So ist momentan der Alltag in der Ostukraine
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Schweizer und Stiefsohn zeigen:So ist momentan der Alltag in der Ostukraine

Ostukrainer sind auf alles gefasst
«Kommen die Russen, würden die Ukrainer aus jedem Haus schiessen»

Deutschland und andere westliche Länder fordern ihre Staatsleute zur Abreise auf. Der Schweizer Peter Wermuth fuhr am Wochenende gegen den Strom in die Ostukraine zu seiner Familie. Er sagt zu Blick: «Hier läuft noch alles ganz normal.»
Publiziert: 22.02.2022 um 17:43 Uhr
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Aktualisiert: 22.02.2022 um 17:47 Uhr
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Der Berner Peter Wehrmuth (73) ist derzeit in der ostukrainischen Grossstadt Kharkov.
Foto: zVg
Fabio Giger

An der Ostgrenze der Ukraine spitzt sich die Lage zu. Am Montagabend hat Russlands Präsident Wladimir Putin (69) das Verteidigungsministerium angewiesen, Truppen in die Ukraine zu schicken. Erstes Ziel: die besetzten Gebiete Donezk und Luhansk.

Nur drei Autostunden entfernt von diesen Gebieten hält sich derzeit der Berner Peter Wermuth (73) auf. Er ist am Sonntagabend nach einer zweitägigen Autofahrt in der ostukrainischen Grossstadt Charkiw angekommen. Dort leben seine Ex-Partnerin und seine vier Stiefkinder, die er wie seine eigenen aufgezogen habe. «Das Leben hier funktioniert wie eh und je», sagt Wermuth am Telefon zu Blick. Die Behörden beruhigten die Bevölkerung und sagen, man hätte alles im Griff.

Trügerische Ruhe?

Wermuth schickt Bilder aus der Ostukraine – von vollen Strassen, Leuten, die arbeiten gehen. Nichts deutet auf Verunsicherung oder Panik hin. «Westeuropa ist nervöser als die Leute hier», sagt der Schweizer. Hamsterkäufe in Supermärkten oder an Tankstellen konnte Wermuth keine beobachten. Der Alltag in der Ostukraine laufe ganz normal. «Russland», so Wermuth, «hat die Ukraine schon länger umzingelt. Die Leute hier haben sich daran gewöhnt.»

Peter Wermuth wurde hierzulande als Berner Kaffeekönig bekannt. In der Ukraine hat er in den letzten drei Jahrzehnten eine grosse Kaffeehauskette aufgebaut. Mittlerweile hat er sie verkauft. Heute hilft er seiner Geschäftspartnerin, in der Ukraine ein Vertriebsnetz für die Schweizer Kräuterbonbons Ricola aufzubauen.

Kein Leben unter russischer Herrschaft

Wermuth sieht die Lage entspannt. Hunderttausende Ukrainerinnen und Ukrainer bereiten sich aber seit Tagen auf eine lange Flucht vor, tanken ihr Auto voll und tragen ihre Papiere immer auf sich. Experten gehen im schlimmsten Szenario davon aus, dass im Falle einer Invasion bis zu acht Millionen Menschen vertrieben werden könnten.

Wermuth selbst zweifelt nach wie vor an einem russischen Angriff auf die unbesetzten Teile der Ukraine. «Was will Putin schon hier?», fragt sich der Wahlukrainer. Die ukrainische Demokratie habe Zukunft. Ein Leben unter russischer Herrschaft sei für den Grossteil der Ukrainer unvorstellbar – selbst für die Menschen im russlandnahen Osten des Landes. «Die jungen Leute hier können mit den alten Sowjet-Gedanken nichts anfangen», sagt Wermuth.

«Würden aus jedem Haus schiessen»

Sascha (18) ist Peter Wehrmuths' ältester Stiefsohn. Er erzählt: «Die Leute kaufen viele Waffen, um sich zu verteidigen. Wenn die Russen kommen, würden die Ukrainer aus jedem Haus schiessen.» Die Ukrainer, so Sascha, seien bereit für jede Situation. Putins Armee stehe schon seit acht Jahren an der Grenze zur Ukraine: «Die Leute hier haben die Nase voll», sagt Sascha.

Peter Wermuth und sein Stiefsohn reden oft über den Konflikt – und auch über Flucht-Möglichkeiten. «Wenn sich die Lage zuspitzt, rette ich die Familie in die Schweiz», sagte Wermuth vor einer Woche, als Blick ihn in Bern getroffen hat. Nach der Nacht von Putins Einmarsch-Befehl denkt Wermuth aber noch nicht an eine Flucht: «Mein Auto hab ich gestern noch in die Werkstatt gebracht.»

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