Reise-Boom an Auffahrt und Pfingsten
«Man gönnt sich weiterhin Flugreisen – aber mit schlechtem Gewissen»

Die Flugpreise sind hoch, weil die Nachfrage schneller wächst, als die Airlines mit dem Angebot hinterher kommen. Nach der Pandemie-bedingten Pause wird wieder fleissig geflogen – auch auf Kurzstrecken. Ein Tourismus-Experte und eine Klima-Aktivistin ordnen ein.
Publiziert: 15.05.2023 um 14:54 Uhr
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Aktualisiert: 16.05.2023 um 08:32 Uhr
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Am Flughafen Zürich herrscht über Auffahrt und Pfingsten viel Betrieb. (Archivbild)
Foto: Sven Thomann
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Sarah FrattaroliStv. Wirtschaftschefin

Über Auffahrt kurz nach London jetten oder das Pfingstwochenende auf Mallorca verbringen. Die Reisewochen stehen ins Haus und es scheint, dass eines gänzlich verpufft ist: die Flugscham. 2019 noch zu einem der Deutschschweizer Worte des Jahres gewählt, fristet der unter anderem durch die schwedische Klima-Aktivistin Greta Thunberg (20) bekannt gewordene Begriff mittlerweile ein Schattendasein.

Die irische Billig-Airline Ryanair hat beim US-Flugzeugbauer Boeing gerade 300 neue Flugzeuge bestellt, die bis 2033 in die Luft gehen sollen. Ryanair rechnet demnach mit goldenen Zeiten für die Aviatikbranche. Dies, nachdem der Höhenflug der Airlines angesichts von Klimadebatte und Pandemie vor einigen Jahren noch totgesagt wurde.

Fliegen trotz Gewissensbissen

«Wir spüren noch immer den Nachholeffekt nach der Pandemie», sagt Florian Eggli (45), Dozent für Tourismus an der Hochschule Luzern (HSLU). Allerdings zeige sich der Reiseboom nicht nur an den Flughäfen, wo die Schlangen wieder länger werden. Sondern auch an den Bahnhöfen. «Auch Nachtzüge und andere Zugreisen sind momentan sehr stark ausgelastet», sagt Eggli.

Die Flugscham existiere also noch. «Man gönnt sich weiterhin Flugreisen – aber mit schlechtem Gewissen», ist Eggli überzeugt. Der Tourismusexperte beobachtet, dass viele Leute länger, dafür seltener verreisen. Auch für besondere Anlässe wie etwa Hochzeitsreisen werde weiterhin geflogen.

Zugreisen können preislich nicht mithalten

Ob Kurztrips über Auffahrt und Pfingsten noch gesellschaftlich akzeptiert sind, hängt vor allem auch vom sozialen Umfeld ab. Bei Lina Vogt (20) etwa löst es Unverständnis aus, wenn sie Schlagzeilen über die letzten Schnäppchen an Auffahrt und Pfingsten liest. Die Klima-Aktivistin engagiert sich beim Schweizer Klimastreik. «Ich verstehe nicht, wie man für ein Wochenende in die Türkei fliegen kann», sagt sie.

Dennoch will sie nicht mit dem Finger auf jene zeigen, die über die anstehenden langen Wochenenden verreisen. «Hauptverursacher der Klimakrise sind nicht Einzelpersonen, die einmal im Jahr in die Ferien fliegen», argumentiert die Klima-Aktivistin. «In der Pflicht sind Grosskonzerne und der Bund.» Etwa, indem sie Zugreisen subventionieren, um preislich mit Flugreisen mithalten zu können.

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«Die Nachhaltigkeitsdebatte war auf keinen Fall ein Strohfeuer.»
Florian Eggli, Tourismus-Dozent an der HSLU
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Tourismusexperte Eggli ist überzeugt, dass auch die Reiseunternehmen gut beraten sind, jetzt nachhaltigere Angebote zu entwickeln. «Das Bedürfnis zu reisen wird nicht verschwinden. Aber das Bedürfnis, nachhaltig zu reisen, wird steigen.» Statt nur neue Flugzeuge zu kaufen, müssten Airlines hier und heute in innovative Technologien wie nachhaltigere Treibstoffe investieren, empfiehlt Eggli. Und den Reisenden, bis diese marktfähig sind, mittels Kompensationszahlungen und Umweltzertifikaten schon heute nachhaltigere Alternativen anbieten.

«Die Nachhaltigkeitsdebatte war auf keinen Fall ein Strohfeuer, sondern wird uns noch Jahrzehntelang beschäftigen», bilanziert der Experte. Airlines, Reiseveranstalter oder Hotels, die nun nicht auf den sprichwörtlichen Zug aufspringen, werden mittelfristig die Quittung dafür kassieren.

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