Auf einen Blick
2024 verging kaum eine Woche, in der Stadler Rail nicht mit Erfolgsmeldungen aufwarten konnte: Intercity-Züge für Saudi-Arabien. Wasserstoffzüge für Kalifornien. Batterietriebzüge für Chicago (USA). Strassenbahnen für Salt Lake City (USA). Lokomotiven für die Pariser Metro. U-Bahn-Züge für Lissabon und Berlin.
In den Jahren zuvor war die Lage ähnlich. Der Auftragsbestand von Peter Spuhlers (65) Bahnkonzern explodierte von 2017 bis Mitte 2024 geradezu – von 11 auf 26,8 Milliarden Franken.
Um alle Aufträge abarbeiten zu können, eröffnete Stadler mehrere neue Werke. Entsprechend hat sich die Zahl der Mitarbeitenden seit 2017 beinahe verdoppelt, von 7700 auf zuletzt 14'800 Vollzeitstellen.
Angesichts dieser Zahlen würde man meinen, dass es dem Unternehmen blendend geht. Der Stadler-Aktienkurs aber zeigt ein anderes Bild: Seit dem Börsengang 2019 ging es fast nur bergab.
Diese Woche kam es gar zu einem Kurssturz, nachdem das Management bekannt gegeben hatte, dass es wegen mehrerer schwerer Unwetterkatastrophen zu Lieferverzögerungen kommen werde, unter anderem im wichtigen Stadler-Werk Valencia. Die ursprünglichen Gewinnziele mussten widerrufen werden.
«Volksaktie»: Vom 50er- zum 20er-Nötli
Die Reaktion der Börse fiel brutal aus: Die Stadler-Aktie sackte im Lauf der Woche um 17 Prozent ab und ist nun für weniger als 20 Franken zu haben. Vor fünf Jahren, wenige Monate nach dem Börsengang, war die «Volksaktie» fast 50 Franken wert.
Die Zurückweisung der Investoren hat einen einfachen Grund: Stadler gelingt es nicht, den rekordhohen Auftragsbestand in saftige Gewinne (und Dividenden) umzumünzen.
Bernd Laux, Analyst für Industrie- und Technologieunternehmen bei der ZKB, sagt dazu: «Stadler Rail konnte in den vergangenen Jahren Marktanteile gewinnen und ist insbesondere bei neuen, energieeffizienten Antriebssystemen Innovationsführer. Bisher resultierten daraus aber leider keine Gewinnsteigerungen – im Gegenteil.»
2017 erzielte Stadler einen Umsatz von 2,4 Milliarden und einen Betriebsgewinn von 191 Millionen Franken. 2023 lag der Betriebsgewinn 8 Millionen tiefer – und das, obwohl der Umsatz mittlerweile auf 3,6 Milliarden angestiegen war.
Erklärungen des CEO
Die Betriebsgewinnmarge, eine der wichtigsten Kennzahlen für Investoren, hat sich von 7,9 Prozent (2017) auf 5,1 Prozent (2023) reduziert. Für das laufende Jahr sind die Aussichten nach den jüngsten Ereignissen nochmals deutlich schlechter. Was läuft da schief?
CEO Markus Bernsteiner (58) erklärt die unbefriedigende Entwicklung gegenüber Blick damit, dass man seit dem Börsengang 2019 immer wieder «extern verursachte Krisensituationen» bewältigen musste. Was Bernsteiner meint: Corona, Lieferkettenunterbrüche, Ukraine-Krieg, Frankenstärke, Inflation.
Analyst Laux teilt diese Einschätzung: «Stadler kann die Mehrkosten, die all das mit sich gebracht hat, teilweise nur unzureichend an die Auftraggeber weitergegeben.»
Der Branchenkenner gibt dem Management eine Mitverantwortung: «Das Unternehmen hat diesen Risiken – zu denen auch der Fachkräftemangel und die höheren Lohnkosten gehören – in früheren Verträgen zu wenig Rechnung getragen.» Dafür bezahle man nun mit tieferen Gewinnmargen.
Doch nicht nur die Gewinne lassen zu wünschen übrig, auch die Entwicklung der Umsätze ist – verglichen mit dem Auftragsbestand – bescheiden.
Kommt 2026 der grosse Schub?
Diesen Umstand begründet CEO Bernsteiner mit der «konservativen Rechnungslegungsmethode» des Konzerns: «Fahrzeuge werden in den Büchern erst als Umsatz ausgewiesen, wenn diese vom Kunden abgenommen wurden.» Aufgrund der mehrjährigen Projektdauer hinke der Umsatz deshalb dem Auftragseingang hinterher.
2023 und 2024 habe die Produktionsleistung den Umsatz jeweils um mehrere Hundert Millionen Franken überstiegen. «Dies wird auch im Jahr 2025 nochmals der Fall sein. 2026 erwarten wir dann einen massiven Umsatzanstieg.»
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Bernsteiner hebt hervor, dass Stadler laufend an der Produktivität arbeite: «In den letzten Jahren haben wir die Vertriebs- und Auftragsabwicklungsprozesse verbessert und werden dies weiterhin tun.» Zudem setze man in den verschiedenen Bereichen ein «ambitioniertes Effizienzsteigerungsprogramm» um.
Und das ist nicht alles. Auch was die Auswahl der Auftraggeber betrifft, sieht der Konzern offenbar Optimierungspotenzial. Bernsteiner: «Wir priorisieren die Ausschreibungen, an denen wir teilnehmen, strikt nach Profitabilität.»
Das klingt nicht nach unbedingter Lust am Wachstum. Die Bahnbauer aus dem Thurgau scheinen darauf zu fokussieren, ihren Investoren endlich die versprochenen Gewinnmargen von 7 bis 8 Prozent liefern zu können.
Eine Prognose, bis wann dieses Ziel erreicht ist, wollen die Verantwortlichen aufgrund der aktuellen Unsicherheiten aber nicht wagen. Diese Zurückhaltung dürfte kaum dazu beitragen, die Investoren wieder vermehrt für die Stadler-Aktie zu begeistern.