Auf einen Blick
Nahostkonflikt, Ukraine-Krieg, Zuwanderung, Klimawandel, EU-Verhandlungen, Ehe für alle – egal ob diese Themen das Kerngeschäft eines Unternehmens überhaupt tangieren oder nicht, aus den Chefetagen Schweizer Firmen hört man heute Statements zu gesellschaftspolitischen Fragen aller Art. Manager werden zu Meinungsmachern, nutzen ihre Plattformen, um im politischen Diskurs mitzumischen. Sei es, um eigene Interessen zu vertreten, das Image der Firma zu pflegen oder weil sie sich dazu gezwungen fühlen. Schon werden Stimmen laut, die mehr Neutralität fordern.
Bei den drei Gründern der Partners Group, Alfred Gantner, Urs Wietlisbach und Marcel Erni, sowie ihren zahlreichen Mitstreitern der Kompass-Initiative beissen solche Kritiker auf Granit. Bei ihrer Mobilmachung gegen ein Rahmenabkommen mit der EU scheuen sie das Rampenlicht nicht. Die Kommunikation der Kompass-Initiatoren ist geprägt von Parolen und Schlagwörtern, die Emotionen wecken und polarisieren. Dank des sagenhaften Finanzpolsters, das sie in den vergangenen Jahrzehnten mit ihrer erfolgreichen Private-Equity-Firma aufgebaut haben, können sich Gantner und seine Kompagnons ihr politisches Engagement etwas kosten lassen.
Neben bekannten Namen aus Film, Funk und Fernsehen haben sie Jörg Wolle, VR-Präsident von Kühne+Nagel, den ehemaligen Topbanker Eric Sarasin, die Medtech-Unternehmerin Liz Prohaska und den Immobilienmilliardär Stéphane Bonvin – um nur einige zu nennen – für ihre Sache gewonnen.
Gepolter in den USA
Politisch ambitionierte Unternehmer gab es in der Schweiz schon immer. Dass sich die Eigentümer einer börsennotierten Firma aber so stark politisch exponieren, ist eher eine Seltenheit. Ganz im Gegensatz zu den USA, wo es zahlreiche historische Beispiele von Unternehmern gibt, die aufgrund ihres Reichtums und Ansehens in der Politik Einfluss nahmen. Vom Stahlmagnaten Andrew Carnegie bis zum Selfmade-Milliardär Michael Bloomberg, der nicht nur ein Finanz- und Medienimperium aufgebaut hat, sondern auch mehr als ein Jahrzehnt Bürgermeister von New York war. In den vergangenen Monaten gab Tech-Milliardär Elon Musk zu fast jedem politischen Ereignis dies- und jenseits des Atlantiks ein Statement ab. Den Wahlkampf von Donald Trump unterstützte er mit 120 Millionen Dollar und erhält nun einen Posten im Weissen Haus.
«Der Kontrast zu amerikanischen Unternehmen ist gross», sagt David Bach, Präsident der privaten Wirtschaftshochschule IMD in Lausanne. «Schweizer Manager sind vergleichsweise vorsichtig in der externen Kommunikation. Viele fürchten die Risiken, wenn sie sich zu stark positionieren.» Doch auch hierzulande bringen sich immer mehr Firmenchefs politisch in Stellung, wie beim Thema EU-Verhandlungen, das wie kein anderes die Schweizer Wirtschaft spaltet.
Die Kompass-Initiative der Partners-Group-Gründer ist für Jobst Wagner, Familienunternehmer und Initiator des Thinktanks StrategieDialog21, kein gutes Beispiel für politisches Engagement: «Es ist legitim, zu lobbyieren, Einfluss zu nehmen bis hin zu einer Initiative wie dieser. Für mich ist es aber wichtiger, in grösseren Zusammenhängen zu denken und zu argumentieren.»
Laute und leise Statements
Auch FDP-Nationalrat und Medtech-Unternehmer Simon Michel steht für einen bilateralen Weg mit der EU ein. Obwohl die Initiatoren der Kompass-Initiative und er als Unternehmer oft ähnliche Standpunkte vertreten – und beide den Schweizer Skisport unterstützen –, könnten sie in der EU-Frage nicht weiter voneinander entfernt sein. Auch Swissmem-Präsident Martin Hirzel spricht sich bei jeder Gelegenheit für ein EU-Rahmenabkommen aus. Dabei wird der ehemalige Autoneum-Chef allerdings nicht von einer Armada prominenter Wirtschaftsvertreter unterstützt – entsprechend leiser ist das Echo. Schon Jahre bevor sich die Gründer der Partners Group für den Widerstand gegen eine Annäherung an die EU in Stellung brachten, hatte der Logistiker Hans-Jörg Bertschi Autonomiesuisse gegründet.
Seine Mitstreiter sind namhafte Industrieunternehmer wie Hans-Peter Zehnder, Otto Suhner und Giorgio Behr sowie die Zürcher Vermögensverwalterin Alexandra Janssen. Autonomiesuisse tritt weniger laut auf als die Initiatoren der Kompass-Initiative, doch auch Bertschi nimmt in der Debatte kein Blatt vor den Mund. Bundesrat Beat Jans, der sich zur möglichen Rolle des Europäischen Gerichtshofs geäussert hatte, unterstellte er die Verbreitung von Fake News. Und auch Zehnder ist für pointierte Aussagen zu haben. «Wir sind der Auffassung, dass ein Land – ähnlich wie in der Unternehmensstrategie – anders sein sollte als seine Konkurrenz. Die Schweiz sollte sich in der Organisation von anderen Ländern abheben und besser sein», sagte er kürzlich gegenüber der «Handelszeitung».
Streit ums Erbe
Grosse Einigkeit herrschte hingegen bei einem anderen Thema: der Erbschaftssteuer-Initiative der Jungsozialisten. Diese versetzte Schweizer Unternehmerinnen und Unternehmer derart in Rage, dass sich beinahe alle zu Wort meldeten. Sogar Medtech-Unternehmer und Hotelbesitzer Thomas Straumann, der nicht bekannt dafür ist, sich je zu politischen Themen in der Öffentlichkeit zu äussern, kritisierte die Initiative in den Medien aufs Schärfste und warnte vor den negativen Folgen für das Unternehmertum in der Schweiz. Auch Unternehmer Giorgio Behr fand klare Worte, nennt die Initiative «eine abstruse Idee von wohlstandsverwöhnten Leuten».
Die öffentliche Debatte in Gang gesetzt hatte Stadler-Rail-Chef Peter Spuhler: Die Erbschaftssteuer-Initiative zwinge ihn dazu, einen Wegzug aus der Schweiz zu erwägen – mit diesem Statement war ihm die Aufmerksamkeit der Medien gewiss. Spuhler kennt sich aus im Politikbetrieb. Er sass viele Jahre für die SVP im Nationalrat. Er weiss, wie man politische Statements formuliert, damit sie ihre Wirkung nicht verfehlen. Zum Angriffskrieg gegen die Ukraine meldete er sich als einer der ersten Schweizer Unternehmer zu Wort, verurteilte den russischen Einmarsch und befürwortete die Sanktionen. Viele Manager folgten seinem Beispiel.
Eine sehr viel komplexere Krise brach weniger als zwei Jahre später in Israel aus. Auf den brutalen Angriff der Hamas folgte die humanitäre Katastrophe in Gaza. Ein sehr gefährliches Terrain für politische Statements. In den sozialen Medien wird jede Aussage zum Konflikt hochemotional zerpflückt. Selbst gut gemeinte Aktionen lösen heftige negative Reaktionen aus und werfen die Frage auf: Müssen CEOs zu jedem geopolitischen Konflikt Stellung beziehen? «Ganz und gar nicht», sagt Bach vom IMD. Wenn das Interesse der wichtigsten Stakeholder gering ist, sei es völlig in Ordnung und oft vorzuziehen, wenn der CEO seine «Bully Kanzel» nicht nutze.
Statement – Shitstorm
Der Anstieg politischer Aktivitäten von Unternehmern und CEOs kommt Hand in Hand mit der Zunahme von Hatespeech. «Es ist schade, dass viele Unternehmer sich nicht zu Wort melden, obwohl sie viel zu sagen hätten», bedauert Wagner. Sie schweigen, weil ein politisches Statement heute schnell heftige Kritik auslösen kann. Wer sich politisch äussert, geht immer auch das Risiko ein, einen Teil seiner Stakeholder nicht abzuholen – im schlechtesten Fall zu vergraulen. Simon Michel macht sich deswegen keine Sorgen: «Unsere Kunden sind globale Pharmaunternehmen. Die schätzen mein politisches Engagement, weil sie wissen, dass ich mich für einen stärkeren und stabilen Wirtschaftsstandort einsetze.»
Michel, CEO des Medtech-Konzerns Ypsomed, engagiert sich seit Jahren als Unternehmer in kantonalen Wirtschafts- und Industrieverbänden. Doch dort treffen sich Menschen, die grundsätzlich einer Meinung sind. Um tatsächlich etwas zu bewegen, muss man seiner Ansicht nach Politiker werden: «Man kann lange am Stammtisch poltern, aber wenn man etwas verändern will, dann muss man in die Politik gehen – nach Bern oder auf kantonaler Ebene.» Unternehmer, die sich nicht politisch engagieren, unterschätzen nach Ansicht von Nationalrat Michel die Rolle und den Einfluss der Politik: «Die Räder in Bern drehen zwar langsam, aber sie drehen. Es ist sehr anspruchsvoll, über Verbände und Organisationen überhaupt etwas zu bewegen. In Bern verändern wir die Rahmenbedingungen durch neue Vorschriften und Gesetze.»
Unternehmer sind im Parlament nach wie vor untervertreten – neben 72 Profipolitikern, 50 Landwirten und Agronomen sowie 44 Juristen sitzen im Nationalrat rund 40 Unternehmerinnen und Unternehmer, von denen die allermeisten einen Mitarbeitenden haben. «In zu vielen Kommissionen wird diskutiert und entschieden, ohne die echte Lage da draussen zu verstehen», beklagt Simon Michel, der im vergangenen Jahr für die FDP in den Nationalrat gewählt wurde.
Auch Jobst Wagner wäre ein geeigneter Kandidat für eine Politikkarriere. «Ich wurde immer wieder angefragt, mich aktiv in die Politik zu begeben», erinnert er sich. Doch das kam für ihn nie infrage – zu viel Scheinwerferlicht für den diskreten Familienunternehmer. Jobst Wagner engagiert sich seit mehr als 40 Jahren ausserhalb der Rehau Gruppe. Zunächst vor allem als Kunstmäzen in Bern und am Hauptsitz des Familienunternehmens in Franken. Später brachte er sein unternehmerisches Know-how im Verwaltungsrat und als Autor des «Schweizer Monats» ein. Vor über zehn Jahren rief er die Plattform StrategieDialog21 ins Leben. Als Gegenpol zum bekannten «Sorgenbarometer» veröffentlicht der Thinktank regelmässig das «Chancenbarometer», bringt Wirtschaft und Politik bei verschiedenen Events zusammen und fördert den Dialog in gesellschaftspolitischen Streitthemen. «Gerade bei diesen polarisierten politischen Diskussionen ist der gesellschaftsübergreifende Dialog wichtig. Das war von Anfang an einer unserer Ansätze, und das hat sich bis heute bewährt», betont er. «Ich sehe es als eine meiner Aufgaben als Unternehmer, auch gesellschaftspolitisch Stellung zu beziehen», sagt Wagner, der zusammen mit seinem Bruder Veit das Familienunternehmen Rehau in zweiter Generation führt.
Gesellschaftlicher Wandel
David Bach, seit September Präsident der Eliteschmiede IMD, hat den zunehmenden politischen Aktivismus von Wirtschaftslenkern analysiert und dafür mehrere Gründe identifiziert. Einer davon ist die extreme politische Polarisierung in westlichen Gesellschaften. «Unsere zerrissene Welt braucht die moralische Stimme der CEOs», fordert Bach daher. Mit solchen Argumenten rennt man bei Simon Michel offene Türen ein: «Derzeit werden viele Kernfragen wie Zuwanderung oder die Zusammenarbeit mit unseren Nachbarn sehr kontrovers diskutiert. Es ist daher umso wichtiger, dass wir jetzt eine vernünftige Sachpolitik statt einer populistischen Parteipolitik machen. Und dafür braucht man eben auch Erfahrung aus der Realität da draussen.»
«Unsere Gesellschaft steht vor gewaltigen Herausforderungen – vom Klimawandel über Ungerechtigkeiten und künstliche Intelligenz bis hin zur Massenmigration», erklärt Bach. Da die Regierungen zunehmend unfähig oder nicht willens seien, in wichtigen Fragen die Führung zu übernehmen, habe sich die Aufmerksamkeit auf den privaten Sektor verlagert.
Hinzu kommt, dass die Erwartungen von Millennials und der Gen Z an die Unternehmen und deren Führungsmannschaft, ihren Wert zu vermitteln, sehr hoch sind. Angestellte, Aktionäre und Kundinnen verlangen nicht nur Stellungnahmen zu tagesaktuellen Themen – viele Stakeholder erwarten eine klare Haltung etwa zu Gleichstellung oder Klimaschutz. Bei diesen Themen gibt es in der Schweiz einige starke Vorbilder, wie etwa Gilbert Ghostine, der schon in seiner Funktion als CEO von Firmenich auf Diversität und Nachhaltigkeit setzte. An diesem Erfolgsrezept hält er als Präsident des Sandoz-Verwaltungsrats fest. Ghostine wird nicht müde, die Vorteile gemischter Teams in der Öffentlichkeit zu betonen – das bringt Sympathiepunkte für ihn und wirft ein gutes Licht auf Sandoz. Seit einigen Jahren ist Swiss-Re-Chef Andreas Berger Mitglied des Vorstands von Advance, einer Schweizer Initiative für die Gleichstellung von Frauen und Männern in der Wirtschaft, und präsentiert sich intern und extern als Frauenförderer.
«Als Roberta hätte ich es viel schwerer gehabt», gesteht Robert Itschner, CEO der BKW, bei einer Kampagne für mehr Gleichstellung. Glaubwürdig sind solche Statements aber nur, wenn dahinter auch Taten stehen. Völlig untätig war Itschner sicher nicht: Als Schweiz-Chef von ABB verlängerte er die Vaterschaftszeit auf 20 Tage. Als erste Frau in der Generaldirektion der Zürcher Kantonalbank setzt sich Florence Schnydrig Moser in der Bank und der Öffentlichkeit für die finanzielle Unabhängigkeit von Frauen ein. Als Leiterin Private Banking ist ihr dieses Thema auf den Leib geschneidert. Wie wichtig ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis auf allen Hierarchie-Ebenen ist, dafür spricht sich Anna Mattsson, Partnerin bei McKinsey & Company, aus.
Die Gegenbewegung
Doch es gibt auch eine Gegenbewegung bei den Themen Diversität, Gleichstellung und Inklusion sowie Nachhaltigkeit. Vor allem in der Finanzbranche ist eine zurückhaltende Kommunikation beim Thema ESG (Environmental, Social und Governance) feststellbar. Zwar schätzen Vermögensverwalter die Klimarisiken nach wie vor sehr hoch ein und positionieren sich entsprechend an den Kapitalmärkten, aber das wird heute weniger an die grosse Glocke gehängt als noch vor einigen Jahren.
Gleichzeitig ist die Öffentlichkeit sensibilisiert für jede Art von Green- oder Pinkwashing. Mit unglaubwürdigen Statements kann man daher viel Schaden anrichten. «Man kann in der Politik nichts verheimlichen, nicht lügen, nicht schwindeln – die Wahrheit kommt am Ende immer ans Licht. Manchmal erst nach einer Abstimmung, wenn der Schaden schon angerichtet ist, aber sie kommt zum Vorschein», davon ist Simon Michel überzeugt.
Empfehlungen zu Abstimmungen oder Statements zu aktuellen Ereignissen werden hingegen als glaubwürdig wahrgenommen, wenn sie die eigene Branche betreffen und CEOs Experten auf dem Gebiet sind. So klingt es authentisch, wenn Axpo-Chef Christoph Brand im Vorfeld der Abstimmung zum Stromversorgungsgesetz mahnt, der Ausbau der erneuerbaren Energien gehe zu langsam. Oder wenn Alpiq-CEO Antje Kanngiesser in diesem Zusammenhang vor explodierenden Strompreisen und einer Erosion des Wirtschaftsstandorts warnt.
Ebenso einleuchtend ist es, wenn CSS-Chefin Philomena Colatrella in den Medien die Trommel für Reformen im Gesundheitswesen rührt. Dabei ist sie davon überzeugt, dass ihre Stimme in der Wirtschaft sogar stärker ist als in der Politik. Auf seine Macht als Unternehmenschef setzte auch Thomas Boyer, Chef der Krankenkasse Groupe Mutuel, und wendet sich lieber mit einem Massnahmenkatalog an die Gesundheitsministerin, anstatt selbst einen Posten in Bern anzustreben. Für IMD-Präsident Bach ist die Sache klar: «Viele CEOs würden gerne wieder zu einer Welt zurückkehren, in der sie sich nicht zu politischen Themen äussern müssen. Für eine mittelständische Firma kann das funktionieren – aber keinesfalls für einen globalen Konzern!»