«Saudi-Arabien ist der neue Big Player am Golf.» Das sagt Suhail El Obeid (45), Senior Consultant Middle East beim Aussenwirtschaftsförderer Switzerland Global Enterprise (SGE) in Zürich. Zwar sind die Emirate noch der wichtigste Handelspartner der Schweiz im Nahen Osten. Doch das werde kaum Bestand haben.
Saudi-Arabien befindet sich mitten in einem grossen Umbruch. 60 Jahre lang war das Land auf die Ölproduktion fokussiert. Doch diese Reserven sind endlich, der Ölpreis volatil. Dazu setzen sich nicht-fossile Brennstoffe angesichts des Klimawandels immer mehr durch.
2016 formulierte Saudi-Arabien deswegen die «Vision 2030». Mit ihr will das Land seine Abhängigkeit vom Öl reduzieren. Mehr noch: Saudi-Arabien soll bis 2030 das führende Land der islamischen Welt sein, eine Schaltstelle im wirtschaftlichen Austausch der drei Kontinente Europa, Asien und Afrika. Die 36 Millionen Saudis sollen künftig von einer modernen und diversifizierten Wirtschaft profitieren.
Wie soll das gehen?
Den Transformationsprozess befeuert Saudi-Arabien mit riesigen Geldmengen. Das Königreich sitzt auf einem Devisenschatz von 464 Milliarden Dollar.
Das Geld wird sowohl im Ausland als auch im Inland investiert. Ein bekanntes Projekt ist Neom, eine riesige Metropolregion mit angeschlossenem Technologiepark im Nordwesten des Landes, die aus der Wüste gestampft wird – initiiert vom saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman (37).
«Neom wird wahnsinnig forciert», weiss El Obeid. Dazugehörige Projekte wie The Line – eine 170 Kilometer lange, aber nur 200 Meter breite Stadt zwischen 500 Meter hohen Glaswänden – werden mitunter als grössenwahnsinnige Fantasterei abgetan. El Obeid versichert aber: «Die Fundamente für die ersten Kilometer sind bereits gelegt.»
Verflechtung mit der Schweiz
Was bedeutet dies für die Schweiz? Der wirtschaftliche Austausch mit der Schweiz intensiviert sich zusehends. Im Jahr 2021 lag das Handelsvolumen zwischen den beiden Ländern bei 3,1 Milliarden Franken, 2020 waren es noch 2,2 Milliarden. Von weiterem Wachstum sei auszugehen, erklärt El Obeid.
Die Schweiz exportiert primär «klassische Güter» wie Pharmaerzeugnisse, Uhren und Maschinen nach Saudi-Arabien. In umgekehrte Richtung werden aber nicht etwa Öl und Gas geschickt, sondern schon jetzt Bergbauprodukte (Eisenerz, Kupfer, Aluminium und mehr) sowie Chemieerzeugnisse. Das wird sich laut El Obeid vorerst nicht ändern.
Alle wollen nach Saudi-Arabien
Das Geschäftsvolumen hingegen schon: «Vor ein paar Jahren wollten Schweizer Unternehmer vor allem in Dubai Geschäfte machen, jetzt in Saudi-Arabien.» Rund 70 Prozent der an die SGE gerichteten Vermittlungsanfragen im Nahen Osten gelten laut El Obeid schon heute Saudi-Arabien.
Das Land forciert diese Entwicklung mit dem «Regional Headquarter Program»: Wer lukrative öffentliche Aufträge will, muss seinen Nahost-Hauptsitz nach Saudi-Arabien verlegen. Der Zulauf sei gross. Laut El Obeid verlegen immer mehr Firmen ihren regionalen Hauptsitz von Dubai nach Riad.
Viel Potenzial für Schweizer
Auch umgekehrt fliesst das Geld: Jüngst sorgte der Einstieg bei Credit Suisse für Schlagzeilen. Beteiligt hat sich die Saudi National Bank, die zu 80 Prozent dem Staat gehört. Beim Basler Chemiekonzern Clariant wiederum beteiligte sich Sabic (Saudi Basic Industries). Diese gehört Saudi Aramco, dem global grössten Erdölkonzern, ebenfalls ein staatliches Unternehmen.
Weltweit aktiv ist zudem der saudische Staatsfonds PIF (Public Investment Fund) mit einem Vermögen von aktuell 320 Milliarden Dollar. Er machte zuletzt vor allem mit Sport-Investments von sich reden. Fussballer Cristiano Ronaldo wechselte in die saudische Liga, der FC Newcastle oder die Wrestling-Liga WWE gehören nun zum PIF-Portfolio. Das Ziel: dereinst die Fussball-WM oder Olympische Spiele auszutragen.
Die Sport-Engagements interpretiert El Obeid als «Transporteure der Zukunftsvision Saudi-Arabiens». Sportmarketing-Experte Christian Lang vermutet dahinter vor allem das Ziel, von Missständen im eigenen Land abzulenken und die Strahlkraft des Sports für die eigene Vermarktung zu nutzen.
Schon jetzt wird die Infrastruktur dafür geschaffen. Die enorme Investitionsbereitschaft eröffnet viele neue Geschäftschancen – auch für Schweizer Firmen. Diverse Schweizer Firmen sollen bereits aktiv in die vielen Infrastrukturprojekte in Saudi-Arabien involviert sein. Welche es sind, darf El Obeid nicht preisgeben.
Nicht immer unproblematisch
Vielleicht weil Saudi-Arabien ein delikater Handelspartner ist. Der Wüstenstaat wird von einem autoritären Regime mit einem ziemlich schlechten Zeugnis in Bezug auf Menschenrechte regiert. Das interessiert jedoch wenig. «Nach der Affäre um die Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi 2018 zogen sich Schweizer Investoren vorübergehend zurück», so El Obeid. «Das wurde schnell vergessen. Jetzt wollen alle wieder Geschäfte machen.» Politische Angelegenheiten würden in der Geschäftswelt in der Regel nicht angesprochen.
Saudi-Arabien ist daran, seine Zukunft nach dem Öl aktiv zu gestalten. Dabei würden aus Sicht der Saudis kritische Stimmen nur stören.