Abhöraktion wurde erst im zweiten Anlauf genehmigt
Dieses Telefonat überzeugte die Richter von Vincenz’ Schuld

Das Bezirksgericht Zürich begründete diese Woche ausführlich, weshalb der Ex-Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz ins Gefängnis soll. Eine wichtige Rolle spielen dabei abgehörte Gespräche – allerdings hätten diese Beweismittel um ein Haar gar nicht gesammelt werden können.
Publiziert: 14.01.2023 um 17:50 Uhr
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Aktualisiert: 14.01.2023 um 18:23 Uhr
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Pierin Vincenz verlässt nach Tag acht der Verhandlungen im Frühling 2022 das Zürcher Volkshaus.
Foto: Philippe Rossier
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Thomas SchlittlerWirtschaftsredaktor

Drei Jahre und neun Monate Knast – unbedingt. So lautete Mitte April 2022 das Urteil des Bezirksgerichts Zürich für den früheren Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz (66). Sein langjähriger Geschäftspartner Beat Stocker (62), ehemals CEO der Kreditkartenfirma Aduno, kassierte gar eine Freiheitsstrafe von vier Jahren, ebenfalls ohne Bewährung.

Diese Woche lieferten Bezirksrichter Sebastian Aeppli (64) und seine Kollegen die schriftliche Begründung für das Strafmass. Aus dem 1200-Seiten-Werk geht hervor, dass die schwerwiegendsten Gesetzesverstösse beim Kauf der KMU-Beteiligungsgesellschaft Investnet begangen wurden. Mit dem Fall, der den Wirtschaftsprozess des Jahrzehnts seinerzeit ins Rollen gebracht hatte, begründet das Gericht mehr als die Hälfte der Freiheitsstrafe für Vincenz und Stocker.

Am Anfang stand eine Zahlung von 2,9 Millionen Franken, die Stocker am 3. Juli 2015 auf Vincenz’ Konto bei der Raiffeisenbank Lugano überwies. Einige Monate später bekam Lukas Hässig Wind von der Transaktion – und sie schien dem Inhaber des Finanzportals «Inside Paradeplatz» höchst verdächtig: Hässig wusste, dass sich Raiffeisen mit Vincenz an der Spitze nur wenige Wochen vor der Überweisung bei Investnet eingekauft und dass Stocker diesen Deal eingefädelt hatte.

«Da gibt es null Zusammenhang»

Gehörte die 2,9-Millionen-Franken-Überweisung zu diesem Deal? War der Raiffeisen-Chef etwa heimlich an Investnet beteiligt gewesen – der Gesellschaft, die er später mit der Genossenschaftsbank übernahm? Hässig fragte bei Vincenz nach: «Gibt es einen Zusammenhang?»

Der Topbanker verneinte vehement: «Da gibt es null Zusammenhang. Diese Frage alleine ist ein Skandal. Herr Stocker hat mir ein privates Darlehen für einen Hauskauf gewährt.»

Am 7. April 2016 machte Hässig die «brisante Zahlung» publik und sorgte so dafür, dass sich andere Medien, die betroffenen Firmen, die Finanzmarktaufsicht (Finma) und die Strafverfolgungsbehörden für die Geschehnisse zu interessieren begannen.

Geld für Aktienkäufe benutzt

Daran, dass die 2,9 Millionen ein Darlehen gewesen seien, hielten Vincenz und Stocker stets fest, auch vor dem Bezirksgericht – das den Beschuldigten jedoch keinen Glauben schenkte. Im Urteil wird das «Darlehensszenario» als «vorgeschobenes Konstrukt» abgetan. Das Gericht anerkannte zwar, dass Vincenz einen Teil des Geldes, rund zwei Millionen Franken, für den Kauf einer Liegenschaft im Tessin verwendet habe. Es wies aber darauf hin, dass «bei Weitem nicht die gesamte Geldsumme» für den Immobilienkauf eingesetzt wurden. Vielmehr seien die Mittel auch für andere Anschaffungen eingesetzt worden, etwa für Aktienkäufe.

Die Argumente des Ex-Raiffeisen-Chefs zerpflücken die Richter: «Wenn der Beschuldigte Vincenz diesbezüglich anführt, die Gelder seien auch für eine mögliche Renovation der Liegenschaft bezogen worden, so ergeben sich für diese Version keine überzeugenden Anhaltspunkte, zumal selbst eine umfangreiche Renovation kaum rund CHF 1 Mio. gekostet hätte und eine solche Renovation nach Erhalt des Geldes dann auch nie geplant, geschweige denn durchgeführt wurde, wie der Beschuldigte anlässlich der Hauptverhandlung einräumen musste.»

Als «starkes Indiz für eine Unterbeteiligung» nennt das Urteil zudem ein abgehörtes Telefonat vom 21. Februar 2018. Darin lasse Stocker mehrmals erkennen, die Einnahmen aus dem Investnet-Verkauf stünden nicht nur ihm, sondern auch Vincenz zu.

«Aktion Armstrong»

Der Wortlaut des Gesprächs: «In der Tranche 1 haben wir 5,9 Mio. bekommen (...), davon sind an dich geflossen äh 2,9 Mio. von der Tranche 1 … die berühmten … plus 0,8 das sind die verschiedenen Darlehen plus Rechnungen von Peter (…) in einer fifty-fifty Betrachtung hast du mehr zugute. Ideal wäre jetzt folgendes Modell in unserem Innenverhältnis. (…) Wenn wir so eine Lösung finden würden mit 7,5 Mio. Darlehen aus meiner Tranche 3, dann haben wir einerseits unter uns Gleichheit geschaffen und andererseits haben wir Disposition für künftige Geldflüsse, wenn sie dann nötig sind.»

Beat Stocker und Pierin Vincenz führten am 21. Februar 2018 ein verhängnisvolles Telefongespräch, das von den Ermittlungsbehörden abgehört wurde.

Nach Ansicht des Gerichts zeigt das Telefonat, wie Stocker nach Möglichkeiten suchte, um Vincenz die ihm zustehende Hälfte der geflossenen und künftig fliessenden Gelder auf Umwegen doch noch zukommen zu lassen. Direkte Überweisungen waren da wegen des laufenden Finma-Verfahrens nicht mehr möglich.

Um ein Haar wäre das Gespräch gar nicht aufgezeichnet worden. Im ersten Anlauf wurde der Staatsanwaltschaft die Genehmigung für eine Telefonüberwachung von Vincenz und Stocker nämlich verwehrt. Wie aus dem Urteil hervorgeht, wurde die sogenannte «Aktion Armstrong» vom Obergericht des Kantons Zürich mit Verfügung vom 30. Januar 2018 abgewiesen. Erst als die Staatsanwaltschaft eine Woche später erneut einen Antrag auf Überwachung stellte, gab das Obergericht am 12. Februar grünes Licht. Keine zehn Tage danach zeichneten die Ermittler das verhängnisvolle Gespräch auf.

Erfolg mit dem zweiten Antrag

Weshalb das Obergericht die Abhöraktion zunächst nicht bewilligen wollte, geht aus den Akten nicht abschliessend hervor, aber der Verdacht liegt nahe, dass sich der erste Antrag auf einen Sachverhalt bezogen hatte, der sehr weit zurücklag und das Gericht deshalb davon ausging, dass eine Überwachung kaum zu zusätzlichen Beweisergebnissen führen würde.

Den zweiten Antrag auf Überwachung begründete die Staatsanwaltschaft dann mit der Investnet-Transaktion – und hatte Erfolg.

In einigen Monaten dürfte der Fall Vincenz nun erneut vor das Zürcher Obergericht kommen. Sämtliche Parteien haben bereits angekündigt, das Urteil des Bezirksgerichts bei der nächsten Instanz anzufechten. Dabei dürften die Resultate der Abhöraktion erneut zum Thema werden.

Aus dem Umfeld der Verteidigung wird nämlich moniert, dass das Bezirksgericht entlastendes Material, das bei der Telefonüberwachung gesammelt wurde, kaum oder gar nicht gewürdigt habe.

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