«Es war ein wilder Ritt», sagt Henrik Marx (37) über die Preisentwicklung bei Gold, Silber und anderen Edelmetallen in den letzten Monaten. Marx ist Leiter des Edelmetall-Handels bei Heraeus, dem weltgrössten Edelmetall-Händler mit Sitz im deutschen Hanau. Und tatsächlich: Mit Ausbruch des Ukraine-Kriegs im Februar stieg der Preis für 1 kg Gold sprunghaft auf fast 60'000 Franken.
Als die Zentralbanken rund um die Welt – besonders in den USA – im Kampf gegen die galoppierende Inflation ab dem Sommer die Zinsschrauben anzogen, gab der Goldpreis hingegen wieder kräftig nach. Mit steigenden Zinsen wird es attraktiver, Vermögen als Festgeld auf dem Konto anzulegen, statt Goldbarren im Banktresor zu bunkern.
Investitionen in Gold statt Bitcoin
Der wilde Ritt dürfte im neuen Jahr weitergehen. «Wir sind optimistisch, dass der Goldpreis in Euro auf ein neues Allzeithoch klettert», prognostiziert Marx bei der Vorstellung der jährlichen Edelmetallprognose. Aus Angst vor einer Rezession und dank der sich abschwächenden Inflation dürften die Zentralbanken die Zinsen nicht mehr so kräftig erhöhen wie bis anhin – was den Goldpreis stützt.
Kommt hinzu, dass Zentralbanken rund um die Welt so viele Goldbarren kaufen wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Sie wollen sich damit vor Inflationsturbulenzen schützen und ihre Abhängigkeit vom US-Dollar reduzieren, indem sie weniger Fremdwährungen und mehr Gold halten.
Auch Privatanleger greifen beim Gold kräftig zu. Darunter dürften auch enttäuschte Krypto-Anleger sein, die gehofft hatten, der Bitcoin würde sich zum neuen sicheren Hafen mausern. Mit den Kursturbulenzen am Krypto-Markt in diesem Jahr erlebten sie ihr blaues Wunder.
Schweizer Raffinerien voll ausgelastet
Der starke Goldpreis ist für die Schweiz eine gute Nachricht: Hierzulande stehen gleich vier der sieben weltgrössten Goldraffinerien. Gemeinsam verarbeiten sie – je nach Schätzung – 40 bis 70 Prozent des weltweit gehandelten Goldes. Auch Branchenprimus Heraeus betreibt in Mendrisio TI eine riesige Goldschmelze.
«Die Firma läuft seit ein, zwei Jahren auf Hochtouren», sagt Marx. So werde es auch 2023 weitergehen, lautet die Prognose des Edelmetallhändlers.
Und das, obwohl aufgrund der internationalen Sanktionen in den Schweizer Raffinerien kein russisches Gold mehr eingeschmolzen werden darf. Dennoch macht Waldimir Putin (70) mit dem Abbau und Export von Gold weiterhin gute Geschäfte. Zehn Prozent des weltweit geförderten Goldes stammen laut Heraeus-Schätzung weiterhin aus Russland.
Russisches Gold für China und Indien
Kritiker monieren, dass besonders in Dubai Gold problematischer Herkunft umgeschmolzen wird – und so den Herkunftsstempel Dubai statt Russland erhält. «Russland hat die Verschleierung der Herkunft gar nicht nötig», hält Marx dagegen. China und Indien kaufen weiterhin bedenkenlos russisches Gold. Putin muss sein Gold nicht auf verschlungenen Wegen in den Westen schmuggeln, solange er im Osten ausreichend Abnehmer findet.
Da dürfte es Putin freuen, dass sich in China die Zeichen für eine Lockerung der strengen Null-Covid-Politik mehren. Lockdowns, stillgelegte Fabriken und Lieferkettenunterbrüche drohten, die Goldnachfrage der chinesischen Schmuckindustrie zu dämpfen.