Raiffeisen auf Abwegen
Profitmaximierung bei der Genossenschaftsbank

Die neue Nummer zwei der Schweiz hat den Gewinn pro Kunde innert zehn Jahren fast verdoppelt. Das Gebot der «Selbsthilfe» in den Statuten scheint nur noch leeres Gerede zu sein.
Publiziert: 03.09.2023 um 13:58 Uhr
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Aktualisiert: 03.09.2023 um 23:38 Uhr
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In den Statuten von Raiffeisen ist bis heute festgehalten, dass die Bankengruppe ihre Geschäfte «in gemeinsamer Selbsthilfe im Sinn des genossenschaftlichen Gedankengutes von Friedrich Wilhelm Raiffeisen» betreibe.
Foto: Zvg
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Thomas SchlittlerWirtschaftsredaktor

Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818–1888) war ein deutscher Sozialreformer und Pionier des Genossenschaftswesens. Mitte des 19. Jahrhunderts gründete er in Rheinland-Pfalz eine Spar- und Darlehenskasse, die armen Bauern zu Krediten verhalf. Selbsthilfe und Solidarität lautete Raiffeisens Credo, das auch hierzulande auf Anklang stiess. 1899 gründete Pfarrer Johann Traber (1834–1930) am Bichelsee im Thurgau die erste Raiffeisenbank der Schweiz.

Viele Jahrzehnte lang fristeten die Raiffeisenkassen ein Mauerblümchendasein. Erst 1999 mit der Machtübernahme von Pierin Vincenz (67), mittlerweile erstinstanzlich wegen Betrugs verurteilt, kam Bewegung in die Genossenschaftsgruppe. Der Menschenfänger aus dem Bündnerland trimmte die Lokalfürsten auf Modernisierung und Effizienz, forcierte Hunderte Fusionen und konzentrierte immer mehr Macht am Hauptsitz in St. Gallen.

Vincenz’ Wirken bescherte Raiffeisen ein unglaubliches Wachstum, das auch durch seinen Absturz nicht ins Stocken geriet. Im Gegenteil, mit dem Ende der CS ist Raiffeisen zur Nummer zwei auf dem Schweizer Finanzplatz aufgestiegen.

Mit zunehmender Grösse scheinen die Raiffeisen-Verantwortlichen um CEO Heinz Huber (58) auch ihre Wurzeln mehr und mehr zu vergessen. In den Statuten ist zwar bis heute festgehalten, dass die Raiffeisen-Gruppe ihre Bankgeschäfte «in gemeinsamer Selbsthilfe im Sinn des genossenschaftlichen Gedankengutes von Friedrich Wilhelm Raiffeisen» betreibe. Genossenschafterinnen und Genossenschafter spüren von diesem Gebot aber kaum etwas. Wie alle anderen Banken im Land gibt auch Raiffeisen die Leitzinserhöhungen der Nationalbank kaum an die Sparerinnen und Sparer weiter.

In den letzten zehn Jahren gab es Millionen-Erträge

Mit Blick auf die jüngsten Zahlen muss gar von Profitmaximierung gesprochen werden. Im ersten Halbjahr 2023 kletterte der Reingewinn der 219 Raiffeisenbanken im Land auf 701 Millionen Franken, ein Viertel mehr als vor einem Jahr.

Noch eindrücklicher ist ein Zehnjahresvergleich: Gegenüber dem ersten Halbjahr 2013 hat Raiffeisen den Gewinn fast verdoppelt. Und da die Zahl der Raiffeisen-Kunden im gleichen Zeitraum stabil geblieben ist, hat sich der Gewinn pro Kunde um sagenhafte 90 Prozent erhöht (siehe Tabelle). Verdiente Raiffeisen im ersten Halbjahr 2013 noch 101 Franken pro Kunde, waren es 191 Franken in der gleichen Periode dieses Jahres.

Diesen Zahlen zum Trotz wehrt sich Raiffeisen gegen den Vorwurf der «Profitmaximierung». Ein Sprecher rechtfertigt die gigantische Gewinnsteigerung mit dem Status als systemrelevante Bankengruppe. «Wir müssen deshalb andere Anforderungen an die Eigenmittel erfüllen als andere Banken.»

Raiffeisen behalte bis zu 94 Prozent des Gewinns im Unternehmen und schütte diesen nicht aus. «Dadurch operiert Raiffeisen nicht gewinnmaximierend, sondern investiert massgeblich in die eigene Sicherheit.» Davon wiederum würden einerseits die Genossenschafterinnen und Genossenschafter profitieren, andererseits auch die Stabilität des schweizerischen Finanzplatzes.

Weiter schreibt Raiffeisen: «Die Steigerung der Erträge hält aus heutiger Sicht in etwa Schritt mit der Volumenentwicklung im Kundengelder-, Ausleihungs- und Depotgeschäft.»

Diese Aussage ist korrekt. Der Geschäftsertrag (plus 49 Prozent) ist in den vergangenen zehn Jahren tatsächlich fast im Gleichschritt gewachsen wie die Kundengelder (plus 51 Prozent) sowie das Kreditvolumen (plus 48 Prozent). Allerdings: Das Wachstum beim Gewinn war prozentual fast doppelt so hoch.



In einer früheren Version dieses Artikels warf SonntagsBlick den Raiffeisen-Verantwortlichen «sehr grosszügige Rundungsgewohnheiten» vor, weil sie behaupteten, dass die Steigerung der Erträge «in etwa Schritt» hielten mit der Volumenentwicklung im Kundengelder-, Ausleihungs- und Depotgeschäft. Dieser Vorwurf war nicht gerechtfertigt. Der Grund für diese Fehlbehauptung im Artikel: SonntagsBlick ging fälschlicherweise davon aus, dass in der Raiffeisen-Stellungnahme von Gewinnerträgen die Rede war und nicht von Geschäftserträgen.

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