Auf einen Blick
- IS nutzt moderne Technologien wie Kryptowährungen für Spenden
- IS nimmt jährlich bis zu 6 Millionen Dollar in Afrika ein
- US-Finanzministerium verhängte 4,4 Milliarden Dollar Strafe gegen Kryptobörse Binance
- Auch aus der Schweiz kommen Spenden
Drei Menschen wurden am Freitag an einem Stadtfest in Solingen (D) ermordet. Die Polizei verhaftete daraufhin den syrischen Flüchtling Issa al H. (26), der die Tat im Namen der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) begangen haben soll. Ein Propagandakanal der Gruppe veröffentlichte einen Tag nach der Tat ein Bekennervideo.
Das Video werde noch überprüft, sagt Hans-Jakob Schindler, Experte Counter Extremism Project und ehemaliger Berater des Uno-Sicherheitsrates für globale Terrorismussanktionen. Doch es sei offensichtlich, dass der Anschlag dem Drehbuch des IS folgte: «Mit solchen Attacken, die sich im Voraus kaum aufdecken lassen, zeigt der IS, dass er weiter wichtig ist.»
Der Westen hat sich zurückgezogen
2017 habe der IS seine staatliche Basis in Syrien und im Irak verloren, so Schindler. Doch inzwischen befinde sich die Gruppe wieder auf dem Vormarsch, so etwa in Afghanistan und in Westafrika. Der Westen habe sich aus den Kerngebieten der IS-Terroristen zurückgezogen. «Weil der Druck dort abgenommen hat, werden auch wieder vermehrt Anschläge im Westen möglich.»
Damit stellt sich auch wieder die Frage nach der Finanzierung der Terroristen. Zwar koste ein Anschlag wie in Solingen – der mutmasslich vom IS inspiriert, aber ohne persönliche Anleitung durchgeführt wird – die Gruppe nichts, sagt Schindler. Aber in Syrien führe der IS wieder vermehrt Bombenanschläge durch.
Und das Hauptziel seien regelmässige und möglichst massive Anschläge im Westen, um diesen zu schwächen und somit die Errichtung eines Kalifats in der Zukunft zu ermöglichen. Auch beherrsche der IS in Westafrika wieder grosse Gebiete. Dafür seien finanzielle Mittel nötig. «In Westafrika übernimmt der IS bereits teilweise wieder die Rolle des Staates und hat damit viele Einkommensquellen, zum Beispiel aus Schmuggel, Erpressung der Bevölkerung oder der Ausbeutung von Rohstoffen.»
Anhänger sammeln Spenden
Durch den Krieg im Gazastreifen sei der IS aus dem Fokus der Öffentlichkeit geraten. «Mit dem Bekenntnis zum Terror in Solingen will man den Spendern sagen: Wir sind weiter in der Lage, Anschläge durchzuführen», so Schindler. Denn es ist klar: «Es gibt im Westen und anderswo Leute, die Geld an den IS spenden.»
Immer wieder werden auch in Deutschland Personen verhaftet, die Spenden für den IS oder für die in Syrien internierten IS-Frauen sammeln. Bei der Überweisung der Gelder nach Syrien oder in die anderen IS-Gebiete seien traditionelle Banktransfers nur noch eine Methode, sagt Schindler. «Heute stehen neben dem Hawala-System und den traditionellen Geldkurieren auch Kryptowährungen zur Verfügung, um Gelder zu transferieren.»
Rekordstrafe gegen Binance
Beim Hawala-Banking handelt es sich um ein jahrhundertealtes Zahlungsverfahren, bei dem Leute einem Vermittler Bargeld geben. Der Vermittler sorgt dafür, dass jemand anderes an einem anderen Ort das Geld bekommt, ohne dass es wirklich geschickt wird.
Doch die Terroristen setzen auch auf moderne Technologie: IS-Spendenaufrufe haben teils QR-Codes zu Kryptowallets. Im Zusammenhang mit Kryptoüberweisungen kündigte das US-Finanzministerium Ende 2023 eine Rekordstrafe von 4,4 Milliarden Dollar gegen die Kryptobörse Binance an. Binance hatte Kriminellen und terroristischen Gruppen wie dem IS ermöglicht, ungehindert Transaktionen durchzuführen, ohne eine einzige Verdachtsmeldung zu machen.
«Steuern» und Schutzgelder
Der IS hat seine Basen heute in vier weit voneinander entfernten Gebieten. Doch die Terroristen können weiterhin Geld zwischen Westafrika, Somalia, Nahost und Afghanistan verschieben. Neben Spenden zählen «Steuern» und Schutzgelder in den kontrollierten Gebieten, sowie Kriegsbeute zu den Einnahmequellen, schreibt das US-Finanzministerium in einer Einschätzung.
Das Ministerium schätzt, dass der IS in Syrien und im Irak über 10 bis 20 Millionen Dollar Bargeld verfügt. In Afrika nimmt die Gruppierung bis zu 6 Millionen Dollar pro Jahr in Somalia und ebenfalls rund 6 Millionen Dollar jährlich in Westafrika ein. Der IS-Ableger in Somalia ist laut Schindler zudem eine wichtige Gelddrehscheibe für die Terrorgruppe.
Für Schindler ist deshalb klar: Auch wenn die Entdeckungsrate bei grossen Anschlägen inzwischen glücklicherweise hoch ist, wird der IS weiter versuchen, Europa und den Westen mit spektakulären Terrorakten zu destabilisieren. «Das ist der Kern der Terrorideologie.»