Credit-Suisse-Präsident António Horta-Osório hat Anfang Dezember die Quarantäne-Regeln gebrochen. Blick deckte auf: Statt nach seiner Rückkehr aus der Omikron-Risikozone England zehn Tage daheim zu bleiben, flog Horta-Osório wenig später im Privatjet auf die Iberische Halbinsel. Im Nachhinein entschuldigte er sich mit der wenig glaubwürdigen Behauptung: Dass ein Auslandsflug während einer Quarantäne nicht erlaubt sei, habe er nicht gewusst.
«Der Fall ist gravierend», sagt SP-Nationalrätin Prisca Birrer-Heimo. Gerade die Credit Suisse habe in der jüngeren Vergangenheit eine Serie von Skandalen produziert, weil sie sich um die Vorschriften im Risiko- und Compliance-Bereich foutierte. «Und nun hält sich der Präsident nicht an geltende Bestimmungen und versucht auch noch, sich herauszureden. Das ist unhaltbar.» Birrer-Heimo: «Er müsste die Grösse haben und von sich aus Konsequenzen ziehen.»
Doch ein Rücktritt scheint für den CS-Präsidenten auch nach der Verwaltungsratssitzung vom letzten Donnerstag kein Thema zu sein. Die Credit Suisse will sich auf Anfrage von SonntagsBlick jedenfalls nicht weiter zum Fall äussern.
Skandale sind nichts Neues
«Die Bank könnte sich einen Wechsel gar nicht erlauben», sagt Peter V. Kunz, Professor für Wirtschaftsrecht an der Uni Bern. «So ein personelles Chaos wäre für ihre Reputation noch schlimmer als der aktuelle Zustand.» Der Regelverstoss werde wohl in wenigen Tagen vergessen sein, sagt Kunz. «Recht und Moral spielen insofern die zweite Geige.»
Der Fall lege die Einstellung der hiesigen Finanzakteure offen, sagt die Sozialdemokratin Birrer-Heimo: «Sie glauben bisweilen, über dem Gesetz zu stehen. Diese Einstellung ist mit ein Grund für die vielen Skandale der letzten Jahre.»
Die fallen bei der CS alle in die Zeit von Urs Rohner, der bis Ende April als Präsident amtete. Er verliess die Bank mit 40 Millionen Franken in der Tasche – unbehelligt von juristischen Nachspielen.
Die Debakel sind zahlreich und die Dimensionen krass: Allein im Fall Mosambik zahlte die CS bislang 750 Millionen Franken Bussgelder an ausländische Behörden. Die Mosambik-Affäre nahm 2013 ihren Anfang, als die CS Kredite von insgesamt einer Milliarde US-Dollar an zwei mosambikanische Staatsgesellschaften vergab. Korrupte Berater krallten sich einen Teil der Gelder. Obwohl die Bank Verdacht schöpfte, erstattete sie erst 2019 Meldung, als das US-Justizdepartement Anklage gegen drei britische CS-Mitarbeiter erhob. Im Oktober kassierte die Credit Suisse dafür eine Rüge der Finma: «Die Bank verstiess damit schwer gegen die geldwäschereirechtliche Meldepflicht.»
«Es sollte eine Untersuchung eingeleitet werden»
Der Fall sei sonnenklar, so SVP-Nationalrat Alfred Heer. «Der Hauptsitz in Zürich wusste Bescheid. Die Rechtsabteilung wusste es, und Präsident Urs Rohner wusste es.»
Für Heer steht fest: «Da reicht eine Rüge der Finma nicht. Es sollte eine Untersuchung gegen die CS wegen Geldwäscherei eingeleitet werden.» Das hätte ein präventive Wirkung, sagt Heer. «Wenn ein kleines Unternehmen einen Kunden prellt, ist die Justiz sehr schnell zur Stelle. Doch bei den Grossbanken schaut man lieber weg.»
Tatsächlich hat die Bundesanwaltschaft 2020 ein Verfahren im Fall Mosambik eröffnet – allerdings gegen unbekannt. Ob dafür jemals ein CEO oder ein Verwaltungsrat der Credit Suisse geradestehen muss, darf bezweifelt werden.
In den letzten zehn Jahren kassierte die Bank für ihre Skandale Bussen in der Höhe von insgesamt 13 Milliarden Franken. Denn ausländische Aufsichts- und Strafverfolgungsbehörden gehen mit den Schweizer Grossbanken knallhart ins Gericht: Seit Jahren hagelt es Prozesse rund um den Globus.
Topbanker sind schwer zu kriegen
Und in der Schweiz? SonntagsBlick hat bei der Bundesanwaltschaft und sämtlichen kantonalen Staatsanwaltschaften nachgefragt: Wie viele Verfahren wurden in den letzten zehn Jahren gegen die Credit Suisse, ihre CEOs und ihre Verwaltungsräte eingeleitet, und wie viele Verurteilungen gab es? Die Antwort sämtlicher Stellen – meist mit identischem Wortlaut: Eine solche Statistik könne aus systemischen Gründen nicht angeboten werden.
Zu vermuten ist, dass eine solche Liste nicht besonders viele Fälle zutage fördern würde. «Es wurde bisher in der Schweiz noch nie vor Gericht ausgetestet, inwieweit ein Verwaltungsrat eine Garantenstellung einnimmt und strafrechtlich einzustehen hätte, wenn Regeln im Unternehmen missachtet werden», sagt Compliance-Expertin Monika Roth.
Die Finanzmarktaufsicht Finma könnte Berufsverbote aussprechen. Die Schwierigkeit bestehe aber darin, dass sie einer Person eine direkte und kausale Verantwortung für eine schwere Verletzung des Aufsichtsrechts nachweisen müsse, sagt die Finma dazu. «Diese Hürde ist hoch.» Deshalb könnten sich die Topbanker gut verstecken, sagt Roth. «Es braucht rigorose Gewinneinziehungen und Ersatzforderungen gegenüber verantwortlichen Personen. Es darf sich nicht lohnen.»
Mehr Kompetenzen für die Finma?
äWirtschaftsrechtler Kunz fordert seit Jahren, der Finma nicht nur aufsichtsrechtliche, sondern auch strafrechtliche Kompetenzen zu geben: «Das entspricht dem internationalen Standard. Es setzt aber voraus, dass die Finma personell verstärkt würde.» Die Politiker kritisierten die Behörde gerne, sagt Kunz. «Sie übersehen aber, dass die Finma eigentlich sehr gut arbeitet mit dem, was sie hat. Es liegt deshalb primär an den Politikern, aktiv zu werden.»
Genau das hat Prisca Birrer-Heimo nun vor: Sie reicht demnächst einen Vorstoss im Parlament ein, der die Ausstattung der Finma mit strafrechtlichen Kompetenzen fordert, also auch die Verhängung von Bussen und weiteren Sanktionen. Birrer-Heimo: «Der aggressiven Risikokultur im Finanzbereich muss endlich ein Riegel geschoben werden.»