Die spektakuläre Zurückweisung des erstinstanzlichen Urteils gegen Pierin Vincenz (67) und weitere Beschuldigte durch das Obergericht mischt die Karten im Jahrhundertprozess neu. Nach Ansicht des Wirtschaftsrechtlers Peter V. Kunz von der Universität Bern kann die Abweisung die Unterbrechung der Verjährung nicht aufheben: «Es entspricht einer langjährigen Praxis des Bundesgerichts, dass ein erstinstanzliches Urteil die Verjährung unterbricht.»
Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass das Obergericht im Fall Vincenz das erstinstanzliche Urteil mit der Rückweisung aufgehoben habe, so Kunz. Für den renommierten Juristen ist diese Praxis nicht unproblematisch. «Damit wird der falsche Anreiz geschaffen, dass Staatsanwaltschaften bei Delikten, bei denen die Verjährung droht, möglichst schnell ein erstinstanzliches Urteil erwirken wollen.» Dabei könne die Qualität der Anklageschrift auf der Strecke bleiben. Ob dies auch im Fall Vincenz der Fall war? Kunz will dazu keine Einschätzung abgeben.
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Er sieht sich aber in seiner vor Jahren gefällten Beurteilung über die Arbeit der Zürcher Staatsanwaltschaft bestätigt. Nach der Lektüre der 356 Seiten umfassenden Anklageschrift bezeichnete Peter V. Kunz diese als «plauderhaft». Ganz ähnlich urteilte diese Woche das Zürcher Obergericht, das die Anklageschrift als «unnötig ausschweifend» bezeichnete.
Staatsanwaltschaft könnte sich ewig Zeit nehmen
Die Tatsache, dass die Verjährung unterbrochen bleibe, könne zu einer unnötigen Verlängerung des Prozesses führen. Theoretisch könnte sich die Staatsanwaltschaft 20 Jahre Zeit lassen, bevor sie die Klage erneut beim Bezirksgericht einreicht. Wenn es auch «nur» fünf Jahre dauere, bis die Staatsanwaltschaft erneut Klage erhebe, werde das Bundesgericht wohl nicht umhinkommen, die Praxis der erstinstanzlichen Verjährungsunterbrechung zu präzisieren, sagt Kunz.
Das plausibelste Szenario ist aber, dass eine neue Crew von Staatsanwälten die Klage in den nächsten zwölf Monaten einreicht und möglicherweise den einen oder anderen Punkt abschwächt. Die Angeklagten um Pierin Vincenz können bei einem nächsten Prozess auf einen weiteren «Discount» hoffen, sagt Kunz. Bereits im ersten Verfahren bekamen sie eine Strafmilderung wegen der medialen Berichterstattung.
In einem zweiten Prozess könnten Rabatte wegen der langen Verfahrensdauer und Zurückweisung hinzukommen. Möglicherweise könnte Vincenz, wenn er erneut verurteilt wird, am Schluss mit einer Strafe auf Bewährung davonkommen, glaubt Kunz. «Da sich der frühere Raiffeisen-Chef längst im Pensionsalter befindet, könnte er sich damit möglicherweise arrangieren», sagt er.