Lösungen für die Wohnungsnot
Mindestbelegung, Umbauten und Wohnen in Bürogebäuden – so gibts Platz für alle

Die Schweiz baut zu wenig Wohnungen für immer mehr Menschen. Zeit für neue Ideen: Genossenschaften und auch Private machen es vor.
Publiziert: 17.01.2025 um 19:53 Uhr
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Aktualisiert: 20.01.2025 um 09:30 Uhr
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Die Wohnungsnot in der Schweiz steigt.
Foto: Sven Thomann

Auf einen Blick

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Peter Johannes Meier
Beobachter

Wer durch die Aussenquartiere grosser Städte schlendert, sieht es deutlich: Ein Baugespann reiht sich ans nächste, Kräne drehen sich schwindelerregend. In Zürich weichen ganze Siedlungen, um neu dichter und ökologischer zu bauen.

Doch der Schein trügt. Die Bautätigkeit reicht nicht aus, um den steigenden Wohnungsbedarf zu decken. In den letzten zehn Jahren wuchs die Bevölkerung der Schweiz um zehn Prozent auf über neun Millionen Menschen.

Gleichzeitig sank die Zahl der jährlich neu erstellten Wohnungen von über 53'000 auf 46'700. Bis zum Ende der Negativzinsen 2022 – Bauen war billig – konnte der Bedarf der jährlich 64'000 Zuwanderer gedeckt werden.

Genossenschaften fordern zum Wohnungswechsel auf, wenn der Haushalt schrumpft.
Foto: Cornelia Gann

Dann brach die Bautätigkeit ein, und der Ukrainekrieg trieb 50'000 Geflüchtete in die Schweiz. Heute zählt man sie zur ständigen Wohnbevölkerung, die 2023 um 145'000 Menschen anwuchs. Das entspricht einem Bedarf von etwa 72'000 Wohnungen. Gebaut wurden aber jährlich nur rund 46'000 (siehe Grafik unten). Der Bund rechnet mit einem künftigen jährlichen Defizit von rund 10'000 Wohnungen.

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Ein Rückgang der Arbeitsmigration ist nicht in Sicht, die Prognosen zu Flüchtlingsbewegungen sind sehr unsicher. Zwar gibt es wieder etwas mehr Baugesuche, doch die Bautätigkeit stagniert.

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Schwierige Suche nach Auswegen

Was tun? Es gibt viele Rezepte. Einige sind aber kaum mehrheitsfähig oder benötigen viel Zeit. Etwa Kulturland in den Speckgürteln der Städte zu opfern – von links bis rechts ein Tabu.

Oder eine Steuer auf die genutzte Wohnfläche? Der Baumeisterverband schlug dies vor, um das Ausziehen aus zu grossen und unterbelegten Wohnungen zu beschleunigen. Politisch ist eine neue Steuer wohl unrealistisch.

Die Zuwanderung beschränken? Selbst bei Annahme der umstrittenen SVP-Initiative würde dies erst in einigen Jahren greifen – wenn die Schweiz auf zehn Millionen zusteuert.

Weniger Bürokratie, weniger Einsprachemöglichkeiten, dafür mehr Druck, gehortetes Bauland zu überbauen; das alles scheint realistischer. Doch solche Prozesse dauern.

Was bleibt? Zusammenrücken. Weniger Raum beanspruchen, um mehr Menschen das Wohnen zu ermöglichen. Mindestbelegungen, Umbauten von Einfamilienhäusern und Wohnen in Bürogebäuden sind Beispiele dafür.

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Mindestbelegungen – Anzahl Personen plus eins

Die meisten Genossenschaften und städtischen Liegenschaftenverwaltungen kennen Vorgaben zur Mindestbelegung einer Wohnung. Oft nach der Regel: Anzahl Personen plus ein Zimmer. Eine Dreizimmerwohnung muss also von mindestens zwei Personen bewohnt werden.

«Wir empfehlen allen Genossenschaften, solche Belegungsvorschriften einzuführen», sagt Andreas Wirz, Architekt und Präsident des Verbands Wohnbaugenossenschaften Zürich, zum Beobachter. Rund 85 Prozent der Mitglieder im Grossraum Zürich folgen bereits dieser Regel, Tendenz steigend. Schweizweit rechnet er mit ähnlich hohen Werten.

Warum solche Vorschriften? «Die Nachfrage nach gemeinnützigen Wohnungen ist enorm gestiegen. Und es war uns schon immer ein Anliegen, haushälterisch mit Wohnraum umzugehen, um für möglichst viele Menschen bezahlbare Angebote zu schaffen», sagt Wirz. Neben sozialen Überlegungen hätten auch ökologische Gründe an Bedeutung gewonnen.

Der Auszug von Kindern, das Ende von Paarbeziehungen und Todesfälle würden solche Wechsel in kleinere Wohnungen bedingen. Bei der Durchsetzung hapert es allerdings. «Fast alle Genossenschaften verfügen über zu wenig kleine Wohnungen. Viele wurden vor Jahrzehnten für Familien gebaut.»

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Weil die Bewohner als Genossenschafterinnen auch Miteigentümer sind, kann man ihnen nicht einfach kündigen. Viele können deshalb jahrelang in ihrer unterbelegten Wohnung bleiben.

Manche kleinere Genossenschaften haben zudem schlicht keine Möglichkeit, zusätzlich kleinere Wohnungen zu bauen. Dann leben auch mal Einzelpersonen in Reihenhäusern, die eigentlich für Familien gedacht wären.

Zwang zum Auszug?

Teils erschweren Betroffene mit hohen Ansprüchen einen Wechsel. Sie wollen in der gleichen Siedlung bleiben, ein Umzug kommt nach Jahrzehnten in der gleichen Wohnung für viele nicht infrage.

Doch immer mehr Genossenschaften ziehen jetzt die Schraube an. Nach zwei oder drei Angeboten für kleinere Wohnungen muss man sich entscheiden: annehmen oder die Genossenschaftswohnung aufgeben. Mehr Kooperation zwischen verschiedenen Genossenschaften, um Umzüge übergreifend zu ermöglichen, könnte Linderung schaffen. «Das geschieht heute in Einzelfällen, dürfte künftig aber wichtiger werden», bestätigt Wirz gegenüber dem «Beobachter».

Was Neubauten erschwert

Genossenschaften versuchen zwar, mit Neubauten Gegensteuer zu geben. Doch überhitzte Bodenpreise erschweren den Bau günstiger Wohnungen. In Städten wie Zürich, Bern oder auch Basel ist das besonders schwierig geworden.

Das ist nicht die einzige Hürde. Langwierige Genehmigungsprozesse, Einsprachen und Rekursverfahren können Neubauprojekte über Jahrzehnte verzögern oder ganz verhindern. Ein Beispiel dafür ist die Überbauung einer ehemaligen Arbeitersiedlung im Zürcher Kreis 4.

Nach 20 Jahren ist das Projekt baureif

Zuerst musste die Siedlung über einen Gestaltungsplan aus dem Inventar schützenswerter Bauten entlassen werden, dann kamen Einsprachen vom Heimatschutz, später wurden auch noch die Lärmvorschriften verschärft, was die Überarbeitung des Projekts nötig machte. Heute ist es baureif – sofern das Zürcher Parlament noch seinen Segen gibt. Bald 20 Jahre nach Planungsbeginn.

«Solche Prozesse dauern einfach viel zu lange und verteuern Projekte massiv», kritisiert Andreas Wirz. Die betroffene Genossenschaft rechnet inzwischen mit Mehrkosten von gegen 20 Prozent, was auch die Wohnungen verteuern wird.

Genossenschaften fordern zum Wohnungswechsel auf, wenn der Haushalt schrumpft.
Foto: Cornelia Gann
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Einfamilienhäuser – wenn die Familie kleiner wird

Unterägeri ZG, nicht weit vom See. Hier lebt Patricia Blöchlinger in einem klassischen Einfamilienhaus – so scheint es auf den ersten Blick. Doch es war nie eines. Bereits 1961, als es ihr Schwiegervater mit viel Eigenleistung baute, entstand im Erdgeschoss eine Ferienwohnung für Gäste. «Eine besondere Ausbildung hatte er nicht. Er schaffte das mit Hingabe und noch mehr Arbeitsstunden», erzählt Blöchlinger.

Mehrfach wurde das Haus seither umgebaut und neuen Bedürfnissen angepasst. Der Dachstock wurde ausgebaut, ein Holzanbau kam hinzu, um genügend Platz für eine weitere Familie zu schaffen. Eine Zeit lang wohnte auch eine Flüchtlingsfamilie im Haus.

«Wir spielten auch mal mit dem Gedanken, das Gebäude abzureissen und neu zu bauen. Kostenmässig wären wir wahrscheinlich nicht schlechter gefahren», sagt Blöchlinger. Es seien ökologische, aber auch nostalgische Gründe gewesen, die sie letztlich zum Umbau bewogen hätten. Seit 2001 erfüllt das Haus den Minergie-Standard und beherbergt drei Wohnungen.

2017 wurde das Erdgeschoss komplett saniert, und für die Blöchlingers in eine Dreieinhalbzimmerwohnung umgebaut. Doch 2022 starb der Ehemann. «Die Wohnung war plötzlich ziemlich gross für mich allein», sagt Patricia Blöchlinger. Auch das hat sich geändert: Heute lebt sie mit einer Austauschschülerin aus Tschechien in der Wohnung.

Beratung für Hausbesitzer

Ein Haus erweitern und sich wandelnden Bedürfnissen anpassen: Das ist ganz im Sinn des Projekts MetamorpHouse, das die Architektin Mariette Beyeler ins Leben gerufen hat. «Wir wollen Wege aufzeigen, wie ein Einfamilienhaus so verändert werden kann, dass es sozial und ökologisch verträglich wird, auch wenn Kinder ausgeflogen sind, es zu Trennungen kommt oder ein Partner stirbt», sagt Beyeler zum «Beobachter».

Dafür sei nicht immer mehr Wohnfläche nötig. Oft genüge ein separater Zugang zu einem Stockwerk, um eine zusätzliche Wohnung zu schaffen. Gemeinden und der Bund unterstützen das Projekt. Es geht darum, Hauseigentümer über eine sogenannte Innenentwicklung ihrer Liegenschaften zu informieren. Gerade in klassischen Einfamilienhaussiedlungen schlummert viel Potenzial ungenutzt.

Gute Idee – aber nicht so einfach umzusetzen: Büroräume zu Wohnungen umbauen.
Foto: Cornelia Gann
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Büroraume fürs Wohnen umnutzen

Gleich neben der Berner Monbijoubrücke stand bis vor wenigen Jahren ein sechsgeschossiges Bürohaus aus den 1960er-Jahren. Das Migrationsamt hauste im sogenannten Brückenkopf. Das Gebäude steht immer noch. Doch seit Ende 2021 wohnen Menschen darin.

Der Berner Architekt Stefan Graf plante die Transformation massgeblich mit. Er spricht von einem städtischen «Unort», den es in einen lebenswerten Raum zu verwandeln galt.

Der «Brückenkopf» war ein Pionierstück für die Umnutzung von Büro- zu Wohnraum. Mittlerweile wagen sich mehr Immobiliengesellschaften und Baufachleute an solche Projekte. Denn viele Büroräume sind unterbelegt, der finanzielle Druck steigt.

Teure Umbauten

Die schweizweit rund vier Prozent Büroleerstand sind im europäischen Vergleich zwar eher niedrig. In manchen städtischen Vororten sind es allerdings weit über 10 Prozent. Vermehrtes Homeoffice und unsichere wirtschaftliche Aussichten machen Umnutzungen zu einer interessanten Alternative. Mehrere Zehntausend Wohnungen könnten so theoretisch entstehen.

Doch die Kosten für einen Umbau sind im Vergleich zu einem Neubau oft höher. Die Erträge der neuen Wohnungen müssen deshalb deutlich höher sein als diejenigen aus der ursprünglichen Büronutzung. Das Ergebnis sind häufig Eigentums- oder Mietwohnungen im mittel- bis hochpreisigen Segment.

Der Wandel von Büro- zu Wohnraum ist auch planerisch und architektonisch eine Herausforderung. So ist das Wohnen in Gewerbezonen oft nicht erlaubt. Umzonungen sind nötig, was schnell zu langwierigen politischen Auseinandersetzungen führt. Manche Liegenschaften sind auch von der Bausubstanz und der Architektur her zum Wohnen schlicht ungeeignet.

Ein gelungenes Projekt

«Auch beim ‹Brückenkopf› hatten wir einiges unterschätzt», sagt Architekt Graf. Immerhin ist in Bern das Wohnen auch in Dienstleistungszonen möglich. Nach Klärung baurechtlicher Fragen stellten die Geometrie – besonders die Gebäudetiefe – und das Tragwerk eine Herausforderung dar. Ein Wohnhaus benötigt mehr Küchen und Bäder und damit mehr Haustechnikschächte. Diese können nicht beliebig positioniert werden und bestimmen künftige Grundrisse.

Entstanden sind im «Brückenkopf» 53 Wohnungen, vom Studio bis zu 3,5-Zimmer-Wohnungen und Lofts. Eine Zweizimmerwohnung mit 70 Quadratmetern kostet zwischen 1500 und 2000 Franken ohne Nebenkosten.

Der Mietermix ist heute so bunt wie die Stadt Bern. «Von jungen Studis, die noch von den Eltern unterstützt werden, bis zum zweifachen Grossvater ist alles dabei», sagt Corinne Kuenzi, Verwalterin des «Brückenkopf». Die verschiedenen Generationen treffen sich regelmässig auf der gemeinsamen Dachterrasse.

Viele Mietparteien können sich kaum mehr vorstellen, dass hier früher das Migrationsamt sesshaft war. Nur die nackten Betondecken erinnern noch an vergangene Zeiten.

Quellen

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