Experten nennen Lösungen
So könnten Wohnungsnot und steigende Mieten bekämpft werden

Wohnungsnot in der Schweiz: Experten skizzieren Lösungen für 2035. SP-Nationalrätin Badran will kommerzielle Investoren zurückdrängen, Immobilienexperte Scognamiglio setzt auf Verdichtung und Dezentralisierung, Professor Gerber fordert aktive Bodenpolitik.
Publiziert: 05.01.2025 um 14:47 Uhr
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Aktualisiert: 08:40 Uhr
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Wie kann die Wohnungsnot in den Zentren behoben werden? Im Bild: Wohngebäude in der Stadt Zug.
Foto: Sven Thomann

Auf einen Blick

  • Schweizer Immobilienmarkt: Experten diskutieren Lösungen für Wohnungsnot und steigende Preise
  • Mögliche Massnahmen: Verdichtung, Dezentralisierung und aktive Bodenpolitik
  • Bodenrente in der Schweiz: 129,9 Milliarden Franken pro Jahr
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Martin SchmidtRedaktor Wirtschaft

Die Wohnungssuche in den Schweizer Zentren ist nicht nur eine Tortur. Wegen der fehlenden Wohnungen ist es für Eigentümer auch ein Leichtes, bei einem Bewohnerwechsel den Mietzins satt zu erhöhen. Und wer ein Eigenheim kaufen möchte, wird rasch feststellen, dass die Immobilienpreise in den letzten Jahren deutlich stärker als die Löhne gestiegen sind. Eigentum ist für viele damit unerschwinglich geworden.

Die Schweiz hat also zu wenig Wohnraum, wo er benötigt wird, und die Zuwanderung verschärft die Knappheit zusätzlich. Das lässt die Preisspirale immer weiter nach oben drehen. Ein Problem, für das es keine schnelle Lösungen gibt. Was müsste also geschehen, damit die Situation auf dem Immobilienmarkt in zehn Jahren merklich besser wäre? Genau diese Frage haben in der «SonntagsZeitung» drei Expertinnen und Experten beantwortet.

Badrans Zukunft ohne ultrakommerzielle Investoren

SP-Nationalrätin Jacqueline Badran (63) sitzt im Vorstand des Mieterinnen- und Mieterverbands Schweiz und ist eine der grössten Kämpferinnen für bezahlbaren Wohnraum im Land.

In ihrer Zukunftsvision vom Schweizer Immobilienmarkt im Jahr 2035 spielen kommerzielle Eigentümer wie Immobilienfonds, börsenkotierte Immobiliengesellschaften und Pensionskassen kaum mehr eine Rolle. «Die Immobilien wurden wieder zu dem, was sie eigentlich schon immer waren – keine Anlagekategorie mehr, sondern das Zuhause der Menschen», schreibt sie in der «SonntagsZeitung».

Ihr Massnahmenpaket auf dem Weg dorthin: Eine neu eingeführte Revisionspflicht führt zu regelmässigen Kontrollen der eigentlich heute schon geltenden maximal zulässigen Mietrenditen. Die Bodenpreise stürzen in den Keller. Gemäss Badran sinken die Mieten schlagartig um 30 Prozent. Damit haben die Menschen plötzlich jährlich zehn Milliarden Franken mehr in der Tasche, die sie für selbstbewohntes Eigentum sparen können.

Der Rückzug der kommerziellen Investoren wird durch die Änderung der Bewertungsvorschriften eingeläutet. So werden Immobilien wie früher wieder zum Anlagewert und nicht wie heute zum Verkehrswert bewertet. Bilanzgewinne können nicht mehr als Dividende ausgeschüttet werden, was gemäss Badran übersetzte Mietpreise unbedeutend werden lässt. Als Folge werden nur noch Gebäude renoviert, wenn es baulich notwendig ist und nicht mehr, um nach einer Leerkündigung deutlich höhere Mieteinnahmen zu erzielen.

In Badrans Zukunft verfügen die Gemeinden zudem über ein Vorkaufsrecht für Bauland und Immobilien, von dem sie rege Gebrauch machen. Die Parzellen geben sie dann im Baurecht an Wohnbaugenossenschaften und Eigentümergemeinschaften ab.

Scognamiglio will verdichten und dezentralisieren

Donato Scognamiglio (54) ist Verwaltungsratspräsident der Immobilienberatungsfirma Iazi. Er spricht sich in seiner Zukunftsvision für eine Stärkung von lokalen Zentren aus. «Heute fokussiert sich alles auf wenige Ballungszentren. Das zeigt sich sowohl an den vielen Pendlerinnen und Pendlern, die täglich die Strassen und die Züge verstopfen, als auch an den rasant steigenden Mietpreisen dort», schreibt er in der «SonntagsZeitung». Das führt dazu, dass sich viele Leute nach einer Sanierung oder einem Neubau die Mieten nicht mehr leisten können. Sie müssen wegziehen und ihr soziales Umfeld zurücklassen.

Gemäss Scognamiglio müssen deshalb in kleineren Gemeinden und Städten wieder mehr Arbeitsplätze und Gewerbe angesiedelt werden, damit die langen Pendeldistanzen wegfallen und der Druck auf die grossen Zentren abnimmt.

Einen weiteren Lösungsansatz sieht Scognamglio darin, dass künftig schneller, höher, dichter und einfacher gebaut werden kann. So sollen Baubewilligungen vereinfacht und weitere Hürden abgebaut werden. Der Immobilienexperte spricht sich für effizienteres Bauen und flexiblere Zonenordnungen aus, so dass ungenutzte Bürogebäude einfacher durch Wohnblöcke ersetzt werden können.

Damit die Mieten bei Neubauten nicht wie heute massiv in die Höhe schnellen, sollen die Städte Parzellen grosszügig aufzonen – jedoch mit der Bedingung, einen Teil der Wohnungen zur Kostenmiete anzubieten.

Gerber spricht sich für aktive Bodenpolitik aus

Jean-David Gerber ist Professor für politische Stadtforschung und nachhaltige Raumentwicklung an der Universität Bern. In seiner Zukunftsvision hat sich die Knappheit des Bodens wegen der Verdichtung weiter verschärft. Die renditeorientierten Investoren lassen die Bodenpreise unkontrolliert in die Höhe schiessen. Menschen mit tieferen Einkommen wurden verdrängt, die soziale Durchmischung nahm ab.

Der Druck, bezahlbare Wohnungen zu schaffen, wird daraufhin immer grösser. «Unter diesem Druck sahen sich die grossen Stadtregionen gezwungen, ihre Raumplanung zu modernisieren und eine aktive Bodenpolitik zu betreiben, um mehr erschwingliche Wohnungen und lebenswerte Nachbarschaften zu erhalten», schreibt Gerber in der «SonntagsZeitung».

In den städtischen Zentren lebt die Mehrheit der Menschen in Gerbers Zukunft in preisgünstigen Wohnungen. Möglich gemacht hat dies eine aktive Bodenpolitik mit Fonds für Wohnungsentwicklungen, Zonen mit vorgegebenen Quoten für bezahlbare Wohnungen und Vorkaufsrechte für Bauland und Immobilien.

Damit wurde die heutige Praxis, aus Böden hohe, leistungsfreie Renten zu erwirtschaften, ausgebremst. Wird ein Quartier mit einer neuen S-Bahn erschlossen, steigen die Bodenpreise heute an, ohne dass die Eigentümer etwas dafür tun müssten. Auch Umzonungen spülen Eigentümern jede Menge Geld aufs Konto. «Über den Zeitraum von 2016 bis 2021 schätzten die Ökonomen Felix Schläpfer und Michael Lobsiger die Höhe der Bodenrente in der Schweiz auf 129,9 Milliarden Franken pro Jahr», schreibt Gerber. Das entspreche 17 Prozent des Bruttoinlandprodukts im Jahr 2021. Deshalb soll Wohnraum nicht mehr nur als Ware angesehen werden, sondern als Recht, das eingefordert werden kann.

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