Lieferstopp für Russen-Gas hätte sofort Folgen
«Schweizer Firmen würden ihre Maschinen gar nicht mehr anschmeissen»

Russland droht erstmals offensiv mit einem Gas-Lieferstopp. Das seien für die Schweiz schlechte Nachrichten, warnt eine CS-Ökonomin. Die Industrie bekäme den Lieferstopp ab Tag eins zu spüren. Schweizer Haushalte müssten im nächsten Winter wohl Gas rationieren.
Publiziert: 09.03.2022 um 00:23 Uhr
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Aktualisiert: 09.03.2022 um 06:31 Uhr
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Russland droht erstmals offensiv damit, Europa den Gashahn zuzudrehen.
Foto: keystone-sda.ch
Sarah Frattaroli

Russland greift im Ukraine-Konflikt zu immer schärferer Rhetorik. Der russische Vize-Regierungschef drohte im Staatsfernsehen erstmals damit, den Europäern das Gas abzudrehen. «Wir haben das volle Recht, ein Embargo zu erlassen auf die Durchleitung des Gases durch die Pipeline Nord Stream 1», sagt Alexander Nowak (50).

Ein plötzlicher Lieferstopp für russisches Gas würde auch die Schweiz hart treffen. «Für die Schweiz sind das schlechte Nachrichten», sagt Franziska Fischer (29), Ökonomin bei der Credit Suisse. Die Hälfte des hierzulande verheizten Gases stammt aus Russland. Schon am ersten Tag hätte ein russischer Lieferstopp Folgen: Der Gaspreis würde stark steigen.

Industrie spürt Lieferstopp ab Tag eins

20 Prozent der Schweizer Haushalte heizen mit Gas. Sie würden die Preisexplosion nicht unmittelbar spüren, gibt es doch langfristige Verträge mit den Versorgern. Anders sähe es für die Industrie aus: 25 Prozent des Energiebedarfs von Industrieunternehmen werden mit Gas gedeckt. «Wenn die Preise explodieren, gibt es Firmen, die ihre Maschinen gar nicht mehr anschmeissen, weil es sich schlicht nicht mehr lohnt.»

Dadurch würde die Nachfrage fürs Erste schrumpfen. Zusätzlich decken die Gaslager in Europa den Bedarf für vier bis fünf Monate. «Durch diesen Winter kommen wir noch. Das Problem wäre der nächste Winter», erklärt Fischer. Dann sei sogar bei den Haushalten eine Rationierung möglich. «Ich sehe aber nicht, dass Schweizer Haushalte bei fünf Grad frieren müssen», beschwichtigt die Ökonomin.

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«Eine einfache Lösung gibt es nicht»

Denn es gibt Auswege. «Man kann mehr Gas aus Norwegen und Katar importieren, vor allem flüssiges Gas.» Fürs Heizen taugt Öl statt Gas – oder Fernwärme. «Doch nicht jeder Haushalt kann es sich leisten, Hals über Kopf die Heizung auszutauschen.» Für die Stromproduktion kann man kurzfristig auf Kohle und Atomkraft zurückgreifen, wie es in Deutschland gerade diskutiert wird.

Auch die erneuerbaren Energien könnten etwas Luft verschaffen. «Aber ein Windpark lässt sich nicht in drei Monaten bauen», schränkt Fischer ein. «All diese Massnahmen reichen nicht, um die Lücke beim russischen Gas komplett zu schliessen. Eine einfache und schmerzfreie Lösung gibt es nicht.»

Bundesrat will Russen-Gas durch Erneuerbare ersetzen

Auch dem Bundesrat ist es ein Anliegen, eine Abhängigkeit von russischem Gas zu verhindern. Als alternative Lieferanten nennt er in einer aktuellen Antwort auf eine Anfrage aus dem Nationalrat neben Norwegen und Katar auch Algerien und Aserbaidschan.

«Mittel- bis längerfristig ist es notwendig, vom fossilen Energieträger Erdgas wegzukommen und diesen durch erneuerbare Energieträger zu ersetzen», heisst es in der Antwort des Bundesrats. Die EU hat bereits einen konkreten Plan vorgelegt, um innert eines Jahres auf zwei Drittel der russischen Gasimporte verzichten zu können.

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US-Präsident Joe Biden (79) hat gar einen kompletten Importstopp für russisches Öl angekündigt. Die USA wollen auf zusätzliche Importe aus Venezuela zurückgreifen.

Doch ein Jahr ist lang, wenn die Heizung nicht läuft. Und auch die EU kommt mit ihren Plänen nicht vollständig aus der russischen Abhängigkeit heraus. Bleibt die Hoffnung, dass das russische Gas weiter strömt. Als wahrscheinlicher als einen Lieferstopp durch Russland sehen Experten denn auch ein Embargo durch die EU.

Das wäre zwar schmerzhaft. Doch bei einer weiteren Eskalation des Konflikts bliebe irgendwann kein anderes Druckmittel mehr gegen Putin. Aber: «Wir rechnen weder heute noch morgen mit einem Lieferstopp», betont Ökonomin Fischer. Zu hoch sind die gegenseitigen Abhängigkeiten. Der russische Vize-Regierungschef Nowak scheint ihr recht zu geben. Er relativierte seine Drohung im TV gleich selber wieder: «Noch treffen wir diese Entscheidung nicht. Niemand gewinnt dabei.»

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