Tabubruch nach Ukraine-Invasion
Schweiz importiert erstmals wieder russisches Gold

Nach monatelanger Flaute steigen die Goldimporte aus Russland in die Schweiz wieder sprunghaft an. Das sorgt weltweit für Aufsehen, ist die Schweiz doch der wichtigste Goldumschlagplatz der Welt. Es ist allerdings rätselhaft, wer das Gold importiert.
Publiziert: 22.06.2022 um 19:39 Uhr
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Aktualisiert: 23.06.2022 um 07:52 Uhr
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Im Mai sind erstmals seit Kriegsausbruch drei Tonnen russisches Gold in die Schweiz importiert worden.
Foto: DUKAS
Sarah Frattaroli

Braunkohle, Holz, ja gar Kaviar aus Russland sind in der Schweiz tabu: Die Güter sind sanktioniert, dürfen nicht mehr importiert werden. Nicht so beim Gold. Es ist von den Sanktionen bisher ausgenommen.

Dennoch ist der Handel mit russischem Gold über die Schweiz seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs praktisch zum Erliegen gekommen. Dies einerseits, weil die in London ansässige Vereinigung zum Handel mit Gold (London Bullion Market Association, LBMA) sechs ihrer Mitglieder, allesamt Gold- und Silber-Raffinerien aus Russland, nach Kriegsausbruch suspendiert hat.

Andererseits wurden russische Banken vom internationalen Zahlungssystem Swift ausgeschlossen. Betroffen waren auch Finanzinstitute, die bisher den internationalen Goldhandel abgewickelt hatten. Ausserdem steht die russische Zentralbank – eine wichtige Playerin im Handel mit russischem Gold – auf der Sanktionsliste. Und zu guter Letzt gehen die Schweizer Goldraffinerien weiter als gesetzlich vorgeschrieben und legten den Import von russischem Gold vorsorglich auf Eis: zu hoch das Risiko eines Imageschadens.

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Schweiz als Goldhändlerin Nummer 1

Nun scheint der Wind zu drehen: Die Schweiz hat im Mai erstmals seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs wieder russisches Gold importiert. Konkret waren es 3,1 Tonnen im Wert von knapp 200 Millionen Franken. Das geht aus den Zahlen des Bundesamts für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG) für den Mai hervor. Darüber berichtete zuerst das Wirtschaftsportal Bloomberg.

Zum Vergleich: Noch vor Kriegsausbruch im Januar 2022 importierte die Schweiz vier Tonnen russisches Gold. Dieser Wert wurde im Mai zwar nicht erreicht, die Branche scheint aber auf bestem Weg zu alter Grösse.

Auch wenn der Handel mit russischem Gold nicht sanktioniert ist, kommt der neuerliche Import einem Tabubruch gleich. Dass Bloomberg, Reuters und andere internationale Medien darüber berichten, ist dafür Beweis genug.

Die internationale Aufmerksamkeit kommt nicht von ungefähr: Die Schweiz gilt als international wichtigste Rohstoffdrehscheibe. Schätzungsweise 80 Prozent des weltweiten Goldhandels laufen über die Schreibtische und Computerbildschirme der hiesigen Trader.

Russland ist der zweitgrösste Goldproduzent weltweit. Für die Handelsbeziehungen zwischen der Schweiz und Russland war Gold bis zum Ausbruch des Konflikts denn auch matchentscheidend: Laut dem Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) machten Edelmetalle bis Kriegsausbruch 80 Prozent der russischen Importe in die Schweiz aus.

Importe sind selbst Experten ein Rätsel

Anders als etwa beim Öl überschreitet ein Grossteil des hierzulande gehandelten Goldes auch physisch die Schweizer Grenze: Die Schweiz ist nämlich nicht nur gross im Handel, sondern auch in der Verarbeitung von Gold. Vier der weltgrössten Goldraffinerien stehen in der Schweiz, drei davon im Tessin. Schätzungsweise zwei Drittel des weltweit geförderten Goldes werden in Schweizer Fabriken eingeschmolzen und weiterverarbeitet: zu Goldbarren, Schmuck, Uhren oder Teilen für die Industrie.

Werfen die Schweizer Goldraffinerien ihre Prinzipien also wenige Monate nach Kriegsausbruch über Bord und machen weiter wie zuvor? Nein. Das beteuert nicht nur die Branche selber. Sondern auch Marc Ummel (29), Rohstoffexperte bei der Nichtregierungsorganisation Swissaid, die den Goldhandel in der Schweiz mit Argusaugen beobachtet.

«Ich kann mir die neuen Importe wirklich nicht erklären», sagt Ummel etwas ratlos. Bei den aktuellen Importen handelt es sich um bereits raffiniertes Gold, nicht um Rohgold direkt aus der Mine. Wurde es vielleicht von einer kleinen Firma importiert, die nicht auf dem Radar der Goldexperten ist? «Möglich», so Ummel. «Aber besonders wahrscheinlich ist es nicht, schliesslich sprechen wir von drei Tonnen!»

Ummel hat beim Seco und beim BAZG nähere Angaben zu den Importen verlangt – bisher ohne Erfolg. Auf Anfrage von Blick teilen die Behörden mit, dass das russische Gold über Grossbritannien in die Schweiz gelangt sei. Wer es importierte, dürfe aus Datenschutzgründen nicht mitgeteilt werden. Sowohl Seco als auch BAZG betonen, dass der Goldimport aus Russland nicht sanktioniert sei.

Goldwäsche via Dubai

Allerdings ist sowieso fraglich, wie aussagekräftig die Importstatistik ist. Importeure müssen lediglich angeben, wo sie ihr Gold kaufen. Wo es ursprünglich geschürft wurde, ist dabei völlig unerheblich. «Eine grosse Gesetzeslücke», findet Ummel.

So nahmen diesen Frühling, nach Kriegsausbruch in der Ukraine, die Importe von Gold aus den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) sprunghaft zu – obwohl es dort keine einzige Goldmine gibt. Die Vermutung von Swissaid: Russisches Gold gelangt nach Dubai und von dort in die ganze Welt. «Goldwäsche» nennt Swissaid das.

Vier der fünf Schweizer Raffinerien importieren kein Gold aus den VAE. Ausgerechnet Branchenführerin Valcambi allerdings scheint sich wenig um den möglichen Ursprung des Dubai-Goldes zu kümmern. Die Tessiner Raffinerie mit Sitz in Balerna unweit von Chiasso importiert laut Angaben von Swissaid Gold aus Dubai und beruft sich dabei darauf, dass man sich an die «geltenden Richtlinien und Sanktionen» halte.

Ob als Direktimport oder mit Zwischenhalt in Dubai: Der russische Präsident Wladimir Putin (69) dürfte sich über den fortdauernden Goldexport freuen – es zahlt in seine Kriegskasse ein.

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