Ökonomin Monika Bütler im Interview
«Bei einer Scheidung wird fehlendes Finanzwissen zum Problem»

Frauen wissen deutlich weniger über Finanzen als Männer. Dabei wäre dieses ein wichtiger Schlüssel zur Gleichstellung, sagt Ökonomin Monika Bütler.
Publiziert: 17.12.2023 um 08:56 Uhr
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Aktualisiert: 17.12.2023 um 17:01 Uhr
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Ökonimin Monika Bütler plädiert dafür, dass Frauen sich mehr Finanzwissen aneignen ...
Foto: Gerry Nitsch/13PHOTO
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Sara BelgeriRedaktorin

Blick: Frau Bütler, ich muss Ihnen gestehen: Ich bin 28, habe aber keine Ahnung von Investieren – und auch kein Interesse daran. Bin ich ein Klischee?
Monika Bütler: Nein. Ich verstehe, dass das Thema Finanzen jungen Leuten nicht wahnsinnig wichtig beziehungsweise noch nicht so nah ist. In diesem Alter zählt die Investition in die eigene Ausbildung mehr.

Was bedeutet Finanzwissen konkret?
Es geht im Wesentlichen um die Rolle der Zinsen, die Auswirkungen einer Inflation auf die Kaufkraft und die Diversifikation beim Anlegen, also zum Beispiel, nicht das ganze Vermögen in eine einzelne Firma zu investieren. Das Basisfinanzwissen wird mit drei Fragen gemessen: eine zum Zins, eine zur Inflation, eine zur Diversifikation.

Studien zeigen, dass dieses Wissen bei Frauen deutlich geringer ist als bei Männern. Weshalb?
Frauen trauen sich tendenziell weniger zu und gehen dadurch weniger Risiken ein. Sie investieren rund ein Drittel weniger häufig als Männer und lassen ihr Geld eher auf dem Sparkonto. Ausserdem haben Frauen in der Regel tiefere Löhne. Das führt dazu, dass sie sich weniger mit dem Thema Finanzen auseinandersetzen.

Sie fordern, dass Finanzbildung in den obligatorischen Schulstoff gehört.
Spätestens auf der Sekundarstufe sollten einfache Finanzkonzepte behandelt werden – die sind ja nicht wahnsinnig kompliziert. Zum Beispiel: Wenn die Inflation höher ist als die Zinsen, dann kann ich mit meinen Ersparnissen weniger kaufen. Mein jüngerer Sohn hat in Neuseeland bereits mit zehn Jahren den Umgang mit Wahrscheinlichkeiten gelernt und eine Einführung ins Finanzwissen erhalten. An Schweizer Schulen hatten meine Söhne kaum Finanzbildung, nicht einmal im Gymnasium. So werden die Berührungsängste grösser, was den Mädchen noch mehr schadet als den Knaben.

Apropos Berührungsängste: Die Mutter einer Kollegin lässt ihre Finanzen konsequent von ihrem Mann erledigen. Ist das ein Problem?
Das ist leider ein typisches Beispiel. Grundsätzlich ist eine gewisse Arbeitsteilung im Haushalt nichts Schlechtes. Aber Finanzwissen akkumuliert man über Zeit und macht sich damit vertraut. Bei einer Scheidung oder wenn der Partner stirbt, wird das fehlende Wissen zum Problem. Es geht dabei um Fragen wie: Wie viel Geld brauche ich zum Leben? Wie gross müssen meine Ersparnisse sein fürs Alter? Wie gehe ich mit dem Vermögensausgleich in der zweiten Säule um? Fehlt dieses Basiswissen, ist es nicht nur schwieriger, finanziell weiterzumachen, die Frauen verhandeln auch schlechter bei einer Scheidung. Nur schon mal die Steuererklärung anschauen und versuchen zu verstehen, was hinter den Zahlen steht, ist eine gute Übung.

Sie argumentieren, dass Finanzbildung einer der Schlüssel zur Gleichstellung ist.
Wer in einer Partnerschaft mehr Finanzwissen hat, verhandelt besser und hat bei grossen Entscheidungen mehr Einfluss. Je grösser das Finanzwissen, desto besser können die Frauen ihre Absicherung planen.

Frauen legen auch deshalb seltener Geld an als Männer, weil sie schlicht weniger davon haben. Profitieren also nur privilegierte Frauen von mehr Finanzbildung?
Das ist eine Frage, die auch mich beschäftigt. Viele der neuen Finanzbildungs-Initiativen richten sich tatsächlich eher an privilegierte Frauen oder Menschen. Doch auch ärmere Haushalte profitieren von Basisfinanzwissen. Studien zeigen, dass dieses Wissen zu einer besseren Planung der Ausgaben führt. Es geht dabei nicht primär ums Investieren, sondern darum, Schulden zu vermeiden.

Was raten Sie Frauen, die kein Geld beiseitelegen können?
Kurzum: Rat holen. In der Schweiz gibt es viele ausgezeichnete Angebote von Budgetberatungen bei staatlichen oder gemeinnützigen Organisationen. Diese richten sich genau an Menschen, die vielleicht nicht wissen, ob die Mittel zum Leben reichen und wo allenfalls Unterstützung angefordert werden kann. Gerade im Hinblick auf die Altersplanung kann es gar nicht zu früh sein.

Ist man als Frau in der Schweiz eigentlich am besten beraten, wenn man keine Kinder bekommt?
Aus finanzieller Sicht lohnen sich Kinder für niemanden. Wichtig ist daher eine umsichtige Wirtschaftspolitik, die verhindert, dass Kinder und eine eventuelle Trennung zu einem Armutsrisiko führen.

Wie stehen Sie zur Forderung, dass Care-Arbeit entlöhnt werden soll?
Die Pflege gebrechlicher oder kranker Menschen sollte in irgendeiner Form entschädigt werden. Das ist eine Aufgabe, die der Staat sonst zu viel höheren Kosten übernehmen müsste. Dass der Staat die Care-Arbeit im Zusammenhang mit den eigenen Kindern direkt entlöhnen soll, halte ich für Unsinn. Was und wie soll entlöhnt werden? Waschen, Putzen, Kinderbetreuung? Es gibt schon heute substanzielle staatliche Erleichterungen für Familien, die Care-Arbeit indirekt entschädigen: kostenlose Schulen, Steuererleichterungen, Erziehungsgutschriften in der AHV oder Subventionen.

Wo sehen Sie politischen Handlungsbedarf?
Die Kinderbetreuung ist noch immer teuer, die Schulzeiten für arbeitende Eltern unmöglich, die Elternzeit sehr kurz. Internationale Studien zeigen, dass günstigere Krippen oder eine längere Elternzeit zwar dazu führen können, dass Frauen mehr arbeiten und damit finanziell unabhängiger werden. Allerdings weit weniger als erhofft, weil kulturelle Faktoren und eigene Wertvorstellungen die Aufteilung von Lohnarbeit und Care-Arbeit in der Familie beeinflussen. Wo ich klar Handlungsbedarf sehe, ist im Vorsorgeausgleich in der zweiten Säule: Die Beiträge an die Pensionskasse sollten zwischen den Eltern aufgeteilt werden, egal, ob verheiratet, im Konkubinat oder getrennt.

Finanzwissen ist eine Sache, dass Frauen weniger Geld haben, ist aber auch strukturell bedingt: Sie leisten über 60 Prozent der unbezahlten Arbeit, arbeiten häufiger Teilzeit und landen darum auch viel eher in der Altersarmut. Sie haben weniger Spielraum – wie können sie den am besten nutzen?
Indem sie von ihrem Partner etwas einfordern. Zum Beispiel, indem sie in einem Vertrag festlegen, wer wie im Fall einer Trennung für Care-Arbeit entschädigt wird und wie die Beiträge an die Alterssicherung gerecht geteilt werden. Das rate ich insbesondere unverheirateten Frauen. Je höher der Teil der Betreuungsarbeit ist, desto wichtiger ist das Aushandeln mit dem Partner. 

Informationen zur Budgetberatung gibt es auf der Website der Dachorganisation Budgetberatung Schweiz: www.budgetberatung.ch

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