Auf einen Blick
An Flugmeilen mangelt es Ex-Credit-Suisse-Chef Tidjane Thiam (62) sicher nicht. Ein Blick in seinen Instagram-Account zeigt einen Mann, der pausenlos um die Welt jettet. In den letzten paar Wochen gings von den Olympischen Spielen in Paris an den Parteikongress der US-Demokraten in Chicago, von dort an ein Fintech-Forum in Ruanda und dann wieder nach Paris für die Paralympics.
Man sieht ihn Seite an Seite mit den Mächtigen aus Politik, Wirtschaft, Kultur oder Sport, mal an einer Soirée im Élysée-Palast mit Facebook-Gründer Mark Zuckerberg, mal beim Handshake mit Staatspräsident Paul Kagame aus Ruanda, mal breit in die Kamera lächelnd mit Ex-FC-Barcelona-Star Samuel Eto’o, der heute dem Fussballverband von Kamerun vorsteht. Auch mit Hollywoodstars wie George Clooney kann er es gut.
Der Account wirkt sorgfältig kuratiert, und das wohl aus gutem Grund: Er dient der Imagepflege, und die dürfte für seine politischen Ambitionen wichtig werden. Ende 2023 haben ihn die 6000 Delegierten der rechtsliberalen Demokratischen Partei (PDCI), der führenden Oppositionspartei in seinem Heimatland Elfenbeinküste, zum Vorsitzenden gewählt. Und im Frühling dieses Jahres bestätigte er in einem Interview mit der französischen Zeitung «Le Monde», was die Spatzen längst von den Dächern pfiffen: Ja, er werde, «so Gott will», bei den Präsidentschaftswahlen 2025 antreten und wolle der nächste Präsident der Elfenbeinküste werden.
Dass seine Karriere bei der Credit Suisse alles andere als rühmlich endete, kümmert ihn nicht und scheint auch keine Kratzer an seinem Selbstvertrauen hinterlassen zu haben. Dass er in den Jahren 2015 bis 2020 Chef der Bank war und in seiner Amtszeit die Risikokontrolle entscheidend geschwächt wurde, war einer der massgeblichen Gründe für den Untergang der Grossbank – gemach, ihn trifft doch keine Schuld! Im März 2023 hatte er in einem Gastbeitrag in der Londoner «Financial Times» seine Hände schon mal vorsorglich in Unschuld gewaschen und drauf hingewiesen, dass er bei seinem Abgang «nach einer tiefgreifenden Restrukturierung» gerade den höchsten Gewinn seit zehn Jahren erwirtschaftet hatte. Erst danach sei «einiges schiefgelaufen». Über 62 Millionen Franken hat er in seinen knapp fünf Jahren bei der CS kassiert.
Durchzogene Leistung
Im Wahlkampf an der Elfenbeinküste ist seine durchzogene Leistung als Manager nur am Rande ein Thema. Mehr Kritik gibt es aus anderem Blickwinkel. Moniert wird etwa, dass Thiam Doppelbürger ist, und zwar der Elfenbeinküste und von Frankreich. Bis 1960 war die Elfenbeinküste eine französische Kolonie, die Ressentiments dem Land gegenüber sind in Teilen der Bevölkerung immer noch gross, und im Zusammenhang mit Thiam wird die Frage aufgeworfen, ob er denn wirklich nur im Interesse der Elfenbeinküste agieren würde. Um dieser Kritik die Spitze zu nehmen, hat Thiam laut Zeitungsberichten seine Bereitschaft erklärt, die französische Staatsbürgerschaft abzulegen.
In der Tat hat Thiam enge Bande zu Frankreich, Paris gilt als einer seiner Lebensmittelpunkte. Hier arbeitet seine zweite Frau, die Bankerin Marie-Soazic Geffroy. Sie ist bei der Deutschen Bank Global Co-Head der Financial Institutions Group. Man sieht sie oft an seiner Seite, etwa Ende Juli beim Galaanlass am Vorabend der Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele in Paris oder im Mai bei einer Wahlveranstaltung in Abidjan, der grössten Stadt der Elfenbeinküste.
Aus erster Ehe mit Annette Thiam stammen seine beiden Söhne Anta und Bilal. Bilal ist 2020 erst 24-jährig infolge einer Krebserkrankung verstorben.
Der amtliche Wohnsitz von Thiam ist aber nicht in Frankreich, sondern in den USA, und zwar in Miami Beach. Er residiert auf den mondänen Sunset Islands, den Inseln in der Meeresbucht zwischen Miami Beach und Miami, eine Community für die Reichen und Berühmten. Seine Villa liegt direkt am Wasser, die amerikanische Immobilienplattform Trulia schätzt den Wert des Hauses auf fast 18 Millionen Dollar. Zum Verkauf steht es aber nicht.
Damit ist der Wert seines Anwesens in den USA vergleichbar mit jenem seiner ehemaligen Residenz in Herrliberg an der Goldküste. Die Zehn-Zimmer-Villa wurde inzwischen vom Zürcher Luxusimmobilienentwickler Xania übernommen, der laut Website einen Neubau mit sieben Wohneinheiten plant. Die Villa in Herrliberg wurde auch darum bekannt, weil Thiams direkter Nachbar Iqbal Khan war, jener Mann in der CS-Geschäftsleitung, den die Bank ausspionieren liess. Der Skandal löste eine Welle der Kritik aus, die Thiam zuletzt den Kopf kostete, auch wenn er stets betont hat, persönlich nichts mit den Überwachungen zu tun gehabt zu haben.
Streit mit Angestellten
Jüngst kam seine Villa in Herrliberg wieder in die Schlagzeilen, weil sie Schauplatz für den Konflikt mit seiner ehemaligen Haushälterin war, wie im Zusammenhang mit dem jüngst über die Bühne gegangenen Prozess vor dem Bezirksgericht Meilen bekannt wurde. Eine der dort stattfindenden Episoden war ein Streit der Haushälterin mit Thiams Partnerin Geffroy, nach welchem die Haushälterin einen Zusammenbruch erlitt und zur Notaufnahme ins Spital Zollikerberg fuhr, wo ihr ein Nervenzusammenbruch diagnostiziert wurde. Missstände wurden publik, etwa dass die Frau praktisch rund um die Uhr zur Verfügung stehen musste. Ihr Anwalt warf Thiam «unethisches und teilweise menschenverachtendes Verhalten meiner Mandantin gegenüber» vor.
Thiam hatte den Spiess allerdings umgedreht und eine Strafklage gegen die Frau eingereicht, in der er sie der Erpressung und Nötigung bezichtigte. Er verlor: Das Verfahren endete am 6. August mit einem Freispruch für die Haushälterin.
Auch aus einem vorangegangenen Zivilprozess ging er nicht als Sieger hervor. Die Vorzeichen waren umgekehrt, Thiam war der Beklagte, es ging um arbeitsrechtliche Fragen. Im September vor einem Jahr wurde er zu einer Zahlung von rund 200'000 bis 250'000 Franken an seine ehemalige Angestellte verurteilt.
Doch Thiam zahlt einfach nicht. Dass er damit bisher durchgekommen ist, hat nicht zuletzt mit seinem Wohnsitz in den USA zu tun. Um das Geld zu erhalten, müssten die Anwälte der Frau das Urteil auch in den USA anerkennen lassen und dort Gelder arrestieren, was eine langwierige und vor allem teure Prozedur ist. Schon jetzt haben die Anwaltskosten der Ex-Haushälterin einen Schuldenberg eingebracht. De facto erlaubt ihm seine internationale Ausrichtung, sich um die Schweizer Rechtsprechung zu foutieren. Das Urteil im Zivilprozess ist rechtskräftig, das heisst final gültig. Indem er sich darum schert und einfach nicht zahlt, zeigt er, dass er sich über dem Gesetz in der Schweiz sieht. Dies ist umso bemerkenswerter, als er für die Art, wie er selber behandelt werden will, auf höchste ethische Standards pocht. Im Gegensatz zum Zivilprozess steht im Strafprozess gegen die Frau noch die Möglichkeit des Weiterziehens offen. Er halte das Urteil für falsch und werde in Rekurs gehen, hat er nach der Urteilsverkündung auf Instagram gepostet.
Auf und Ab
Auch beruflich sind die USA für ihn ein wichtiger Platz, seine Firma Freedom Acquisition hat er in New York an bester Lage platziert, der 14 Wall Street. Freedom Acquisition ist ein Spac; so nennt man Mantelgesellschaften, die bei Investoren Geld einsammeln, um zu fusionieren und an die Börse zu gehen. Spacs erlebten vor ein paar Jahren einen Hype, für viele endete die Sache aber mit Flops. Thiams Firma indes gehörte zu den Auserlesenen denen ein «De-Spac» gelang: 2022 fusionierte Freedom Acquisition mit der Solartechnologie-Firma Complete Solaria. Doch in der Zeit nach dem Börsengang an der Nasdaq stürzte die Aktie um über 95 Prozent ab, in diesem Jahr aber hat das Papier zur Aufholjagd angesetzt, seit Jahresbeginn zeigt die Complete-Solaria-Aktie (Kürzel CSLR) ein Plus von 79 Prozent (Stand 23. September).
Mit im Boot sind Leute, die man aus seiner CS-Zeit in der Schweiz gut kennt. Der ehemalige CS-Kommunikationschef Adam Gishen etwa, seit Jahren einer der engsten Vertrauten von Thiam, amtet als CEO, die Amerikanerin Noreen Doyle, die von 2004 bis 2017 im Verwaltungsrat der CS Einsitz hatte, ist Board Member. Eine Anfrage betreffend ein Gespräch liessen sowohl Thiam wie Gishen unbeantwortet.
Auch sonst hält Thiam noch allerlei wichtige Positionen in der Welt der politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträger. So ist er Mitglied der Group of Thirty, eines der hochkarätigsten Wirtschaftsgremien der Welt. Es wurde 1978 auf Initiative der Rockefeller-Stiftung gegründet und zählt 41 Finanzgranden von Ex-US-Finanzmister Larry Summers bis zu Ex-Nationalbank-Präsident Philipp Hildebrand (als einzigem Schweizer). Vor ein paar Monaten legte das Gremium seine Analyse zur letztjährigen Bankenkrise vor, in der unter anderem auch der Untergang der Credit Suisse aufgearbeitet wurde. Das führte zur im Grunde absurden Situation, dass der Ex-CS-CEO als Gremiumsmitglied ein Papier mitunterzeichnen durfte, das zur Schlussfolgerung kam, dass es bei der CS «Mängel im Management» gab, und als Verbesserungsvorschläge just jene Massnahmen forderte, die Thiam nicht befolgte, etwa eine «bessere Finanzberichterstattung» – bei der CS kreierte Thiam eine «bereinigte» Rechnungslegung, bei der er unwillkommene Kennzahlen ausschloss, unter anderem, um die Boni zu sichern.
Auch in der Schweiz ist er noch aktiv: Er ist Member des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), das seinen Sitz in Lausanne hat. Diese Funktion mit Schweiz-Bezug birgt für ihn aber ein gewisses Risiko. Weil sie der Schweizer Jurisdiktion untersteht, haben die Anwälte der Haushälterin die Arrestierung von Sitzungsgeldern, die Thiam als IOC-Member zustehen, verlangt. Bisher ohne Erfolg.
Sollte die Wahl zum Präsidenten der Elfenbeinküste 2025 gelingen, wäre das der Höhepunkt einer langen Karriere. Geboren wurde Thiam 1962 in Abidjan. Sein Vater war Journalist und amtete später als Botschafter in Marokko. Seine Mutter Marietou Thiam stammt aus der führenden politischen Kaste der Elfenbeinküste – sie war eine Nichte des ersten Staatspräsidenten, Félix Houphouët-Boigny, der das Land über dreissig Jahre lang regierte.
Berater, Politiker, CEO
Aufgewachsen ist Thiam in Marokko und Frankreich, wo er die lokalen Eliteschulen besuchte. An der renommierten École polytechnique war er 1982 der erste Ivorer, der aufgenommen wurde.
Danach gings zu McKinsey – er war für die US-Unternehmensberater in Paris und New York tätig. In den neunziger Jahren zog es ihn zurück in die Heimat, wo er sich in jener Zeit der politischen Wirren unter Premierminister Daniel Kablan Duncan als Minister für Planung und Erneuerung betätigte. Doch nach kurzer Zeit warf er das Handtuch und kehrte zu McKinsey nach Paris zurück. Es folgte die Zeit als Chef grosser Firmen, 2002 wurde er CEO beim britischen Versicherer Aviva, danach gings zu Prudential. 2015 holte ihn CS-Präsident Urs Rohner als CEO. Thiam scharte bei der CS einen Hofstaat um sich und regierte die Schweizer Bank mit einer abgeschotteten Gruppe enger Vertrauter. Drei Jahre nach seinem Abgang – als Nachfolger durften dann noch Thomas Gottstein und Ulrich Körner ihr Glück an der CS-Spitze versuchen – brach die Bank zusammen. Diesen Herbst soll die lange angekündigte Autobiografie von Thiam erscheinen. Es dürfte interessant sein, zu sehen, in welcher Form die CS-Zeit Eingang finden wird.
Für seine Ambitionen an der Elfenbeinküste werden ihm allerdings gute Chancen eingeräumt. Er gilt als Hoffnungsträger für den Wandel. «Ich werde die PDCI moderner, attraktiver und effektiver machen», versprach er seinen Anhängern.
Mehr zu Tidjane Thiam
Nach 13 Jahren unter dem heute 82-jährigen Alassane Ouattara sehnen sich viele im Land nach Erneuerung. Auch wenn sich das Land in den letzten Jahren wirtschaftlich weiterentwickelt hat, ist es doch immer noch stark abhängig von Kakao, dem wichtigsten Exportartikel.
Sich neuen Herausforderungen zu stellen, ist Thiam jedenfalls gewohnt. Vor ein paar Jahren gab er dem britischen BBC Radio ein Interview und sagte, schon oft seien seine Aufgaben ein Tanz auf dem Hochseil gewesen. Und doch sei er immer wieder aufs Seil gestiegen, für die nächste spannende Aufgabe. Was das Geheimnis in so einem Fall sei, fragte die Reporterin: «Einfach nicht hinunterschauen», antwortete Thiam.