Die Schweizer Arbeitsbevölkerung kränkelt: Die Zahl der Ausfalltage wegen Unfall oder Krankheit hat gegenüber dem langjährigen Mittel massiv zugenommen. Vor der Corona-Pandemie bewegte sich die Ausfallzeit zwischen sechs und 7,2 Tagen pro Vollzeitstelle, wie Zahlen des Bundesamts für Statistik zeigen. Im vergangenen Jahr waren es 9,3 Tage. Ein Plus von fast 40 Prozent!
Über die Gründe wird rege spekuliert: Die Angestellten hätten sich früher öfter angeschlagen zur Arbeit geschleppt – und bleiben heute im Krankheitsfall daheim. Andere Mutmassungen sind weniger schmeichelhaft: Die Leute würden sich heute auch grundlos vermehrt krankmelden. Harte Fakten zu den Gründen gibt es kaum.
Fast jede fünfte Person mit Langzeitfolgen
Barbara Schindler (56) macht einen anderen Hauptgrund aus. «Covid hat diesbezüglich viel verändert», sagt die Co-Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Arbeitsmedizin. «Die Statistiken zeigen, dass zwischen zehn und 20 Prozent der Bevölkerung, die Covid hatten, an Langzeitfolgen leiden. Das ist volkswirtschaftlich eine sehr relevante Grösse.»
Long Covid zeigt sich bei Betroffenen vor allem in Form von Erschöpfung, Kurzatmigkeit, Konzentrations- oder Gedächtnisproblemen. «Wer beispielsweise unter Müdigkeit leidet, fällt nicht einfach nur zwei, drei Tage, sondern vielleicht vier Wochen aus. Das dürfte die Ausfallstatistik deutlich nach oben treiben», sagt Schindler.
Mehr zum Thema Krankheit und Arbeit
Junge fehlen mehr als zwei Wochen
Auch sonst haben sich die Ausfallzahlen deutlich verändert: Die Gruppe der über 55-Jährigen fiel wegen Krankheit oder Unfall in der Vergangenheit pro Jahr durchschnittlich zwei bis drei Tage mehr aus als jüngere Arbeitskräfte. Nun steht die Generation der 15- bis 24-Jährigen mit im Schnitt 10,4 Ausfalltagen deutlich an der Spitze. Ein Plus von 3,9 Tagen gegenüber 2019, dem letzten Jahr vor der Pandemie.
Auch das dürfte gemäss Schindler eine Folge von Covid sein: «Bei jungen Menschen hat die mentale Gesundheit während der Pandemie gelitten. Manche sind richtiggehend vereinsamt, und das zeigt sich nun in Form einer Zunahme von psychischen Problemen.» Die Wartelisten für Therapien sind lang: Wer Hilfe benötigt, muss teilweise mehrere Monate auf einen Termin bei einem Spezialisten warten.
Auch Führungskräfte fallen deutlich öfter aus
Doch auch die 25- bis 54-Jährigen fallen heute beinahe so oft aus wie die Generation 55+. Was an den Zahlen ebenfalls auffällt: Führungskräfte zeigten sich punkto Ausfälle jahrelang besonders zäh und fehlten im Schnitt bloss vier bis 4,5 Tage pro Jahr. Im vergangenen Jahr fehlten Kaderleute aber 6,7 Tage. «Auch für Führungskräfte hat die Pandemie eine zusätzliche mentale Belastung dargestellt. Das Team aus der Distanz zu führen, stellte für viele eine neue Herausforderung dar», so Schindler.
Grosse Unterschiede zeigen sich zudem beim Blick auf die Berufsgruppen. Wer auf einer Baustelle oder in einer Fabrik arbeitet, fällt deutlich öfter aus als Büroangestellte. Das liegt zum einen an der höheren Unfallgefahr in Berufen, in denen man anpacken muss. Aber auch daran, dass körperliche Arbeiten krank kaum ausführbar sind. «In der Produktion kann man im Krankheitsfall nicht einfach für ein paar Stunden bei der Arbeit erscheinen. Führungskräfte hingegen dürften bei einer Erkältung eher noch ein wenig Arbeit verrichten», so Barbara Schindler.
Die Statistiken der kommenden Jahre werden zeigen, ob sich die Ausfallkurve nach Corona dauerhaft nach oben verschoben hat.