Neues Buch kritisiert den Finanzplatz
Ex-CS-Chef Thiam sei am Schweizer Rassismus gescheitert – wirklich?

Er wurde als Sonnenkönig betitelt, als abgehobener Banker, der im Helikopter fliege. Die Kritik war mitunter fremdenfeindlich. Aber nicht nur.
Publiziert: 18.12.2024 um 10:20 Uhr
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Aktualisiert: 18.12.2024 um 22:30 Uhr
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Tidjane Thiam: Der Chef der Credit Suisse von 2015 bis 2020 ist an der kleingeistigen Schweiz gescheitert.
Foto: Keystone

Auf einen Blick

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Stefan Barmettler
Handelszeitung

Angelsächsische Medien wissen es genau: Tidjane Thiam, Chef der Credit Suisse von 2015 bis 2020, ist an der kleingeistigen Schweiz gescheitert. Im neuen Buch «Meltdown» schreibt Duncan Mavin, die Schweiz habe Thiam nie wirklich akzeptiert. Ähnlich sah es die «New York Times» schon früher: «Ob es Rassismus, Fremdenfeindlichkeit oder Intoleranz ist, Thiam wurde in der Schweiz immer als jemand gesehen, der nicht hierhergehört.» Thiam, der verschmähte Outsider.

Er selber äusserte sich in der Zeitschrift «African Business» nach seinem forcierten Abgang bei der Grossbank so: «In der Schweiz gibt es Unterschiede in der Einstellung der Menschen zu mir. Ich kann nicht ändern, wer ich bin.» Er habe seine afrikanischen Wurzeln bei der Grossbank stets hochgehalten und sich nicht «europäisieren» lassen, lobt die Zeitschrift unter dem Titel: «Thiam: Der Fall einer Legende».

Doch ist Legende Thiam wirklich auf Diskriminierung und Ablehnung gestossen, weil er aus Afrika stammt, wie Journalisten und Journalistinnen behaupten? Gespräche mit einem halben Dutzend Weggefährten und Recherchen zeichnen ein differenziertes Bild.

Abstieg in der Drittwelt-Liga

Thiam war auf dem hiesigen Bankenplatz zweifellos eine ausserordentliche Erscheinung. Er selbst umschrieb sich augenzwinkernd so: «Schwarzer, Afrikaner, frankofon, 1 Meter 93». Doch er ist viel mehr: ein Intellektueller, bestens ausgebildet, polyglott, witzig, elegant, global vernetzt, Spross der prominentesten Familie der Elfenbeinküste.

Und er war ehrgeizig und erfolgreich: Thiam war der erste Schwarze, der mit dem Versicherer Prudential einen Konzern aus dem Leitindex FTSE 100 anführte und in Londons Businesswelt zum Superstar aufstieg. In der Schweiz war er der erste Schwarze, der einen SMI-Konzern führte. Entsprechend gross und respektvoll war das Echo in den Medien. Zumindest am Anfang.

Doch bald gab es Kritik. Oft berechtigt. Aber es gab auch offenen Rassismus, etwa an seiner ersten GV als CS-Chef 2016. Am Rednerpult des Zürcher Hallenstadions sagte eine 94-jährige Kleinaktionärin, mit dem branchenfremden neuen Chef drohe der Bank der Abstieg in die Drittweltliga. «Wollen wir das wirklich?» Worauf CS-Präsident Urs Rohner eingriff und klarstellte, derlei Aussagen seien deplatziert und würden nicht geduldet. «Wir holen nicht immer Ausländer, aber wenn wir es tun, holen wir die besten für den Job – und wir haben ihn mit diesem Mann gefunden», sagte er unter Applaus.

Beleidigungen im Netz

Auch in den Medien gab es Missgriffe, doch sie waren selten. Mit dem in der Branche beachteten Finanzblog «Inside Paradeplatz» setzte es nicht selten Dispute ab, mit CS-Presseleuten oder Anwälten. Einmal wurde Thiam als «Häuptling aus Afrika» beschrieben, doch nach Intervention des Hausjuristen verschwand die Beleidigung vom Netz.

Als die Spygate-Affäre in der CS aufflog – die Bank liess zwei Konzernleitungsmitglieder durch Privatdetektive überwachen – gab es in den Kommentarspalten, wo sich vor allem Banker tummeln, kein Halten mehr.

Artikel aus der «Handelszeitung»

Dieser Artikel wurde erstmals im kostenpflichtigen Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Blick+-Nutzer haben exklusiv Zugriff im Rahmen ihres Abonnements. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.

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Ein Anonymus schrieb: «Nichts gesehen, nichts gehört, nichts gesagt. Die drei Affen: Aus welchem Land kommen sie? Aus Afrika!» Ein anderer, der sich hinter dem Pseudonym «Ein Ex-Thiam-Sklave» versteckte, giftelte: «Die Schwarzen haben IMMER eine weisse Weste.»

Zweifellos waren es unflätige Sprüche, doch erstaunlicherweise intervenierte die Credit Suisse nicht. «Es war eine kleine Gruppe, die gegen Thiam schoss», sagt ein ehemaliger CS-Kader, aber es waren Einzelfälle. Und der Spruch in den Medien, Thiam gebärde sich bei der CS wie ein König, war nicht aus der Luft gegriffen. Er setzte auf eine kleine Entourage, welche die Bank mit harter Hand nach den Direktiven aus dem Chefbüro steuerte. Wer leise Kritik anmeldete, landete auf dem Abstellgleis.

Eine erzwungene Religion und vermeintliche Heli-Flüge

Nicht alle Rassismusvorwürfe waren fundiert. So beschwerte sich Thiam regelmässig über einen übergriffigen Medienfokus auf sein Privatleben. Als besonders ärgerlich empfand er die Behauptung, wonach er seine Frau zum Übertritt zum Islam gezwungen habe.

Der Vorwurf führt zu einem Porträt im «Tages-Anzeiger» nach seiner Ernennung zum Grossbankenchef. Der wohlwollenden Artikel unter dem Titel «Der Mann, den Frankreich gehen liess» erwähnt, dass Religion für den Topbanker einen hohen Stellenwert hätte und seine Frau sich zum Islam bekehren liess. Von einer erzwungenen Konvertierung steht allerdings nichts.

Auch angebliche Heli-Flüge des Topbankers sorgten in der Beletage für höchste Irritation. Auslöser war die «Praktikus»-Kolumne in der Börsenzeitung «Finanz und Wirtschaft», wo geschrieben stand, man höre, dass sich Thiam «ab und zu» im Helikopter chauffieren lasse, was die Boulevardpresse gerne aufnahm. Nach einer Intervention der CS wurde der «Praktikus»-Text mit einer Entschuldigung und dem Zusatz ergänzt: «Herr Thiam hat nie einen Hubschrauber benutzt.» Später, in einem Interview auf dem welschen SRF-Sender, beklagte sich Thiam weiter, es werde behauptet, er fliege «ständig» mit dem Helikopter durchs Land. Die «Praktikus»-Episode bestätigte seine These: Es gebe in der Schweiz Kreise, die ihn um jeden Preis weghaben wollten.

Nobelhotel Savoy machte Überraschung zunichte

Die kritische US-Journaille tischt weitere Beispiele für Vorkommnisse auf, die dem Bankchef das Privatleben schwer machten. So seien seine Söhne bei Ticketkontrollen im ÖV regelmässig als Erste überprüft worden, Racial Profiling also. 

Ein anderer Fall betraf seine Schwester, die nach Zürich reiste, um ihren Bruder mit einem unangemeldeten Besuch überraschen. Sie buchte ein Zimmer im Nobelhotel Savoy am Paradeplatz, das der Grossbank gehörte. Nach dem Einchecken meldete die Hotelrezeption ins CEO-Office der Credit Suisse, ein Gast mit Namen Thiam hätte ein Zimmer bezogen.

Doch es war kaum eine böse Absicht vom Hotelpersonal, das mit ihrem Telefonat die Überraschung zunichtemachte; vielmehr gab es andere Gründe für die Information, wie ein Mitarbeiter erklärt: Es galt ein erhöhtes Sicherheitsdispositiv für den Chef, weil Bedrohungsmeldungen eingingen. Am heikelsten waren solche von einem ehemaligen «Prudential»-Mitarbeiter, der seinen früheren Chef Thiam mit Hassmails eindeckte, wie die NZZ kürzlich enthüllte. Regelmässig habe sich der CS-Chef von Sicherheitspersonal in der Öffentlichkeit begleiten lassen, berichtet ein mit der Sache Vertrauter. Es habe aber auch viele andere Begegnungen gegeben, wird erzählt: So wurde Thiam auf Zürichs Strassen oft um Selfies gebeten.

Verhaftung in Paris

Derlei Rencontres hätten Thiam stolz gemacht, wird erzählt, denn er habe sich stets auch als Promotor eines erstarkenden Afrikas gesehen. Seine persönliche Hymne ist der «Redemption Song» von Bob Marley, die er im kleinen Kreis schon mal in ganzer Länge zum Besten gibt.

Der Kampf für seine Werte der Gleichheit treibt ihn an – und trug ihm immer wieder Ärger ein. Als er sich während des Studiums an Frankreichs Eliteschule École polytechnique lautstark für einen Schwarzen engagierte, den die Polizei auf der Strasse in die Mangel nahm, wurde er verhaftet.

Als Klassenbester durfte er nach der Diplomfeier 1983 das traditionsreiche Defilee auf den Champs-Élysées anführen, aber seine Karriere hob trotz Bestnoten in Frankreich nicht ab. In einem Aufsatz schrieb er 2009: «Ich war es leid, zu sehen, wie weniger kompetente Kollegen aufstiegen und sich weiterentwickelten, während meine Karriere stagnierte.»

Diese Erfahrung hätte ihn gezwungen, ins Exil nach London zu gehen, dorthin, wo ein Spitzenakademiker nicht zwingend Parkplatzwächter werden müsse. Es war für ihn, den High-Achiever, wohl eine tiefe Genugtuung, als er 2010 als Chef von «Prudential» auf die Liste «Most Influential Black Person in the UK» gesetzt wurde.

Die Ambitionen als CS-Chef waren am Paradeplatz kaum kleiner. Selbst die ungleich grössere UBS wollte er beim Börsenwert übertrumpfen. Bei der Präsentation der Aufholstrategie seiner Bank stellte er für 2018 einen Vorsteuergewinn von 9 bis 10 Milliarden Franken in Aussicht, doch er schaffte nur einen Drittel, nämlich 3,4 Milliarden.

Schrumpfende Kurse und wenig Selbstkritik

Das Aktionariat, von dem der Grossteil im Ausland lebte, reagierte bei Thiams Stellenantritt zwar noch euphorisch, verlor aber zunehmend den Glauben an seine Künste. Die «Financial Times» konstatierte: «Die Investoren wollten einen Big Bang, doch sie erhielten ihn nicht.»

Statt einer fulminanten Jagd auf den Branchenprimus UBS gabs für die CS-Kapitalgeber immer weniger zu lachen, denn in Thiams Regentenzeit schrumpfte der Börsenwert der Bank um fast die Hälfte.

Aus dem Chefbüro war aber nie auch nur ein Hauch von Selbstkritik zu hören. Und genau das ist es, was viele Weggefährten, die noch heute von seinem Charisma schwärmen, enttäuscht: Er habe das Zerrbild von der Schweiz, die ihn angeblich aufgrund von Herkunft und Hautfarbe auflaufen liess, bis zum Überdruss strapaziert. Doch vielmehr sei er, ihr einstiger Hoffnungsträger, an sich selbst gescheitert. Höchste Ambitionen, mässige Performance. Dazu ein erratischer Führungsstil und ein Risikomanagement, das aus dem Ruder lief.

Tempi passati: Nun nimmt Thiam einen neuen Anlauf, um seine Karriere in nächste Sphären zu heben. Im Herbst 2025 strebt er in seiner Heimat Elfenbeinküste das Präsidentenamt an.

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