Die Schweiz ist mitten im Lockdown. Das Osterfest ist vorbei. Die meisten haben auf die grosse Familienfeier verzichtet. Lonza-Präsident Albert Baehny (68) setzt sich hin und verfasst einen zweiseitigen Brief. Die Adressaten: Bundesrätin Simonetta Sommaruga (60) und Bundesrat Alain Berset (48).
Es ist der 14. April 2020. Baehny hat in den letzten Wochen die Entwicklung der Pandemie genau verfolgt. Seine Lonza hat einen historischen Auftrag an Land gezogen. Die Firma soll exklusiver Produktionspartner für den Corona-Impfstoff von Moderna sein. Alle Augen der Welt werden auf Lonza gerichtet sein, wenn das bekannt wird.
Die Nachricht ist noch frisch. Ausserhalb von Lonza ist sie unbekannt. Baehny unterrichtet den Bundesrat im Brief vom 14. April aber bereits detailliert über die «wegweisende» Vereinbarung mit Moderna. Er legt Produktionsdetails offen. In welchem Quartal welche Produktionsaktivitäten geplant sind. Im dritten Quartal 2020 soll demnach die Herstellung des Vakzins in den USA starten. Im vierten Quartal will Lonza in der Schweiz loslegen. In Visp VS.
Treffen unter Kronleuchtern
Der Bund hat den Brief letzten Sonntag publiziert. Als Reaktion auf ein Interview der Sonntagspresse. Der Vertrag sei «sehr umkämpft» gewesen, schreibt Baehny in diesem Brief. Die Konkurrenz kam aus Frankreich, Italien, Deutschland, Singapur und den USA. «Um die Vereinbarung zu sichern, hat sich Lonza dazu verpflichtet, zwischen 50 und 60 Millionen Franken in das Projekt zu investieren», so Baehny weiter.
Die Tinte mit Moderna ist offenbar schon im Trockenen. Die Öffentlichkeit weiss aber noch nichts. Baehny informiert nur den Bundesrat. Zwei Professoren übermitteln den Brief. Adriano Aguzzi (60) und Manuel Battegay (61). Beide gehören seit Ausbruch der Pandemie zu den führenden Stimmen im Land. Aguzzi führt das Institut für Neuropathologie vom Universitätsspital Zürich. Battegay, der Infektiologe, amtete damals als Vizepräsident der wissenschaftlichen Taskforce. Er hat das Gremium mittlerweile verlassen.
Der Bundesrat liest die Nachricht von Lonza und Moderna. Baehny und Berset tauschen sich aus. Für den 1. Mai wird ein Treffen im feudalen Leuchtersaal des Bernerhofs ausgemacht. Es ist der schönste Sitzungssaal am Sitz des Eidgenössischen Finanzdepartements. Ein Aushängeschild der Bundesverwaltung. Oben hängen drei riesige Kronleuchter, umrahmt von Stuckaturen. Normalerweise tagen hier Delegationen von bis zu 50 Personen.
Hohe Handelsvolumen bei Lonza-Aktie
Die Öffentlichkeit ist immer noch ahnungslos. Die Vereinbarung zwischen Lonza und Moderna ist noch nicht kommuniziert. Sie macht aber bereits die Runde in der Bundesverwaltung. Am 1. Mai, am Tag des Treffens mit dem Bund, folgt endlich das Communiqué. Zweieinhalb Wochen nach dem Brief an den Bundesrat. Kurz vor dem Treffen mit Spitzenbeamten aus dem Bundesamt für Gesundheit (BAG).
Das Handelsvolumen der Lonza-Aktie ist in dieser Zeit verdächtig hoch. Das zeigen Daten der SIX. Fast 400'000 Titel werden am Tag durchschnittlich gehandelt in der zweiten Aprilhälfte. Zum Vergleich: Im letzten Monat waren es durchschnittlich knapp über 200'000. In den letzten zwölf Monaten: knapp über 300'000. Und auf 3-Jahres-Frist gesehen sind es durchschnittlich 330'000.
Problematischer noch: Die Aktie gewinnt in diesen zweieinhalb Wochen, die zwischen dem Brief und dem Meeting im prunkvollen Leuchtersaal sind, fast zehn Prozent. Und auch danach gab es fast nur eine Richtung: nach oben. In der Spitze notierte eine Lonza-Aktie unter anderem wegen der Moderna-Partnerschaft bei über 600 Franken. Im April 2020 war das Papier noch 400 Franken wert.
Problematischer Informationsvorsprung
Die Frage liegt auf der Hand: War das alles rechtens? Börsenkotierte Firmen müssen alle Tatsachen offenlegen, die potenziell kursrelevant und nicht öffentlich bekannt sind. So sehen es die Regeln zur Ad-hoc-Publizität vor. Andernfalls besteht die Möglichkeit betrügerischer Deals. Insider können Informationen dazu nutzen, Papiere mit Gewinn zu kaufen oder zu verkaufen.
BLICK hat mehrere Experten zum Fall Lonza und Moderna befragt. Keiner wagt eine Einschätzung. Zu heikel, zu politisch ist die Situation. Lonza versichert aber, die öffentliche Kommunikation sei «in Übereinstimmung mit den anwendbaren Börsenregeln» erfolgt. Man habe den Kontakt mit dem Bund bewusst «frühzeitig und vertraulich» hergestellt. «Um dem Bund Gelegenheit für eine Beteiligung zu geben.»
Verdachtsmomenten nachgehen
Und was sagt die Börsenbetreiberin SIX? Sie äussert sich nicht zum konkreten Fall. Man gehe «Verdachtsmomenten systematisch nach», heisst es bloss. Werden Unregelmässigkeiten festgestellt, würde eine Untersuchung oder ein Sanktionsverfahren eröffnet. Bei einem Verdacht auf Insiderhandel würden die Finanzmarktaufsicht (Finma) und die Bundesanwaltschaft (BA) eingeschaltet. Diese Eskalationsstufe ist im aktuellen Fall aber noch nicht erreicht. Weder die Finma noch die BA bestätigen Ermittlungen.
Der Fall bleibt also vorerst politischer Natur. Die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats wird sich mit der Angelegenheit befassen, wie am Dienstag bekannt wurde. Dabei steht die Frage im Zentrum, ob die Schweiz einfacher Zugang zum Moderna-Impfstoff hätte erhalten können. Und nicht, ob es zu verdächtigen Transaktionen kam.