Schweizerinnen und Schweizer werden sesshafter – unfreiwillig allerdings. Denn immer mehr Menschen in der Schweiz können oder wollen sich einen Umzug nicht leisten. Das liegt nicht etwa an den Kosten fürs Zügelunternehmen, sondern an den stark steigenden Angebotsmieten – also den Mieten inserierter Wohnungen.
2020 zogen noch 451'884 Haushalte oder 701'664 Personen um. Im letzten Jahr waren es gerade noch 404'868 Haushalte mit 624'513 Personen, wie Auswertungen der Post zeigen.
Die Mieter verweilen gerade in Regionen mit grosser Wohnungsknappheit deutlich länger in ihren Wohnungen, wie das Immo-Monitoring des Beratungsunternehmens Wüest Partner zeigt. Der Grund ist simpel: Je knapper der Wohnraum, desto stärker steigen die Angebotsmieten.
Genf schwingt oben aus
Besonders deutlich legte die Verweildauer in den letzten Jahren in den Regionen Nyon VD und in der Innerschweiz zu. Auch Mieter auf beiden Seiten des Zürichsees, den Regionen Lausanne, Vevey VD oder Neuenburg harren überdurchschnittlich lange in ihren Wohnungen aus. In Genf bleibt ein Haushalt mittlerweile im Schnitt 14,4 Jahren in einer Wohnung. Das ist ein neuer Rekord. Landesweit beträgt die Verweildauer im Schnitt 8,5 Jahre.
In bestehenden Mietverhältnissen darf der Mietzins per Gesetz nur sehr beschränkt erhöht werden. Solche Bestandsmieten können bei einem sinkenden Referenzzinssatz gar fallen. In Genf ist das Gesetz besonders streng, wodurch die Bestands- und Angebotsmieten gemäss Wüest Partner 33 Prozent auseinanderklaffen. «Der hohe Schutz bei den Bestandsmieten hat zur Folge, dass der Wohnraum weniger effizient verteilt ist. Das treibt die Angebotsmieten zusätzlich nach oben», sagt Robert Weinert (45) von Wüest Partner.
So bleiben beispielsweise Eltern nach dem Auszug der Kinder in zu grossen Wohnungen, weil sie sich keine andere Wohnung leisten können. Die Daten des Beratungsunternehmens zeigen: 28 Prozent der Schweizer Haushalte müssten nach einem Umzug mehr als ein Drittel des Bruttoeinkommens für eine vergleichbare Wohnung ausgeben. In Genf, Zug, Zürich oder Waadt liegt der Anteil noch höher.
Mieter weichen in kleine und mittelgrosse Zentren aus
Als Folge davon hat der Umzugsradius in den letzten Jahren um knapp 10 Prozent zugenommen. Die Leute ziehen immer öfters in kleine und mittelgrosse Zentren, wo sie noch bezahlbare Wohnungen finden. Für diese Entwicklung gebe es aber noch einen zweiten Grund, so Weinert. «Die Zunahme von Homeoffice hat die Bereitschaft erhöht, weiter wegzuziehen.» Wer nur an zwei oder drei Tagen ins Büro geht, nimmt längere Pendelwege in Kauf. Besonders, wenn man im Austausch dafür mehr Wohnraum zu einem vergleichbaren Preis erhält.
Die Realität ist jedoch in vielen Fällen, dass man nach einem Umzug schon für eine kleinere Wohnung mehr Miete bezahlt müsste. Und Schweizerinnen und Schweizer geben nur sehr ungern Wohnraum auf. Selbst wenn sich die Haushaltsgrösse, beispielsweise durch eine Trennung, verkleinert hat.
Sinkende Umzugsquote könnte Folgen haben
Umgezogen wird natürlich trotzdem noch: Beispielsweise, wenn Nachwuchs da ist und die Wohnung zu klein geworden ist. Häufiger werden in einer Befragung von Wüest Partner jedoch zu hohe Kosten genannt. «Manche Leute müssen gezwungenermassen in eine zu teure Wohnung ziehen, weil sie nichts Günstigeres finden. Oft sind Wohnungen aber auch nach einer Trennung nicht mehr tragbar», so Weinert. Als weiteren Grund nennt er die Reduktion des Arbeitspensums.
Die sinkende Umzugsquote könnte auch für die Wirtschaft negative Folgen haben. «Sind die Menschen weniger mobil, kann das langfristig die Suche nach Arbeitskräften erschweren», sagt Weinert. In etwa jedem zweiten Job in der Schweiz ist Homeoffice nicht möglich. Der schwierige Mietwohnungsmarkt könnte mittelfristig auch die Attraktivität der Schweiz für ausländische Arbeitskräfte schmälern, ist der Experte überzeugt. «Wenn sie bei einem Umzug in die Schweiz überdurchschnittlich hohe Wohnkosten bezahlen müssen oder gar keine passende Wohnung finden, verlieren die hohen Löhne an Strahlkraft.»