Auf einen Blick
Sie ist die Bankerin, von der sich selbst Sergio Ermotti etwas sagen lässt. Alle zwei Wochen ruft Michelle Bereaux die Mitglieder des Integrationskomitees zusammen, und da kommen alle Männer brav: CEO Sergio Ermotti, Finanzchef Todd Tuckner, Personalchef Stefan Seiler, Compliance-Vormann Markus Ronner. Sie alle wissen: Don’t mess with Michelle.
An Erfahrung mangelt es der Frau von der Karibikinsel Trinidad nicht. Sie war schon bei der letzten grossen Fusion der UBS mit dem Basler Bankverein dabei, bei dem sie im letzten Jahrhundert – 1992 – in London begonnen hatte. Die Expansion der Nullerjahre, die Nahtod-Erfahrung 2008, die Radikalkur danach: Sie hat alles gesehen und oft durchlitten. Auch Ermotti lernte sie 2011 bei seinem ersten grossen Umbauprogramm Accelerate schätzen, als sie als COO der Investmentbank die Zahlen für den scharfen Abbau knetete. Und jetzt laufen bei ihr die Fäden der Übernahme der gesunkenen CS zusammen: Ermotti machte sie als eine seiner ersten Personalentscheidungen gerade 40 Tage nach seinem Comeback zur Integrations-Chefin mit Sitz in der Konzernleitung.
«Als Mitglied der Konzernleitung berichte ich an Sergio, aber ich leite das Integration Committee», verfügt die 60-jährige Cambridge-Juristin, einst als Studentin nach England gekommen und auch britische Staatsbürgerin. Die mächtigen Spartenchefs gehören dem Komitee zwar nicht an, doch wenn Bereaux sie aufbietet, müssen sie kommen – Ausreden sind Luxus.
Nach aussen sieht alles so glatt und reibungslos aus, was Ermotti und seine Mitstreiter alle drei Monate bei der Quartalsberichterstattung über die Integration rapportieren. Doch ein Blick in das Innere der Fusionsmaschinerie zeigt: Es geht auch hier um Blut, Schweiss und zuweilen Tränen. 21 Workstreams hat die Integrations-Chefin definiert, jeden Mittwoch treffen sich die Streamleiter für 90 Minuten, darunter liegen 200 Sub-Workstreams in den vier Konzernsparten, alles mit einem Ziel: die 101 Milestones, letztes Jahr von Bereaux’ Team festgelegt, bis Ende 2026 zu erreichen. Mehr als 600 Leute zählt allein ihr Team, zehn Prozent der Mitarbeiter sind bankweit mit Integrationsarbeiten beschäftigt – gegen 11'000 Personen. Und an den Schalthebeln: eine zierliche Frau aus der Karibik, die 2015 bereits fast ausgestiegen war und auf englischen Greens an ihrem Golf-Handicap arbeitete, dann aber nach Zürich zurückkehrte.
Test für den Finanzplatz Schweiz
Es ist eine Transaktion der Superlative. Nicht nur werden zwei Institute zusammengeschweisst, die dem gefährlichsten Klub der Welt angehörten: den 30 global systemrelevanten Banken, von denen laut den Regulatoren jede das Potenzial hätte, bei einer Pleite das gesamte Finanzsystem in den Abgrund zu reissen. Es ist auch für den Finanzplatz Schweiz eine historische Standortbestimmung: Will der Kleinstaat eine Weltmacht in der Vermögensverwaltung bleiben und die UBS in ihrem globalen Anspruch als Nummer eins in der Schweizer Paradedisziplin unterstützen? Oder setzen sich die Politiker, Professoren und Regulatoren durch, die sich mit einem Weltplayer schwertun und im UBS-Bashing Profilierungspotenzial wittern – auch als Form der Überkompensation, weil sie den Niedergang der Credit Suisse jahrelang offenen Auges geschehen liessen?
Und dann ist da die Börse mit ihren eigenen Ansprüchen. Einen Aktienkurs von mehr als 50 Franken sieht der Investor Cevian, der direkt nach dem CS-Deal eingestiegen ist, was den Marktwert in die 200-Milliarden-Region katapultieren würde – heute pendelt er zwischen 25 und 28 Franken. Natürlich nennt die Bank öffentlich keine Zahlen. Aber 160 Milliarden Börsenwert lautet auch intern die Zielmarke – ein Kurs von 45 Franken. Doch die Anfangseuphorie ist verschwunden, seit Jahresbeginn sind die Zuwächse homöopathisch, obwohl die Bank in den beiden letzten Quartalen die Erwartungen deutlich übertroffen hat. Der Weg bleibt steinig, das Friendly Fire der Regulatoren aus dem Heimmarkt mit ihren überzogenen Kapitalforderungen hilft nicht.
Dazu geschieht alles unter dem Brennglas der Öffentlichkeit. Dass die Bank die Leitung ihres Wealth Managements unlängst wieder auf zwei Köpfe verteilte und den vermeintlichen Kronprinzen Iqbal Khan mit nur noch halbem Reich nach Asien schickte, fand im Bankenland Schweiz mehr Aufmerksamkeit als die Chefwechsel bei ABB und Roche zusammen. Es geht eben um das Wichtigste der Kunden: ihr Geld. Und das im Digital-Zeitalter in neuen Dimensionen: Jeder Kunde ist nur einen Klick vom Geldabzug entfernt. Dass die Bank die Integration sauber durchzieht, ist im Kurs eingepreist. Das heisst aber auch: Fehler sind nicht erlaubt.
BILANZ konnte als erste Publikation einen Blick in den Maschinenraum der Jahrhundert-Übernahme werfen. Der Präsident und sieben Konzernleitungsmitglieder standen für Gespräche zur Verfügung. Sie belegen vor allem: Hier trifft ein Weltkonzern auf einen Kleinstaat – wenn sich Ermotti wie bei der letzten Quartalspräsentation mit Vorwürfen der Kreditverteuerung im Heimmarkt beschäftigen muss, ist das in etwa so, als würde sich der Armeechef um die Reifenprobleme der Tankflotte kümmern. Und: Es ist ein extrem erfahrenes Leitungsteam am Werk, selbst in Merger-Dingen, die auch Bankveteranen nur selten erleben. Sie wissen, was sie tun.
Manchmal gibt es diese Fälle: der richtige Mann zur richtigen Zeit. Als Ermotti 2016 in St. Moritz mit dem Projekt Signal erstmals die CS-Übernahmepläne anstiess, hiess der Präsident noch Axel Weber, und man tritt dem Ex-Chef der Deutschen Bundesbank kaum zu nahe mit der Feststellung: Sein Nachfolger Colm Kelleher ist für die Herausforderungen des Mergers deutlich besser geeignet. Die Finanzkrise 2008 hatte der Ire als Finanzchef der Wall-Street-Ikone Morgan Stanley am New Yorker Times Square im Herzen der Finanzwelt durchgestanden, und die Vorzüge einer Notübernahme zum Ausverkaufspreis hatte er später durch die Übernahme des Wealth Managers Smith Barney erlebt. Den Niedergang der CS sah er bereits seit 2015 mit dem Antritt von Tidjane Thiam kommen, und als es im Schicksalsjahr 2023 dann so weit war, hatte er sein Team bestens vorbereitet, inklusive des vorgespurten Comebacks Ermottis.
Alles auf den Tisch
Vor seinem Antritt beging der Katholik den Jakobsweg (nach dem Fussmarsch abends durchaus mit einem Glas Whisky), und da erstaunt es nicht, dass er den aktuellen Stand mit einem alpinistischen Vergleich belegt: «Wir stehen 800 Meter vor dem Viertausender-Gipfel, nach einem steilen Aufstieg auf einem leichten Plateau. Doch von meiner Jakobsweg-Wanderung weiss ich: Das letzte Stück Weg und der Abstieg sind oft schmerzvoller.» Es sind nicht nur die Merger-Erfahrung und das Kapitalmarkt-Know-how aus dreissig Morgan-Stanley-Jahren, die den 67-Jährigen so wertvoll machen – es ist auch das Netzwerk. Direkt nach der Übernahmeverkündung rief er die zwei grössten Deal-Profis der Wall Street an: J.P.-Morgan-Überbanker Jamie Dimon und Bank-of-America-Vormann Brian Moynihan.
Besonders Moynihan lieferte eine zentrale Blaupause: Er hat den Deal orchestriert, der noch am ehesten mit der CS-Übernahme vergleichbar ist – die Übernahme des Wall-Street-Riesen Merrill Lynch im Zuge der Finanzkrise durch die Bank of America. Die Bullet Points von Moynihans Aussagen verteilte Kelleher an die Konzernleitung – auch für Bereaux war der Input elementar. Zwei Punkte stachen heraus: Speed, Speed, Speed. Und: zuerst alle Daten, Produkte, Kundenbeziehungen vollkommen einbringen und grob integrieren. «Erst muss alles auf den Tisch, damit es keine Überraschungen gibt. Es braucht rasche Entscheidungen zur Technologie. Und man darf sich nicht von bestehenden Projekten ablenken lassen, bis die wichtigsten Meilensteine umgesetzt sind.»
Der von ihm wieder installierte CEO tickt im gleichen Takt, die Zielmarke für die Gipfelbesteigung setzt Ermotti für das erste Quartal 2025. In seiner zweiten Amtszeit verströmt der 64-Jährige eine grössere Gelassenheit bei Tagesproblemen, aber auch eine stärkere Entschlossenheit bei den grossen Dingen – da war die Präsidentenperspektive bei dem ebenfalls globalen Finanzplayer Swiss Re sicher hilfreich. Die CS-Übernahme ist seine Herzenssache seit den ersten Planspielen in St. Moritz. Doch damals ging es um einen klassischen Merger mit dem rituellen Gerangel um Chefposten, Logos und Plattformen wie bei der letzten Grossbankenfusion 1998. Jetzt ist es eine knallharte Übernahme, zeitraubende Auswahlverfahren entfallen, die CS wird einfach auf die UBS-Plattform geschoben. Ermotti kann auf Speed setzen. Die neue Führung, heute ohne einen einzigen CS-Vertreter: nach sechs Wochen. Der Verzicht auf Staatshilfe: nach fünf Monaten. Die Bewilligung von 80 Behörden in 40 Ländern: nach 12 Monaten. Der Merger des Stammhauses: nach 13 Monaten. Der Schweiz-Merger: nach 15 Monaten. «Wir liegen mit der Integration drei bis sechs Monate vor unserem Zeitplan», betont er dann auch. «Aber wir haben noch viel harte Arbeit vor uns.»
Bloss kein Merger-Blues
Jetzt kann er alle Erfahrungen seines langen Bankerlebens einbringen: den Radikalabbau der Investmentbank von 2012, die Integration von HypoVereinsbank und Bank Austria in die italienische Unicredit mit ihm als Vize-CEO, die Kapitalmarktjahre bei Merrill Lynch. Ein Rulebook für diese Übernahme gibt es nicht, dazu ist sie zu gross und einzigartig. Aber Leitplanken. Eben: Speed. Dann: Best Practice statt Experimente – keine wilden Pläne, wie es sie bei der CS zuhauf gab. Die CS-Investmentbank etwa, die der letzte Präsident Axel Lehmann mit einem überfrachteten Plan retten wollte, machte Ermotti einfach dicht. Fokus auf Exekution und dennoch ambitionierte Ziele: Dass etwa im Kerngeschäft Wealth Management eins und eins mehr als zwei ergeben soll, formulierte er schon früh. Verzicht auf Strategieberater («Wir haben selbst genug Know-how»). Klare und häufige Kommunikation nach innen und aussen. Und all das im Wissen der Unwägbarkeiten der Finanzmärkte. Marcel Ospel, Baumeister der letzten Bankenfusion 1998 und in Ermottis jungen Jahren sein Chef beim Aufbau der Zürcher Merrill-Lynch-Niederlassung, sass zwei Jahre nach der Fusionsverkündung eher deprimiert bei seinem 50. Geburtstag: Profit und Kurs lagen weit hinter den Zielen, und die verhasste CS hatte ihn überflügelt (ja, wirklich). Irgendwann erfasst der Merger-Blues eben fast alle – laut «Harvard Business Review» scheitern 70 bis 90 Prozent der Fusionen. Ermotti soll das nicht passieren.
CS wild verzettelt
Und das macht die aktuelle Situation so speziell. Man könnte auch sagen: Der einfachste Teil liegt hinter ihm. Die erste Phase bis zum Closing lief erstaunlich störungsfrei, die zweite Phase mit der Zustimmung der Regulatoren und den formalen Mergern von Stammhäusern und Schweiz-Einheiten war vor allem eine Juristen-Herausforderung. Die entscheidende Phase beginnt jetzt: Die Migration der CS-Daten auf die UBS-Plattform. Ermotti: «Das ist unsere grösste Herausforderung.»
Und da ist ein Mann gefragt, den so wie die Integrationschefin Bereaux kaum jemand kennt. Er war in den Tagen nach der Dealverkündung sogar kurzzeitig ihr Chef. Der Engländer Mike Dargan begann nach dem Oxford-Studium bei dem Berater Oliver Wyman und sammelte beim bis dahin grössten Merger Integrationserfahrung: Er war bei Merrill Lynch, als das Wall-Street-Haus von der Bank of America übernommen wurde – ein grosser Vorteil, genauso wie seine Jahre bei der englischen Grossbank Standard Chartered als Technologie-Chef. Es war dann der technologieaffine Kurzzeit-CEO Ralph Hamers, der Dargan nach fünf Jahren bei der UBS als Technologie-Chef in die Konzernleitung hievte und ihn direkt nach der Dealverkündung zum Leiter des Integrationsteams bestimmte, dem auch Bereaux angehörte. Doch dann postierte Ermotti Bereaux als eigenständige Integrationschefin in die Konzernleitung. Der Akzent seiner nordenglischen Heimatstadt Newcastle ist bei dem 47-Jährigen abgeklungen, und trotz seiner Wall-Street-Jahre ist er von einem amerikanischen Lautsprecher weit entfernt. Wenn auch von Hamers nicht viel geblieben ist: Die Erkenntnis, dass Banking zu einem Grossteil längst IT ist, verkörpert Dargan zweifellos. Die IT-Leute arbeiten im Schatten, sind aber das Rückgrat einer Bank. Bei der UBS sind es mehr als 40'000 Mitarbeiter – etwa ein Drittel der Belegschaft.
«Das ist der grösste Merger der Finanzgeschichte», betont Dargan und belegt das mit einer Zahl, die selbst dem Veteranen noch Respekt einflösst: Die CS verfügte über 110 Petabytes an Daten, die grösste je zu integrierende Datenmenge einer Übernahme. Ein Petabyte entspricht 1000 Terabyte oder auch: 500 Milliarden Seiten gedrucktem Standardtext, 20 Millionen hohen Aktenschränken oder zweieinhalb Jahren Non-Stop-Filmbeschauung. Die Daten liegen auf mehr als 100'000 Servern in 16 Datencentern. Hier zeigt sich exemplarisch, wie die marode CS in den letzten Jahren seit 2015 unter Tidjane Thiam und seinen Nachfolgern kaputtgespart wurde. Die UBS lagerte bereits 70 Prozent ihrer Daten in Cloud-Lösungen, die CS hatte damit noch nicht begonnen und ihr wild verzetteltes IT-Reich einfach spriessen lassen. Allein 3000 Finanzapps zählte die Bank, deutlich mehr als die UBS. Mehr als 90 Prozent werden eingestellt.
Die UBS operierte auf einer integrierten Plattform, One WMP genannt, 2017 für fast eine Milliarde Franken von der Schweiz aus weltweit (ohne USA) ausgerollt, bei der CS wurstelte jedes Land mit eigenem Set-up. Die verzettelte Technologie war auch ein Grund, warum die CS ihre Risiken nicht auf Konzernstufe sauber aggregieren konnte, was die Chefs blind fliegen liess – und die Grossunfälle Greensill und Archegos befeuerte. «Es war für uns schnell klar, dass wir auf die UBS-Technologie setzen, da diese auf einem höheren Stand ist, und das erleichtert die Integration», betont Dargan. Er liegt auf Kurs. «Derzeit haben wir keine Verzögerung». Stand Ende Juni: 26'000 der 100'000 CS-Server abgeschaltet, 418 der 3000 CS-Applikationen gelöscht. Am Ende sollen von den 32 Datencentern – auch die UBS hatte bislang 16 – nur 14 bleiben. Zielmarke: Ende 2026.
Doch es ist die Ruhe vor dem Sturm. Die Datenmigration ist das Kernstück des Mergers, und nur das kleinste Leck oder Missgeschick hat reputativ verheerende Folgen. Erster Testfall werden in den nächsten Wochen die Einheiten in Singapur und Hongkong sein. Der Grund: Hier sind die Erfahrungswerte am höchsten. Die asiatischen Kunden wurden 2017 auf die Plattform One WMP übergeführt, und schon dieses Experiment zeigte die Komplexität. Kunden mit einem einfachen Portfolio – Aktien, Fonds – liessen sich einfach übertragen, aber schon bei komplexeren Konstrukten – speziellen Derivaten, Trusts, sensiblen Herkunftsländern – brauchte es eine händische Betreuung. Die UBS hat jetzt sogar wieder die schon ausgeschiedenen Mitarbeiter von damals reaktiviert, genauso wie externe Spezialisten.
Grösstes Absturzrisiko
Auch hier zentral für Dargan: die Zusammenarbeit mit Bereaux. «Wir reden fast täglich: Die Daten, die Kundenmigration und die Technologie ganz allgemein stehen im Mittelpunkt», betont sie. Zentraler Bestandteil: die Testläufe. Hier liefert Bereaux Dargan wichtige Erfahrungswerte. Für die Fusion der Stammhäuser wurden Mitte April und Anfang Mai zwei Wochenenden angesetzt, um die Abarbeitung der 800 Punkte auf der Projektliste zu simulieren – von den Benachrichtigungspflichten gegenüber den Regulatoren über die Harmonisierung der Berechnungstools bis zur Anpassung in den Handelsregistern. Beim ersten Mal dauerte die Probe noch 58 Stunden, beim zweiten deutlich weniger. Natürlich hakte es hier und da, für manches Problem ging es doch nicht ohne externe Fachberater. Aber schliesslich kam alles gut. Bereaux: «Das Wichtigste ist, dass wir bei Problemen schnell eingreifen können.»
Jetzt muss Dargans Team mit der Datenmigration nachziehen. Für jede Einheit werden sogar drei Testläufe gemacht, am Anfang steht jeweils ein Kunde mit einem simplen Cash-Account, dessen Übertrag auf das neue System in einem Probelauf getestet wird, dann folgen anspruchsvollere Kunden mit Derivateprodukten. Die genauen Milestones für jedes Projekt führt Dargan über ein Dashbord – Power BI von Microsoft –, das wiederum in das grosse Integrations-Dashbord von Bereaux einfliesst. Die Erfahrung der ersten Asien-Migration vor sieben Jahren zeigt die Gefahr: Die Kosten lagen fast doppelt so hoch wie das Budget, die Zeitvorgaben wurden gerissen. Und damals handelte es sich gerade um etwa 30'000 Kunden – in der Schweiz sind es eine Million.
Mehr zur Credit-Suisse-Übernahme
In Europa soll im vierten Quartal als Erstes Luxemburg folgen – und dann im nächsten Jahr die Schweiz. Dabei soll die Personalzahl sogar steigen: Die UBS setzte schon vor der Übernahme deutlich stärker auf Inhouse-IT-Spezialisten als die CS, das hatte Ermotti schon in seiner ersten Amtszeit verfügt. Als Dargan anfing, lag die Quote bei 30 Prozent, heute sind es 60 Prozent, die Zielmarke liegt bei 85 Prozent – eine frohe Kunde für die Schweizer CS-IT-Mitarbeiter. IT ist Kerngeschäft, denn hier liegt das grösste Absturzrisiko: Verzögerungen, Zusatzkosten, Personalengpässe. Sie können das Erreichen des heiligen Sparziels von 13 Milliarden Franken gefährden – und den Kurs in den Keller schicken.
Null Fehlertoleranz
Der Erfolg der Datenmigration ist dann auch für Schweiz-Chefin Sabine Keller-Busse die Königsetappe der Übernahme – zumal die schweizerisch-deutsche Doppelbürgerin zu den fünf Auserwählten zählt, die nach der jüngsten Rochade den Medien als mögliche Ermotti-Nachfolger zugeraunt werden. Auch die HSG-Absolventin und Ex-McKinsey-Frau bringt viel Erfahrung ein: Als Ex-HR- und Corporate-Center-Chefin kennt sie die Bank genaustens, seit 14 Jahren ist sie an Bord, als Lenkerin des fusionierten Schweiz-Geschäfts war sie gesetzt. Die ersten Erfahrungswerte in Asien werden für die Migration hilfreich sein, doch die Komplexität ist deutlich grösser: Die Kunden haben vielschichtigere Portfolios, gleichzeitig ist das Brennglas in der medial aufgeheizten Heimat deutlich heisser. Fehlertoleranz: null. Die Vorbereitungen starten in den nächsten Wochen, es wird auch hier dreiteilige Probeläufe geben. Ende 2025 soll alles übergeführt sein, doch die Server müssen weitergeführt werden. Erst Ende 2026 ist wirklich Schluss – so der Plan.
Aber natürlich hilft es auch der Schweiz-Chefin, dass es sich um eine klare Übernahme handelt. Im Heimmarkt wäre ein klassischer Merger mit einem Austarieren der Verantwortlichkeiten extrem mühsam geworden, die CS hätte aufgrund ihrer Marktstellung mindestens gleichberechtigt sein wollen. Jetzt leitete Keller-Busse zwar einen sauberen Auswahlprozess, doch das Ergebnis ist ernüchternd: Es findet sich kein einziger CS-Vertreter in der siebenköpfigen Geschäftsleitung. «Das war kein fehlender Wille», sagt Keller-Busse. «Wir haben uns einfach für die beste Person für den jeweiligen Job entschieden. So wie wir es auch für die nächste Führungsstufe unter der Geschäftsleitung Schweiz gemacht haben, wo Kolleginnen und Kollegen der Credit Suisse mit einem Drittel vertreten sind.» So sind etwa 70 der 200 Top-Leute der neuen UBS-Schweiz Ex-CS-Vertreter, darunter drei der zehn Regionenchefs. Und es kamen neue Fertigkeiten hinzu: Der CS-Schweiz-Investmentbanking-Chef Jens Haas blieb mit seinem Team an Bord, die CS-Plattform zur Exportfinanzierung wurde voll übernommen, das institutionelle Geschäft dem CS-Mann Daniel Hunziker übertragen.
Aber die Schweiz-Chefin war auch ernüchtert. Schon der Dauerbeschuss zwei Jahre vor dem CS-Aus hatte viele erfahrene Mitarbeiter aus der Bank getrieben, und dass das Image der Unternehmerbank auch mangelndes Risikobewusstsein bedeuten konnte, sah sie in den Zahlen: Die Verluste auf Firmenkrediten lagen bei der CS bei vergleichbarem Volumen sechs Mal höher als bei der UBS. Das Retailgeschäft hatte die CS fast aufgegeben, und bei den Firmenkunden war man zwar oft näher und schneller beim Klienten, aber beim Pricing oft zu flexibel, was die Strahlkraft des Ausdrucks «unternehmerisch» intern eher verblassen liess. Hier musste sie adjustieren. Doch dass es eine generelle Verschlechterung der Konditionen gibt, wie anonym von manchem Firmenpatron kolportiert, lässt sie nicht gelten: «Das hat nichts mit der Integration zu tun. Die Zinssituation, die Geldmenge und das Marktumfeld haben sich verändert. Wir praktizieren ein markt- und risikogerechtes Pricing.» Die UBS bat sogar den Industrieverband Swissmem, mögliche Beschwerden von Kreditkunden weiterzureichen. Stand bisher: null. Doch Fakt ist: Als Schweiz-Chefin steht die 59-Jährige an der Frontlinie, und ihre Datenmigration ist der heisseste Ritt der Übernahme. Die grosse Bewährungsprobe steht ihr noch bevor.
Da hat es die Spanierin Beatriz Martin leichter. Die Leiterin der Abbaudivision «Non Core and Legacy» wird UBS-intern ebenfalls als Nachfolgekandidatin genannt. Wie Bereaux ist auch sie durch die harte Schule des Ex-Investmentbanking-Chefs Andrea Orcel gegangen, die Spanierin war seine Stabschefin und beim Grossabbau Accelerate eine treibende Kraft. «Damals war die Herausforderung, dass wir als erste Bank so etwas in Angriff nahmen und Nachfrage generieren mussten. Die Märkte waren offen, und andere Banken waren immer noch aktiv in komplexen Produkten» sagt die 51-Jährige per Videocall aus ihrem Londoner Büro. «Das heutige Mandat ist aber anspruchsvoller, weil wir zusätzlich die Infrastruktur zurückbauen.» Der Grossteil der zu verkaufenden Positionen lagert auf CS-Servern – und musste erst einmal von Dargans Teams isoliert werden. 85 Milliarden Dollar an risikogewichteten Aktiven soll sie abbauen, 36 Milliarden hat sie schon geschafft und liegt damit deutlich vor dem Zeitplan. Dass die Nationalbank ausgerechnet ihren Bereich im letzten Stabilitätsbericht als Risikozone identifizierte, entbehrt da nicht einer gewissen Ironie. Bei der Zahlenpräsentation Mitte August lieferte sie die grösste Outperformance.
Ämterteilung
Ob der jüngste Umbau für seinen Aufstieg eher fördernd oder mindernd ist, gilt bei einem Mann intern als umstritten: Iqbal Khan, bis Ende Juni Leiter des gesamten Wealth Managements und damit Herr über mehr als die Hälfte des Gewinns, jetzt nur noch Co-Chef mit dem bisherigen Investmentbank-Vormann Rob Karofsky. Im September zieht er nach Hongkong. Als Ex-Chef des internationalen Wealth Managements der CS kannte er den Grossteil der Führungsmannschaft, und hier liegen die grössten Verheissungen: In Südostasien war die CS deutlich stärker als die UBS (wie auch in Lateinamerika), aber mit einem stärkeren Investmentbanking-Ansatz auch hier wilder. «Die Übernahme beschleunigt unser Wachstum um sieben bis acht Jahre», betont Khan. Den Start der Datenmigration wird er in Hongkong und Singapur vor Ort erleben. Sein Ziel: Ermottis Vorgabe umsetzen. «Wir wollen im Wealth Management erreichen, dass eins und eins mehr als zwei ergibt.»
«Es kam überraschend», sagt per Videocall aus New York der Mann, mit dem sich Khan die Leitung der reifen Märkte in Europa teilen soll. «Aber nach 35 Jahren im Investmentbanking ist dies eine tolle Herausforderung.» Sechs Jahre führte Rob Karofsky die Investmentbank, drei Jahre als Co-Chef, drei Jahre allein, und die Zahlen sprechen für ihn. Im Herzen bleibt er Investmentbanker, und dass er als Chairman für Amerika hier in New York weiter Einfluss in seiner Stammdomäne ausüben wird, ist Teil der Abmachung.
Seine Berufung zum neuen Chef des US-Wealth-Managements ist auch Teil des Neubeginns. Die Expansion in die USA vor mehr als zwanzig Jahren durch den Kauf des Vermögensverwalters Paine Webber ist primär eine Leidensgeschichte, und die Zusammenlegung der Einheiten unter eine Führung war schon fast eine Verzweiflungstat. Das Businessmodell in den USA ist anders, die Kundenberater nennen sich Financial Advisors und sind provisionsgesteuert, was die Kosten hochtreibt. Die bisherige Leiterin Naureen Hassan, direkt unter Khan postiert, wurde zudem durch eine schwere Krankheit zurückgeworfen. Jetzt soll Karofsky einen Neuanfang bringen, das US-Zahlenwerk soll auch wieder separat ausgewiesen werden. Das Ziel: unter die Top 3 zu kommen. Die Strategie ist klar: erst mal die Kunden stärker binden über klassische Bankprodukte und dann in drei bis vier Jahren eine Akquisition – am besten einen günstigen Notdeal wie bei der CS-Übernahme.
Nachfolgespekulationen
So scheint Karofsky derzeit erster Anwärter auf die Ermotti-Nachfolge, auch wenn er bereits 57 Jahre alt ist. Er ist am breitesten aufgestellt von allen Kandidaten. Zwei angelsächsische Investmentbanker an der Spitze wären allerdings schwer vermittelbar. Eine Möglichkeit wäre, den frisch bestellten Asset-Management-Chef Aleksandar Ivanovic, mit seiner Morgan-Stanley-Vergangenheit bei Kelleher hoch angesehen und Schweizer, bei Karofskys Kür gleich zum Vize zu erklären. Oder dann anzukündigen, dass Ermotti nach einem Cooling-off von zwei Jahren Kelleher als Präsident beerbt. Das wäre frühestens in fünf Jahren der Fall – wenn der dann 69-jährige Ermotti überhaupt will. Alle wissen: Das ist weit weg. «Die Nachfolgefrage stellt sich derzeit nicht», betont Ermotti dann auch. «Wir müssen die Integration erfolgreich vorantreiben und Resultate liefern.»
Bisher liefert er mit seinem Team seinen Teil des Deals. Die UBS hat den Finanzplatz vom Grossrisiko CS befreit und treibt die Integration hochprofessionell voran. Ihr grösstes Hindernis ist derzeit, dass die andere Seite ihre Abmachung nicht einhält und de facto über erhöhte Kapitalforderungen nachverhandeln will. «Wir werden im zweiten Halbjahr die Gespräche mit den Behörden vertiefen», betont Kelleher, der sich hier als Dealarchitekt persönlich einbringt. Bis zu 25 Milliarden Franken Zusatzkapital stehen im Raum. Die Schmerzgrenze für die UBS liegt bei zehn Milliarden. Es wird ein heisser Herbst.