War die Vollübernahme der Credit Suisse durch die UBS die einzige valable Option, um eine neue Bankenkrise zu verhindern? Auch über ein Jahr nach den Ereignissen beschäftigt die Frage den Finanzplatz und die Politik. Recherchen der «Handelszeitung» bringen in diesem Kontext nun einen Akteur ans Licht, den bisher niemand auf dem Zettel hatte: den Lebensversicherer Swiss Life.
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Laut mehreren Personen mit Kenntnissen der Vorgänge war Swiss Life an einer Übernahme der Credit Suisse Schweiz interessiert. Der Mann hinter den Überlegungen war Swiss-Life-Präsident Rolf Dörig. Der langjährige Ex-CS-Manager wollte erreichen, dass der Schweiz eine zweite Grossbank erhalten bleibt. Weder die Swiss Life noch die CS wollten die Information kommentieren.
Politisch gut vernetzt
Dörig hat eine enge Beziehung zur CS: Bei der Vorläuferbank – der Schweizerischen Kreditanstalt – startete er Mitte der Achtzigerjahre seine Karriere. In der CS stieg er bis zum Schweiz-Chef auf, bevor er 2002 zur Swiss Life wechselte. Laut Personen mit Kenntnissen der Vorgänge hat Dörig die gesamte CS-Krise eng verfolgt und bereits Ende 2022 die Sorge gehabt, dass die Bank die Krise aus eigener Kraft nicht meistern könnte.
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Dörig ist politisch bestens vernetzt. Laut den Recherchen ist der Swiss-Life-Präsident mit seinen Plänen beim Bundesrat vorstellig geworden. Informationen zufolge habe er in der Frage den persönlichen Kontakt mit dem damaligen Finanzminister Ueli Maurer gesucht. Wie dieser ist Dörig selbst Mitglied der SVP.
Die Überlegungen wurden aber bereits in einem frühen Stadium wieder begraben. Laut Quellen sei Dörigs Vorstoss auf Widerstand bei der damaligen CS-Spitze, bestehend aus CEO Ulrich Körner und dem damaligen CS-Präsidenten Axel Lehmann, gestossen. Diese seien zum Zeitpunkt von Dörigs Vorstoss noch davon überzeugt gewesen, dass ihr neuer Strategieplan die Wende bringen könne.
Dörig hält die UBS für zu gross für die Schweiz
Der Plan der CS bestand aus einer Kapitalerhöhung von vier Milliarden Franken, Teilverkäufen des Investmentbankings und einem erneuten Sparprogramm. Doch selbst nach der Rosskur hätte die Bank ihre Kapitalkosten nicht verdient, daher war der Plan schnell an der Börse durchgefallen.
Dörig selbst war für diese Recherchen nicht zu sprechen. Doch seine Interview-Äusserungen in der «NZZ» vom Januar geben interessante Hinweise. Er könne den Entscheid zugunsten der Übernahme durch die UBS verstehen, sagte er. Er hätte eine vorübergehende Verstaatlichung der CS aus langfristiger Perspektive aber vorgezogen. «Ich hätte mir gewünscht, dass wir auch in Zukunft zwei Grossbanken hätten.» Die UBS sei durch die Übernahme «zu gross für das Land».
Aber wäre eine Übernahme der CS Schweiz überhaupt machbar gewesen? Experten sind skeptisch: «Um die CS Schweiz aus der Gruppe herauszulösen, hätte die gesamte Bank zunächst wohl verstaatlicht werden müssen, um Zeit zu gewinnen», sagt Andreas Venditti, Bankanalyst bei Vontobel. «Aber ohne die CS Schweiz wäre dann die Frage gewesen, was der Bund mit dem Rest der CS-Gruppe hätte anfangen können», gibt er zu bedenken. Eine Herauslösung der CS Schweiz wäre «sehr komplex, zeitintensiv und riskant gewesen». Und ein CS-Insider gibt zu bedenken, dass der Konzern durch eine Herauslösung der CS Schweiz in noch grössere Nöte geraten wäre, denn die Schweiz-Gesellschaft hielt einen Grossteil der Liquidität der Bankengruppe.
Bund prüfte Verstaatlichung der CS Schweiz
Doch so ganz abstrus sind die Überlegungen nicht. Denn eine Herauslösung der CS Schweiz wurde auch zwischen Finma, SNB und dem Bund diskutiert – und zwar bereits ab Oktober 2022, als der Strategieplan von Körner und Lehmann an der Börse durchgefallen war und die Bank mit milliardenschweren Geldabflüssen zu kämpfen hatte. Das geht aus dem «Too big to fail»-Bericht des Finanzministeriums hervor. Nach den ersten Überlegungen im Herbst 2022 wurde laut dem Bericht am 11. Januar 2023 dem Finanzministerium sogar ein konkreter Prüfauftrag für eine temporäre Verstaatlichung der CS Schweiz erteilt, heisst es in dem Papier.
Das bedeutet: Wäre der Plan umgesetzt und die CS Schweiz verstaatlicht worden, hätte der Bund die Bank weiterverkaufen müssen. Und mit der Swiss Life wäre ein möglicher Kaufkandidat bereitgestanden. Bekannt ist zudem, dass sich Blackrock für das Wealth Management der CS interessierte, wie Blackrock-Manager Philipp Hildebrand im Herbst bestätigte. Doch auch Blackrock stand vor dem Problem, dass eine derart komplexe Transaktion Zeit braucht. Und die war am Ende nicht mehr da.
Zwei sehr unterschiedliche Konzerne
Für die Swiss Life wäre die Übernahme der CS Schweiz ohne Frage ein Kraftakt geworden. Das zeigen allein die Bilanzzahlen. Die Swiss Life hat ein Eigenkapital von 3,6 Milliarden Franken. Die CS Schweiz AG kam zuletzt auf gut 11 Milliarden.
Vor allem hätte sich die Swiss Life mit der CS-Schweiz-Übernahme ein riesiges Kreditbuch angelacht. Die CS Schweiz wies 2023 allein einen Hypothekenbestand von 124 Milliarden Franken aus. Die Swiss Life hat knapp 13 Milliarden Hypotheken im Bestand. Bei der CS Schweiz kommt daneben noch ein grosses Firmenkundenbuch hinzu, ein Bereich, in dem die Swiss Life keinerlei Erfahrungen hat.
Unklar ist, ob Rolf Dörig seine Überlegungen zur Rettung der CS Schweiz durch die Swiss Life bereits mit Vertretern des Swiss-Life-Verwaltungsrats und des Managements besprochen hatte. Und ob er dort für ein solch gewagtes Unterfangen den nötigen Support bekommen hätte. Dem Vernehmen nach kam es aufseiten des Versicherers gar nicht erst dazu, dass über das Thema formell entschieden werden musste.
Vermutlich wenig Freude an einer Übernahme der CS dürfte der scheidende CEO Patrick Frost gehabt haben, fiel er in der Vergangenheit doch stets mit Allfinanz-kritischen Aussagen auf. Zwar baute Frost den reinen Lebensversicherer in den vergangenen Jahren zu einem breiter aufgestellten Assetmanager um. Auch forcierte er die Anlageberatung für vermögende Kunden und integrierte den früheren AWD als Swiss Life Select in die Finanzberatungs-Schiene des Lebensversicherers. Frost zog dabei jedoch immer eine klare Linie zum Bankgeschäft. Und das könnte auch an der Geschichte der Swiss Life liegen.
Nur noch in Frankreich mit aktiver Banklizenz
Gleich mehrfach hatte sich der Lebensversicherer in der Vergangenheit schon als Bank oder Bankeigentümerin versucht. Und selten erfolgreich. 1999 hatte die damalige Rentenanstalt in der Börseneuphorie die Banca del Gottardo von der japanischen Sumitomo Bank für 2,4 Milliarden Franken gekauft. Nach dem Platzen der Internetblase 2002 geriet die Bank in schweres Fahrwasser. Dreieinhalb Jahre später wurde die Swiss Life die Bank wieder los und verkaufte sie für knapp 1,9 Milliarden Franken an die BSI. In diese Zeit fiel auch das Projekt einer neuartigen Onlinebank namens Redsafe, das 2002 nach kurzer Zeit wieder eingestellt wurde. Und die im Jahr 2000 gekaufte Schweizerische Treuhand wurde 2003 an die Liechtensteinische LGT weitergereicht. Bloss in Frankreich ist Swiss Life noch heute mit einer lokalen Banklizenz unterwegs.
Das Ende der Allfinanz-Strategie läutete niemand Geringerer als Rolf Dörig selbst ein, der 2002 Konzernchef des Lebensversicherers geworden war. Seine Überlegungen von Ende 2022 zur möglichen Übernahme der CS Schweiz seien aber nicht als erneute Strategiewende zu verstehen, ist zu hören. Sie seien von der Sorge um den Finanzplatz getrieben. Eine Übernahme der Credit Suisse durch die Swiss Life wäre nicht zuletzt eine grosse historische Klammer gewesen, wurde die damalige Rentenanstalt doch 1857 unter anderem durch die CS-Vorläuferin Kreditanstalt mitgegründet. Dörig hätte sich als Nachfahre Alfred Eschers fühlen können.
Der einzige Player in dem Drama, der perfekt auf die Ereignisse vorbereitet war, war die UBS. Bank-Chef Sergio Ermotti hatte die CS-Übernahme schon vor Jahren durchspielen lassen. Als die Verhandlungen plötzlich konkret wurden, konnte Bank-Präsident Colm Kelleher mit einem fertigen Forderungskatalog auftrumpfen und das Beste für die UBS herausholen. Und Dörigs Überlegungen zur Bewahrung der CS Schweiz als eigenständige Bank blieben am Ende nur ein Gedankenspiel – wenn auch ein interessantes.