Das Familienfest hat sie zum Teil schon hinter sich. «Mit meinem 85-jährigen Vater ging ich spazieren», sagt die Ökonomie-Professorin Monika Bütler (59) im Interview mit den Zeitungen von «CH Media». «Mit der Tochter und ihren zwei kleinen Kindern haben wir zusammen Samichlaus gefeiert und gleich nach dem Zmorge die Masken angezogen.»
Bütler hat Weihnachten vorgezogen. Aus gutem Grund. Die VWL-Expertin und ausgebildete Mathematikerin ist Mitglied der Corona-Taskforce. Sie hat Zugang zu den besten Informationen über die Pandemie. Sie hat den Überblick. Ihr Wort hat Gewicht. Und Bütler sagt: «Die Situation ist kritisch, das Risiko einer weiteren Verschlechterung ist gross.»
Die Schweiz habe im internationalen Vergleich sehr hohe Fallzahlen. «In den Spitälern ist die Belegung der Intensivplätze hoch, das Personal sehr stark belastet. Der Trend geht in die falsche Richtung: Die Fallzahlen sinken nicht, sie steigen sogar eher. Wir haben seit Wochen sehr viele Todesfälle ohne Tendenz einer Besserung.»
«Die Menschen sind coronamüde»
Es brauche nur sehr wenig, dann stiegen die Fallzahlen noch schneller. «Die aktuelle Entwicklung lässt sich nicht lange durchhalten. Schon heute werden aus aufgeschobenen Operationen Notfälle, und es gibt Ausbrüche in Gesundheitsinstitutionen.»
Um der Situation zu begegnen, hat der Bundesrat unlängst einen zweiten Teil-Lockdown verfügt. Gültig seit gestern Dienstag. Bütler ist unsicher, ob das ausreichend sein wird. «Geschlossene Restaurants und teilweise Läden konnten die Fallzahlen in der Romandie eine Zeit lang senken, nun stagnieren sie nur noch.»
Was lief schief? «Neben den Massnahmen», sagt Bütler, «ist auch das Verhalten der Menschen wichtig.» Das sei in der ersten Welle die grosse Stärke der Schweiz gewesen. «Die Regeln waren zwar weit weniger streng als im Ausland, wurden aber sehr gut befolgt. In der zweiten Welle sind die Menschen coronamüde. Während im März die Mobilität schon vor dem Lockdown sehr stark zurückging, sank sie im Herbst kaum.»
«Durch den Winter kommen»
Bütler, sonst eine grosse Befürworterin des Föderalismus, sieht das politische System am Limit. «In einer Krise, die rasche Entscheidungen erfordert, gibt es nur zwei Lösungen: Entweder übernimmt der Bundesrat die Verantwortung, oder die Koordination der Kantone muss so gut sein, dass eine gemeinsame Verantwortung möglich ist.»
Weitere Veränderungen macht sie in der Arbeitswelt aus. «Wir werden nicht in der gleichen Welt aufwachen», sagt sie über die Zeit nach Corona. «In der Krise haben sich viele Trends stark beschleunigt, die schon vorher zu beobachten waren. Homeoffice wird beliebt bleiben, die Menschen essen weniger auswärts zu Mittag, was wiederum Jobs in der Gastronomie kostet. Darum wird es grosse Anstrengungen brauchen, um diese Menschen weiterzubilden oder umzuschulen.»
Unterm Strich ist für die Ökonomin aber klar: «Zuerst müssen wir durch den Winter kommen.» (ise)