Rechtsprofessor Peter V. Kunz (57) sieht im erstinstanzlichen Verdikt Schwachstellen
Vor Obergericht darf Vincenz auf mildere Strafe hoffen

Die schriftliche Begründung im Fall Vincenz ist nun endlich da. Rechtsprofessor Peter V. Kunz erklärt, was das Gericht gut gemacht hat und wo die Schwächen des Urteils liegen.
Publiziert: 13.01.2023 um 06:44 Uhr
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Aktualisiert: 13.01.2023 um 07:58 Uhr
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Rechtsprofessor Peter V. Kunz: «Im Zweifel für den Angeklagten.»
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Christian KolbeRedaktor Wirtschaft

Nun liegt es also auf dem Tisch der Anwälte, das 1200 Seiten dicke schriftliche Urteil des Bezirksgerichts Zürich im Fall Vincenz & Co. Eine ausführliche Begründung, warum Pierin Vincenz (66) und Beat Stocker (62) für Jahre ins Gefängnis sollen.

Viel Lesestoff für Juristen und Anwälte, gespickt mit unzähligen Details: etwa zur Glaubwürdigkeit des ehemaligen Raiffeisenpräsidenten Johannes Rüegg-Stürm (62), dem zum Zeitpunkt seiner Einvernahme ein mögliches Strafverfahren drohte, da die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) die Vorgänge bei der Bank in der Ära Vincenz genau unter die Lupe genommen hat. Andererseits hält das Gericht auch fest, dass Rüegg-Stürm «bestrebt war, den Beschuldigten Vincenz nicht über Gebühr zu belasten» und den ehemaligen Raiffeisen-Boss immer wieder für seinen Job bei der Bank lobte. Weiteres Detail: Eine ehemalige Assistentin von Vincenz hat als Auskunftsperson die Aussage konsequent verweigert.

Blick wirft zusammen mit dem Rechtsprofessor Peter V. Kunz (57) einen Blick auf das Urteil und ordnet ein.

Welchen Gesamteindruck hinterlässt das Urteil der ersten Instanz?
Einen positiven. «Das Urteil ist handwerklich sehr gut geschrieben», sagt Kunz. Hinterlasse aber gerade bei der rechtlichen Würdigung einen recht dünnen Eindruck. Also, wenn es darum geht, inwiefern das Vorgehen von Vincenz und seinem Kompagnon Beat Stocker gegen das Gesetz verstossen habe.

Was hat das Gericht gut gemacht?
Auf rund 900 Seiten wird der sogenannte Sachverhalt sehr detailliert dargestellt. «Es ist nun gut nachvollziehbar, warum das Gericht die Beteiligung an Firmen und die Versuche zur Verschleierung dieser Beteiligungen vor den jeweiligen Arbeitgebern als strafrechtlich relevant ansieht», erklärt Kunz. Es zeige sich auch, dass die Staatsanwaltschaft in der Voruntersuchung einen guten Job gemacht hat, auf den sich das Gericht in seinem Urteil abstützt.

Wo liegen die Schwachstellen?
«Für mich ist das ein Verdachtsurteil», sagt Kunz. Das heisst, das Gericht argumentiert auf den Verdacht hin, dass es zu Absprachen von Vincenz und Stocker zu ihrem eigenen Vorteil – und zum Schaden ihrer Arbeitgeber – gekommen ist. Im Urteil ist viel von Indizien zu lesen, über Seiten werde die Glaubwürdigkeit des Hauptangeklagten Vincenz infrage gestellt. «Mir fehlen aber die eindeutigen Beweise, die ein so hohes Strafmass rechtfertigen würden», urteilt Kunz. Es müsse gelten: «Im Zweifel für die Angeklagten.»

Wie gehen die Anwälte der Beschuldigten jetzt vor?
Die Anwälte der Hauptangeklagten werden das Urteil akribisch prüfen und bis Ende Januar Berufung beim Obergericht in Zürich einlegen. Die Stossrichtung: vollständiger Freispruch für Vincenz und Stocker. An und für sich eine Sache, die schnell erledigt wäre.

Wieso brauchen die Anwälte trotzdem den ganzen Januar?
Das hat damit zu tun, dass sie auch zusätzliche Beweisanträge in dieser Frist einreichen müssen. Die Advokaten prüfen, ob einige Zeugen nochmals oder weitere Zeugen zusätzlich befragt werden sollen. Aus Sicht der Anwälte idealerweise mündlich in der Verhandlung vor dem Obergericht.

Wie geht es weiter?
Das Obergericht wird die Anträge prüfen und dann entscheiden, ob es ein Urteil aufgrund der Akten fällen will, oder ob es zu einer weiteren Verhandlung im Fall Vincenz kommen wird. Mit einem zweitinstanzlichen Urteil ist in diesem Jahr nicht mehr zu rechnen.

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