterkünfte.» Eine Familie habe er persönlich in ihr neues Zuhause nach Wädenswil ZH gefahren, erzählt Lehmann. «Das war total unbürokratisch.»

Wohnungszusage im letzten Moment

Janine Rüfenacht (46), Direktorin des Hotels The Lab in Thun BE, hatte bis Mitte Juni 10 Leute in 4 Apartments untergebracht. Danach brauchte Rüfenacht die Wohnungen für die Sommersaison. Doch sie wollte um keinen Preis, dass die Flüchtlinge in eine Gemeinschaftsunterkunft umziehen müssen.

Die kantonale Flüchtlingsunterkunft in Thun ist bis auf den letzten Platz belegt. Die Familien wären nach Grindelwald oder Meiringen verlegt worden – über eine Stunde Zugfahrt von Thun entfernt. «Zwei der Ukrainerinnen arbeiten mittlerweile bei mir im Hotel, die hätten ihre Jobs aufgeben müssen», erklärt Rüfenacht. Ein Kind besucht in Thun den Kindergarten, wäre erneut aus seiner Umgebung gerissen worden.

Im allerletzten Moment haben die ukrainischen Familien eine neue Bleibe gefunden, konnten eigene Wohnungen in Thun und Umgebung anmieten. Keine Selbstverständlichkeit, die Leerstandsquote liegt in Thun laut Bundesamt für Statistik bei rekordtiefen 0,17 Prozent – im schweizweiten Durchschnitt sind es immerhin 1,54 Prozent.

«Die Ukrainer sind am Morgen ausgezogen. Am Nachmittag hatte ich schon die Gäste im Haus», erzählt Rüfenacht. Sie hätten keinen Tag länger Zeit für die Wohnungssuche gehabt.

«Ich hatte Bauchschmerzen und schlaflose Nächte, weil ich wusste, dass ich die Leute irgendwann wieder wegschicken muss», sagt Rüfenacht. Dass sie die ukrainischen Flüchtlinge nach einigen Monaten wieder ausquartierte, habe nichts mit fehlender Solidarität zu tun, betont Rüfenacht. «Aber ich habe für die Unterbringung kein Geld erhalten, weil das nicht über den Kanton lief, sondern privat.» Gleichzeitig entstanden Kosten, etwa für Strom und Wasser.

Bedarf schwindet

Die Behörden nehmen es gelassen. Denn auch im Frühling wurde nur ein Bruchteil der Flüchtlinge in Hotels platziert – die meisten der Zehntausenden angebotenen Hotelbetten blieben leer. Dass sie jetzt wegfallen, fällt kaum ins Gewicht.

Das Staatssekretariat für Migration (SEM) schreibt, dass auf Stufe Bund nur ganz zu Beginn Leute in Hotels untergebracht wurden. Der Ansturm war damals derart gross, dass etwa das Bundesasylzentrum in Zürich keine freien Betten mehr hatte. Seither habe sich die Lage aber normalisiert.

Ähnlich sieht es bei Kantonen und Gemeinden aus. In Kandersteg BE etwa kamen zu Beginn des Krieges ebenfalls Flüchtlinge in Hotels unter. Naheliegend, ist Gemeindepräsident René Mäder (67) doch gleichzeitig Direktor des Waldhotels Doldenhorn. «Mittlerweile ist das Bedürfnis gar nicht mehr da.» Kandersteg hat vom Kanton Bern knapp 40 Flüchtlinge zugewiesen bekommen, sie alle sind mittlerweile in eigenen Wohnungen oder bei Familien untergebracht.

Im Herbst wieder in die Hotels?

Sowieso war die Unterbringung in Hotels von Beginn an nur als Zwischenlösung gedacht: Schliesslich sind Hotelzimmer ohne Küche und mit wenig Stauraum kaum geeignet für einen monatelangen Aufenthalt. Hie und da gibt es aber auch heute noch Flüchtlinge in Hotelzimmern. Im Grand Hotel Les Trois Rois in Basel etwa. Wie viele es genau sind und wie lange sie noch bleiben, will das Luxushotel nicht verraten. Man habe die ukrainischen Gäste aufgenommen, um ihnen Schutz zu bieten – nicht für die eigene Imagepolitur.

In Kreuzlingen TG leben Flüchtlinge seit Anfang Juli im Hotel Bahnhof Post. Allerdings war das ehemalige Hotel ausser Betrieb, die Gemeinde hat es nun angemietet, um es zur Flüchtlingsunterkunft umzufunktionieren. Ähnlich gingen etwa auch Giswil OW mit dem leerstehenden Hotel Krone oder Menziken AG mit dem einstigen Hotel Sternen vor.

Die Gemeinden wollen damit laut eigenen Angaben auch die Gastfamilien entlasten: Ähnlich wie bei den Hoteliers war nämlich auch die Unterbringung in leerstehenden Gästezimmern nicht langfristig ausgelegt. Immer mehr Flüchtlinge werden von ihren Gastfamilien in staatliche Strukturen umplatziert.

60'000 ukrainische Flüchtlinge sind bisher in der Schweiz angekommen. Das SEM rechnet bis Ende Oktober mit 80'000 bis 120'000. Ob die Betten dann noch ausreichen, steht in den Sternen. Hotelière Janine Rüfenacht stünde bereit, in Thun BE wieder Leute aufzunehmen. «Im Herbst wird es bei uns ruhiger. Und wenn Corona uns wieder einen Strich durch die Rechnungen macht, stehen im Winter sowieso viele Zimmer leer.»

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