Die Schweiz ist der weltweit wichtigste Umschlagplatz für Gold – doch die Branche ist verschwiegen
Seltener Blick hinter die Kulissen einer Schweizer Goldraffinerie im Tessin

Vier der sieben weltgrössten Goldraffinerien stehen in der Schweiz. Das Geschäft hat eine lange Tradition – doch in der Öffentlichkeit ist wenig darüber bekannt. Die Branche gilt als notorisch verschwiegen. Blick hat Einlass in eine Raffinerie erhalten.
Publiziert: 22.11.2022 um 00:12 Uhr
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Aktualisiert: 22.11.2022 um 11:21 Uhr
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Flüssiges Gold wird in Barrenform gegossen.
Foto: www.steineggerpix.com
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Sarah FrattaroliStv. Wirtschaftschefin

Mendrisio TI strahlt mehr Industrie-Chic denn Tessiner Dolce Vita aus. Unter Deutschschweizern ist der Ort, nur wenige Kilometer vor der italienischen Grenze, für den Outlet-Tempel Fox Town bekannt, beliebtes Ausflugsziel an seltenen Regentagen in den Tessin-Ferien.

Nur wenige Schritte entfernt, verborgen hinter hohen Betonmauern, geschützt von Stacheldrahtzaun und Überwachungskameras, liegt hier eine der grössten Goldraffinerien der Welt: Argor-Heraeus. Die Goldschmelze gehörte früher der UBS, heute ist sie im Besitz der deutschen Heraeus-Gruppe – mit 30 Milliarden Euro Jahresumsatz ein Gigant im Edelmetallgeschäft.

Die Goldverarbeitung findet trotz deutschen Besitzern nach wie vor im Tessin statt. Bis zu 1300 Tonnen Gold und 1100 Tonnen Silber verarbeitet das Unternehmen im unprätentiösen Industriequartier von Mendrisio jedes Jahr.

Ein Labyrinth von Gängen

Dass nur wenige wissen, wie mächtig die Schweiz im Goldgeschäft tatsächlich ist, liegt auch an der notorischen Geheimniskrämerei der Branche. Blick hat sich monatelang um einen Besuch in einer der vier grossen Schweizer Goldraffinerien bemüht. Dies, nachdem das Schweizer Goldgeschäft im Zuge des Ukraine-Konflikts in die öffentliche Aufmerksamkeit geraten war.

Das Schweizer Goldgeschäft hat Tradition

Vier der sieben weltgrössten Goldraffinerien liegen in der Schweiz, drei davon im Tessin. Gemeinsam verarbeiten sie – je nach Schätzung – 40 bis 70 Prozent des weltweit gehandelten Goldes. Dass sie sich ausgerechnet hier ansiedelten, liegt an der finanziellen und politischen Stabilität der Schweiz. Aber auch an der geografischen Nähe zu Norditalien, jahrzehntelang das Epizentrum der globalen Schmuckindustrie.

Auch Erdöl, Getreide oder Gas werden massenhaft über die Rohstoffdrehscheibe Schweiz gehandelt, ohne dabei allerdings jemals physisch die Landesgrenze zu überqueren. Beim Gold ist das anders: Es wird als Rohgold aus Goldminen oder in Form von Altgold in die Schweizer Raffinerien gebracht, weiterverarbeitet und wieder exportiert. Neben der Schmuckindustrie gehören Zentralbanken, Technologieunternehmen (Gold wird etwa in Smartphones oder Computer-Festplatten verbaut) oder Privatanleger, die einen Teil ihres Vermögens in Goldbarren halten, zu den Abnehmern.

Vier der sieben weltgrössten Goldraffinerien liegen in der Schweiz, drei davon im Tessin. Gemeinsam verarbeiten sie – je nach Schätzung – 40 bis 70 Prozent des weltweit gehandelten Goldes. Dass sie sich ausgerechnet hier ansiedelten, liegt an der finanziellen und politischen Stabilität der Schweiz. Aber auch an der geografischen Nähe zu Norditalien, jahrzehntelang das Epizentrum der globalen Schmuckindustrie.

Auch Erdöl, Getreide oder Gas werden massenhaft über die Rohstoffdrehscheibe Schweiz gehandelt, ohne dabei allerdings jemals physisch die Landesgrenze zu überqueren. Beim Gold ist das anders: Es wird als Rohgold aus Goldminen oder in Form von Altgold in die Schweizer Raffinerien gebracht, weiterverarbeitet und wieder exportiert. Neben der Schmuckindustrie gehören Zentralbanken, Technologieunternehmen (Gold wird etwa in Smartphones oder Computer-Festplatten verbaut) oder Privatanleger, die einen Teil ihres Vermögens in Goldbarren halten, zu den Abnehmern.

Es hagelte Absagen. Nur Argor-Heraeus liess Blick rein – und auch dies nur im Rahmen eines durchgetakteten Medienbesuchs. Hinter der hohen Betonmauer führt an diesem Herbsttag Robin Kolvenbach (37) durch die gut geschützte Goldraffinerie. Der Deutsche ist Co-CEO von Argor-Heraeus.

Ausgerüstet mit Schutzbrille und Überschuhen, geht es in die Produktionshallen. Sie gleichen einem Labyrinth: Verschiedene Gebäude sind über unterirdische Gänge miteinander verbunden, damit nicht überall erneut Sicherheitskontrollen durchgeführt werden müssen.

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«Gold ist Gold» hat ausgedient

500 hoch spezialisierte Mitarbeitende arbeiten in der Raffinerie. Zwei von ihnen begrüssen ihren CEO nun mit einem jovialen Faustgruss und einem lockeren Spruch – der Deutsche parliert problemlos auf Italienisch – bevor es zurück an die Arbeit geht: Die beiden Männer verarbeiten gerade Industriegold, sogenannte Doré-Barren.

Die Barren sehen eher aus wie Stein denn wie Edelmetall. Sie werden aus Minen weltweit zur Weiterverarbeitung nach Mendrisio gekarrt. Jede Mine, egal ob in Russland oder in China, hat eine einzigartige Gesteinszusammensetzung. In den Labors in Mendrisio wird diese Zusammensetzung bei Ankunft des Materials überprüft, damit kein Gold aus problematischen Quellen in die Lieferung gerät. Zusätzlich werden die Doré-Barren in den Minen mit einer künstlichen DNA besprüht. In Mendrisio wird diese DNA mittels PCR-Test analysiert.

Die Botschaft ist klar: Die Branche ist um Transparenz bemüht. Früher galt das Mantra «Gold ist Gold». Heute hingegen wollen Konsumenten und Investorinnen wissen, wo das Gold herkommt – ob es möglicherweise von Kindern geschürft wurde oder Wladimir Putins (70) Kriegskasse füllt.

In Mendrisio kann man denn auch nicht mit dem Goldschmuck der Grossmutter vorfahren und ihn einschmelzen lassen. «Auch Altgold beziehen wir nur von einer kleinen Anzahl verlässlicher Zulieferer», versichert Kolvenbach. Dass sein Unternehmen mit Argusaugen auf die Goldquellen blickt, hat wenig mit Gutmenschentum zu tun. Viel eher mit nackten Zahlen. «Wir sehen die Nachverfolgbarkeit unseres Goldes als Wettbewerbsvorteil», gibt der Firmenchef unumwunden zu.

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Sand- statt Feenstaub

Die Doré-Barren werden in der Produktionshalle in Mendrisio nun bei 1600 bis 2000 Grad Celsius eingeschmolzen. Es ist heiss in der Halle. Trotzdem tragen die Angestellten aus Sicherheitsgründen lange Kleidung und dicke Handschuhe. Sie machen aus den Doré-Barren reinen Goldstaub – der allerdings unspektakulärer aussieht als erwartet: nicht glänzend, nicht feenartig, eher wie Sandstaub. Auch die Hallen bei Argor-Heraeus haben nichts Luxuriöses an sich. Mit Betonböden, Metallrohren und allerlei technischen Gerätschaften sehen sie aus wie jede andere Fabrikhalle auch.

Nur eben mit dem feinen Unterschied, dass am Ende der chemischen Prozesse Goldgranulat mit einem Reinheitswert von 99,99 Prozent herauskommt – und in herkömmliche Plastikkessel plumpst, als wäre es nichts weiter als Kies. «Als Chemiker fällt mir das gar nicht auf», kommentiert Kolvenbach schulterzuckend. «Die chemischen Prozesse dahinter sind recht simpel.»

Fotografieren verboten

In einer weiteren Halle wird das Goldgranulat eingeschmolzen. Zum ersten Mal sieht die Goldraffinierung tatsächlich so aus, wie man sie sich vorstellt: Flüssiges Gold wird hier zu Barren unterschiedlicher Grösse gegossen. Zum Abkühlen landen die Barren in einem riesigen Topf voller Kühlwasser. Ein Arbeiter rührt darin, als wäre es nichts weiter als ein Suppenkessel.

In wieder anderen Hallen werden Gold, Silber und Kupfer für die Schmuckindustrie in unterschiedlichen Kombinationen zu Legierungen zusammengeschmolzen. Detailfotos sind hier nicht erlaubt: «Geschäftsgeheimnis».

Transparenz dank Blockchain

Noch ein paar Türen weiter werden fertige Goldbarren verpackt und gescannt. Jeder Barren hat eine einzigartige Oberfläche, eine Art Fingerabdruck. Selbst wenn die Seriennummer herausgefeilt oder der Barren zweigeteilt wird, ist er dank Oberflächen-Scan immer noch eindeutig zu identifizieren.

Die Vision: Dereinst soll jedes iPhone die Goldbarren scannen und zuordnen können. Der Oberflächen-Scan wird auf der Blockchain gespeichert. Genauso wie der PCR-Test, der den Doré-Barren zuvor eindeutig seiner Herkunftsmine zugeordnet hatte. Gold wird damit von der Mine bis in den Banktresor nachvollziehbar. Das hat seinen Preis. «Im Zweifelsfall muss der Endkonsument dafür bezahlen», stellt Kolvenbach klar.

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Das hier überall herumliegende Gold – ob in seiner Rohform, als Granulat, fertiger Barren oder Legierung – ist locker mehrere Millionen Franken wert. Wie viel genau, hängt vom aktuellen Goldkurs ab und ändert täglich. Gold gilt als sicherer Hafen in unsicheren Zeiten, legte etwa nach Ausbruch der Corona-Pandemie oder des Ukraine-Kriegs deutlich an Wert zu.

Kolvenbach lassen die Kursschwankungen kalt. «Das Gold in der Fabrik gehört uns gar nicht», erklärt er. Die Goldraffinerie ist nur Dienstleisterin, verarbeitet das Gold im Auftrag von Minen, Uhrenherstellern oder Banken.

Umso wichtiger, dass das Gold nicht abhandenkommt. Bevor wir die Fabrikhallen in Mendrisio wieder verlassen, gehts durch einen Metalldetektor. Sicherheitsangestellte suchen jeden einzelnen Besucher ab. Am Ende werden sogar die Überschuhe abgestreift, damit an den Sohlen nicht einmal der kleinste Flitter Gold nach draussen wandert.

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