Auf einen Blick
In den Produktionshallen der traditionsreichen Baumwollspinnerei in Kollbrunn ZH arbeiteten einst bis zu 400 Menschen. Die Spinnerei an der Töss war damals eine der grössten in der Schweiz. Vor zehn Jahren stellte sie den Betrieb für immer ein. Nun soll hier neues Leben einziehen.
Zwei Jahre lang wurden die Fabrikhallen der Spinnerei zu Wohnraum umgebaut. Kurz vor dem ersten Einzugstermin im November hatte Blick die Gelegenheit, mit Ralf Staub (51), CEO von Swiss Property, einen Rundgang durch die fertigen Räume zu machen. Noch huschen Handwerker und Reinigungskräfte durch die Gänge. An den Wänden im Treppenhaus hängen Mängellisten. Es geht um den letzten Schliff: In einer der Wohnungen muss ein grauer Fleck an der frisch gestrichenen, weissen Wand übermalt werden. In einer anderen ist es eine Unregelmässigkeit im Bodenbelag, die ausgebessert werden muss. «Wir sind in den letzten Zügen – alle Mängel werden vor Einzug noch behoben», sagt Staub. Er bestätigt: Lofts mit Industrieflair sind heiss begehrt.
Wohnen in Industriehallen
Die neuen Wohnungen kommen modern daher – vieles erinnert aber auch heute noch daran, dass hier einst Industriegeschichte geschrieben wurde. Die freiliegenden Holzbalken in den Wohnräumen stammen aus dem 19. Jahrhundert. Das für Fabriken typische Sheddach oder Sägezahndach, das in grossen Produktionshallen für genügend Lichteinfall sorgt, lässt heute die Dachwohnungen erstrahlen. Und die Fabrikfenster sind von Sandstein umrahmt, dieser musste erhalten oder originalgetreu wiederhergestellt werden.
Die «untere Spinnerei» gehörte einst der Dynastie Bühler. Im Jahr 1855 war die J. J. Bühler & Söhne einer der grössten Arbeitgeber im Tösstal und machte mit der Produktion von Garnen viel Geld. Heute gehört die historische Räumlichkeit an der Töss der Immobilienfirma Swiss Property. Sie hat die Spinnerei vor vier Jahren erworben und zu 35 Eigentumswohnungen umgebaut. Die Wohnungen sind in unterschiedlichen Ausführungen zu haben. Es gibt Loft-, Eck-, Dach- und Gartenwohnungen sowie fünf Townhouses. Das kleinste Loft ist 75 Quadratmeter gross und wurde für 450'000 Franken verkauft. Der Dachwohnung mit 183 Quadratmetern Wohnfläche kostet 1,58 Millionen Franken und ist noch frei.
Beim Umbau musste der Bauherr einige denkmalschützerische Vorgaben erfüllen. «Dadurch war die Umnutzung nicht ganz einfach», sagt Staub. So sei es beispielsweise schwierig gewesen, in die bestehende Struktur genügend Treppenhäuser einzubauen. Oder genügend Licht in die Räume zu bringen. «Aus finanzieller Sicht lohnt sich eine solche Umnutzung nicht», so das Fazit von Staub.
Umnutzungen nehmen zu
Trotzdem liegt die Swiss Property mit dem Projekt voll im Trend. In der Schweiz wurden schon unzählige Spinnereien und andere Industriegebäude zu Wohnraum umfunktioniert. «Die Umnutzung von Fabriken hat in den letzten Jahrzehnten einen deutlichen Aufschwung erlebt», sagt Nico Müller (34), Partner bei Wüest Partner. In der schweizweiten Datenbank des Immobilienberaters seien derzeit knapp 300 Industrieareale erfasst, bei denen eine Planung möglich oder bereits gestartet sei oder ein Verfahren laufe. «In den kommenden Jahren dürfte also noch viel kommen», so Müller.
Andere Projekte wurden bereits realisiert, wie Sihlcity und GreenCity in Zürich, das Kunzareal in Windisch AG oder das Papieri Areal in Cham ZG. Zahlreiche weitere befinden sich mitten in der Entwicklung, darunter die Lokstadt in Winterthur, The Valley in Kemptthal ZH oder Saurer Werkzwei in Arbon TG.
Fabrik-Lofts sind heiss begehrt
In Adliswil ZH stehen neue Loftwohnungen in einer Fabrik kurz vor der Fertigstellung. Das Gebäude stammt aus dem Jahr 1969. Bis 2022 produzierte die Emil Meier Metalldrückerei hier Metallringe für die Industrie. An den Decken befinden sich noch Bestandteile der Kranbahnen, die früher grosse Lasten bewegten. «Wir haben diese und andere Elemente als Zeitzeugen in den Lofts belassen», lässt das Architekturbüro Novaron mitteilen. Solche Industrieelemente sollen das Fabrikambiente in den Wohnraum übertragen.
Die Lofts gehen weg wie Weggli. «Nach Aufschaltung der Anzeigen hatten wir innert kurzer Zeit rund 285 Interessenten», sagt Novaron. Die einzelnen Lofts sind zwischen 43 und 126 Quadratmeter gross und kosten zwischen 780'000 und 1,94 Millionen Franken. Von den insgesamt 18 Lofts sei die Hälfte reserviert. Einzugstermin ist voraussichtlich Ende Jahr.
Der Umbau ist aufwendig
Die Umnutzung eines Fabrikgebäudes sei in der Planung und Umsetzung anspruchsvoller als ein Neubau, teilt das Architekturbüro mit. Und es bringe einige Nachteile mit sich: So konnte trotz grosser Raumreserven aufgrund der geltenden Ausnützungsvorschrift nicht alles zu Wohnraum umgebaut werden. Das Resultat: ein Überangebot an Hobby- und Abstellräumen.
Auch die Planung und Umsetzung der Kabelführung und Wärmeverteilung sei bei den immensen Raumhöhen deutlich aufwendiger gewesen. Die Lofts sind zwischen 2,55 bis 5,40 Meter hoch. Experte Müller kennt die Herausforderungen solcher Projekte. «Auch potenziellen Altlasten sollten nicht unterschätzt werden», sagt er. Sie kommen in einigen dieser Areale vor und sind für die neuen Eigentümer mit erheblichen Kosten verbunden.
Doch es gibt auch Vorteile: Produktionshallen bieten laut Müller viel Gestaltungsfreiraum. Zudem bestehen Industrieareale typischerweise aus einer grossen, zusammenhängenden Fläche. «Sie ermöglichen gross angelegte Umbauprojekte und können viel neuen Wohnraum schaffen», sagt Müller. Wohnraum, der dringend benötigt wird – und der in einigen Regionen der Schweiz für einen regelrechten Wohnboom sorgen wird.