Die Solinger feiern am Freitag fröhlich ihr Stadtfest. Bis ein islamistischer Messer-Mörder das Feiern blutig beendet. Der Syrer Issa al H.* (26) tötet im Stadtzentrum drei Menschen, verletzt weitere acht. Der abgelehnte Asylbewerber wohnte wenige Hundert Meter vom Tatort entfernt – im städtischen Flüchtlingsheim.
Während er Mörder, Terrorist und Attentäter wurde, avancierte ein anderer zum Helden. Waldemar Gluch (64) besitzt in der Innenstadt ein Fotogeschäft. Und er ist Cheforganisator des Stadtfestes. Er gab 30 bis 40 Menschen Schutz, die vor dem Täter flüchteten.
Blick traf am Montagmittag in Solingen ein und sprach mit Gluch. «Wir haben die Türen unseres Geschäfts geöffnet und ihnen Unterschlupf gewährt», sagt er.
Man habe den Menschen die Angst angesehen, erinnert sich Gluch. «Wir haben sie hineingebeten und die Tür verschlossen.» Die Stimmung sei bedrückt gewesen. «Wir sahen, dass sie Sicherheit brauchten – und das haben wir ihnen hier gegeben.»
«Selbstverständlichkeit»
Die Menschen hätten «gefühlt 45 Minuten im abgedunkelten Geschäft ausgeharrt», sagt Gluch. «Später haben wir die Leute mit Taxis zu den Hotels gebracht.» Seine Tat sieht er als «Selbstverständlichkeit» an. Sein aktuelles Gefühl: «Trauer.»
Gluch ist nicht der einzige Trauernde. In der Nähe des Tatorts liegt ein Blumenmeer. Dazu Kerzen. Karten. Fragen. «Warum?», steht geschrieben. Viele Leute sind am Montag dort. Einige halten still inne. Andere besprechen sich. Plötzlich entflammt ein Streit zwischen einer Seniorin am Rollator und einem älteren Mann. Blick hakt nach – und fragt, warum sie sich uneinig sind.
Der Mann klärt auf. «Es geht um die verschiedenen politischen Positionen.» Er heisst Carlo Melis (71) und wohnt seit 14 Jahren in Solingen. «Die AfD versucht wie ein Geier, dieses Ereignis für seinen politischen Vorteil zu nutzen. Die AfD will jetzt Angst machen.» Melis sieht aber ein, dass die Politik Fehler gemacht hat. «Zu viele einwandern lassen, wenige Kontrollen.» Der Tanzpädagoge sagt klar: «Die Position ‹jetzt alle weg› finde ich jedoch unerträglich. Das macht mich traurig.» Der gebürtige Italiener betont: «Ich wohne ganz in der Nähe des Asylheims. Ich hatte immer nette und friedliche Begegnungen.»
Auch Dilara Yildirim (17) kennt die Gegend um das Asylheim. Blick trifft die Schülerin auch an der Trauerstelle. Sie erzählt von einem Jugendtreff in der Nähe des Asylzentrums, in dem sie öfter gewesen sei. Und wie Melis kann sie nichts Negatives über die Bewohner des Zentrums sagen. «Das sind ja genauso Menschen wie wir. Ich hatte nie Probleme mit denen.»
«Ich mag Ausländer»
Kerstin F.* (59) aus Düsseldorf sieht das Ganze kritischer: «Ich habe seit 40 Jahren Kontakt mit Ausländern. Ich kenne privat ganz viele Ausländer. Ich mag Ausländer. Sie sind wirklich bunter.» Aber sie sagt auch: «Irgendwann ist die Grenze erreicht. Und mittlerweile ist sie überschritten.»
Die Stimmung also: Nase voll. Ähnlich lauten die Worte von Bundeskanzler Olaf Scholz. Er gab sich am Montagmorgen die Ehre und schaute in Solingen vorbei. Er sagte, die Tat müsse «schnell und hart bestraft werden.» Und er meinte: «Das war Terrorismus, Terrorismus gegen uns alle, der unser Leben und Miteinander bedroht.» Zudem sagte Scholz, man müsse die Messerregeln in Deutschland weiter verschärfen. Und: Personen ohne Aufenthaltsrecht schneller abschieben. Ob der Kanzler seinen markigen Worten auch markige Taten folgen lässt?
So viel ist klar: Kerstin F. hatte keinen Bock auf die Rede von Scholz. Sie erklärt: «Ich bin extra später gekommen. Ich will den gar nicht sehen. Das ist nur drei Minuten Aufenthalt, mit Polizei, alles abgesichert. Und dann die üblichen Plattitüden. So geht das nicht weiter.»
Schock auf dem WC
Weg von der Trauerstelle, hin zum Asylheim, wo der Messer-Mörder untergebracht war. Blick trifft hier auf den Bewohner Alexandre Ramishvili (39) und David Neef (39), der ihn begleitet. Neef ist der Fussballtrainer eines der Söhne des Georgiers.
Neef erzählt von einem irritierenden Erlebnis, das Ramishvili mit Issa al H. gehabt haben soll. «Auf der dritten Etage gibt es zwei Toiletten», erklärt Neef. «Eine für Frauen, die andere für Männer. Ramishvilis Frau war auf der Frauentoilette. Der Attentäter kam rein. Die Frau fing an, zu schreien. Herr Ramishvili kam rein und schmiss Issa al H. raus.» Der Syrer habe sich danach entschuldigt. Neef selbst war bei diesem Vorfall nicht dabei. Er hat den Islamisten aber ein paarmal gesehen. «Er hat immer nett gegrüsst, mit dem Kopf nach unten.»
Am Freitag wurde aus dem angeblichen netten Begrüsser ein Mehrfach-Mörder. Verständlich, dass an der Trauerstelle auch Unverständnis herrscht: «Wir haben dich geschützt. Wir haben dir geholfen. Warum tötest du uns?», steht auf einem Blatt Papier. Signiert – «Emilia, 9 Jahre.»
*Namen bekannt