Josef Ackermann nimmt Finanzministerin ins Visier
«Frau Keller-Sutter hätte mit der CS-Rettung AHV und Armee finanzieren können»

Ein Jahr nach dem Ende der Credit Suisse zieht der bekannteste Schweizer Banker Bilanz – und erzählt, wie er den CS-Präsidenten zum Handeln bewegen wollte. Zudem spricht er über seinen Victory-Skandal, den Austritt aus der Kirche und seinen Verzicht auf die AHV-Rente.
Publiziert: 17.03.2024 um 11:17 Uhr
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Aktualisiert: 17.03.2024 um 11:34 Uhr
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Josef «Joe» Ackermann war von 1977 bis 1996 bei der Credit Suisse und von 2006 bis 2012 CEO der Deutschen Bank.
Foto: Thomas Meier

Aufgewachsen in Mels SG im Sarganserland, machte Josef «Joe» Ackermann (76) Karriere bei der Schweizerischen Kreditanstalt, Vorgängerbank der Credit Suisse. Später schaffte er es an die Spitze der Deutschen Bank – und mutierte in den deutschen Medien als «Prototyp des kalten Kapitalismus» zum Feindbild Nummer eins.

Diese Woche präsentierte Ackermann seine Autobiografie «Mein Weg». Darin lässt er sein Leben Revue passieren, rechtfertigt sein Handeln als Manager – und beschäftigt sich ausführlich mit dem Untergang der CS. Blick traf den umstrittenen Top-Banker in einem Büro in Zürichs Seefeld-Quartier zum Gespräch.

Herr Ackermann, in Ihrem Buch schreiben Sie über das Ende der Credit Suisse: «Noch nie habe ich mich so sehr geschämt wie an diesem Tag.» Weshalb?
Josef Ackermann: Die Schweiz ist einer der wichtigsten Finanzplätze der Welt. In den vergangenen 20 Jahren ist davon aber viel verloren gegangen. Früher hatten wir fünf Grossbanken, dann noch zwei – und seit dem 19. März 2023 nur noch eine. Das erschüttert mich. Als Schweizer in Deutschland habe ich immer erzählt, wie toll unser Land ist. Deshalb habe ich mich beim Ende der Credit Suisse geschämt für die Schweiz.

Sie machen für die Tragödie nicht nur das CS-Management verantwortlich, sondern auch Finma, SNB und «Classe politique». Diese seien überfordert gewesen. Ein happiger Vorwurf.
Die Behörden haben zu lange zugeschaut und gehofft, dass es gut kommt. Auch die Kommunikation war schlecht. Herr Jordan hat nicht klar gesagt, dass er die CS mit 200 Milliarden Franken unterstützt, sondern sprach nur von 50 Milliarden. So beruhigt man die Märkte nicht. Auch die Analyse von Finanzministerin Keller-Sutter fand ich merkwürdig. Sie betonte mehrmals, dass die CS-Übernahme keine staatliche Rettungsaktion sei, sondern eine «kommerzielle Lösung». Das war etwas missverständlich.

Bei der Finma kritisieren Sie das Fehlen von «Spitzenkräften». Wie meinen Sie das?
Im Verwaltungsrat der Finma sitzt niemand, der mal einen Top-Job bei einer internationalen Grossbank hatte. Wie wollen diese Leute verstehen, was da abgeht? Bei der CS genau das Gleiche: Da hatte kaum mehr jemand den Durchblick. Es wird immer gesagt, Verwaltungsräte sollten unabhängig sein. Doch davon halte ich nichts. Viel wichtiger sind Erfahrung und Know-how.

Einstieg bei der SKA

Josef Ackermann (76) wuchs in Mels SG als Sohn eines Arztes auf. Nach Wirtschaftsstudium und Doktorat an der Universität St. Gallen (HSG) stieg er 1977 bei der Schweizerischen Kreditanstalt in die Finanzbranche ein. Bei der Vorgängerin der Credit Suisse schaffte er es bis zur Nummer zwei hinter Rainer E. Gut. Nach einem Zwist mit Gut verliess Ackermann das Unternehmen und kam 1996 zur Deutschen Bank. Dort wurde er 2006 erster ausländischer Chef.

Josef Ackermann (76) wuchs in Mels SG als Sohn eines Arztes auf. Nach Wirtschaftsstudium und Doktorat an der Universität St. Gallen (HSG) stieg er 1977 bei der Schweizerischen Kreditanstalt in die Finanzbranche ein. Bei der Vorgängerin der Credit Suisse schaffte er es bis zur Nummer zwei hinter Rainer E. Gut. Nach einem Zwist mit Gut verliess Ackermann das Unternehmen und kam 1996 zur Deutschen Bank. Dort wurde er 2006 erster ausländischer Chef.

Bei einem Verwaltungsrat, der aus Bankern besteht, sind Interessenkonflikte vorprogrammiert.
Das lässt sich lösen, indem man bei heiklen Geschäften in den Ausstand tritt. Entscheidend ist, dass Banker etwas von der Materie verstehen – im Gegensatz zu Branchenfremden, die zwar komplett unabhängig sind, aber keine Ahnung haben.

Wie wollen Sie das ändern?
Es braucht eine gezielte Ausbildung für Verwaltungsräte von Banken. Es reicht nicht, wenn man ein Seminar zu Corporate Governance, Digitalisierung und Personalführung besucht. Das Bankgeschäft ist sehr komplex. Wenn Sie Marktrisiken beurteilen wollen, dann brauchen Sie eine gute Ausbildung, um die richtigen Fragen zu stellen. Die Verwaltungsräte sollten dazu verpflichtet werden, einen Crashkurs zum Bankenwesen zu besuchen.

Bei der CS war am Ende Axel Lehmann Verwaltungsratspräsident. Hatten Sie während der Krise Kontakt mit ihm?
Ja, ich habe ihn wenige Wochen vor dem 19. März getroffen. Dabei habe ich ihm geraten, stärker und transparenter zu kommunizieren. Das Problem war, dass es bei der CS viel zu viele Management- und Strategiewechsel gegeben hatte – und jeder kam mit unterschiedlichen Botschaften. Das gab ein kommunikatives Durcheinander und hat die Finanzmärkte stark verunsichert.

Wie hat Herr Lehmann auf Ihre Kontaktaufnahme reagiert?
Er meinte, dass alles unter Kontrolle sei: Die Liquidität der CS sei ausreichend, das Kapital sowieso. Zudem wies er mich auf die rechtlichen Risiken hin, die eine offensive Kommunikation mit sich bringt. Wegen der geltenden Börsenregeln dürfe er als Präsident nicht alles sagen. Ich habe ihm entgegnet: Es geht um das Überleben der Credit Suisse!

Herr Lehmann hat Ihren Rat offensichtlich ignoriert. Wieso?
Vielleicht war es bereits zu spät. Zudem hat er wohl gehofft, dass er das Steuer auch auf andere Weise noch herumreissen kann.

Sie hätten eine befristete staatliche Übernahme befürwortet, um das Ende der CS zu verhindern. Weshalb?
Die neue UBS ist eine Mega-Bank, von der ein gewaltiges Risiko ausgeht. Die Bilanz der UBS ist doppelt so hoch wie das Schweizer Bruttosozialprodukt. Für die Schweizer Industrie wäre es zudem besser, zwischen zwei grossen Banken auswählen zu können. Hinzu kommt, dass die CS in vielen Teilbereichen hervorragend funktioniert hat.

Wie hätte eine befristete staatliche Übernahme konkret ausgesehen?
Nehmen Sie das Beispiel Commerzbank in Deutschland: Infolge der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise beteiligte sich 2009 die Bundesregierung am Unternehmen. Mittlerweile hat die Bank mit neuer Führung und einer Restrukturierung den Turnaround geschafft. Frau Keller-Sutter hätte das mit der CS auch machen können. Stattdessen hat sie der UBS ein grosses Geschenk gemacht. Die CS war bis vor kurzem 35 Milliarden wert. Die UBS hat sie für drei Milliarden geschluckt. Frau Keller-Sutter hätte ein richtig gutes Geschäft machen können und mit der CS-Rettung nicht nur die AHV, sondern auch noch die Armee finanzieren können …

Sie sind ein Anhänger der freien Marktwirtschaft, sprechen sich aber für eine staatliche Rettung aus. Ein Widerspruch.
Grundsätzlich haben Sie recht: In einer freien Marktwirtschaft muss jedes Unternehmen untergehen können, sonst bestehen Fehlanreize. Im Interesse des Landes hätte ich in diesem Fall ein Fortbestehen der CS trotzdem befürwortet.

Nun haben wir eine Bank, die definitiv «too big to fail» ist. Wie lösen wir das Problem?
Die Mega-Bank UBS ist gar «too big to bail», also zu gross, um gerettet zu werden. Ein Bankenabwicklungsfonds, den die EU während der Finanzkrise eingeführt hat, wäre deshalb auch für die Schweiz ratsam. Dieser wird in guten Zeiten von den Banken gefüllt und finanziert im Fall der Fälle eine Abwicklung. Zudem braucht es für die UBS regelmässige Stresstests.

Was ist mit einer Boni-Beschränkung?
Die Schweiz allein kann kein Boni-Verbot verhängen. Wenn die UBS bei den Boni nicht mithält, laufen ihr die besten Leute davon. Zudem sind Boni nicht per se etwas Schlechtes. Sie müssen aber leistungsbezogen sein, und die Auszahlung muss über Jahre gestreckt werden. Was bei der CS passierte, darf sich nicht wiederholen: Die Bank schrieb rote Zahlen, die Manager kassierten aber trotzdem hohe Boni.

Als Sie Chef der Deutschen Bank waren, haben Sie auch sehr hohe Boni bezahlt. Warum haben Sie sich nie für eine Beschränkung eingesetzt?
Wie gesagt: Als CEO eines Unternehmens ist man in erster Linie darauf bedacht, die besten Leute zu kriegen. Alleine kann man ohnehin nichts verändern. Alt Bundesrat Kaspar Villiger hat mich als UBS-Präsident nach der Finanzkrise mal angerufen und gefragt, ob wir nicht weltweit eine Boni-Obergrenze einführen könnten. Ich habe die Idee beim Weltbankenverband eingebracht – und nur Gelächter geerntet.

Das Grundproblem ist doch, dass Banker keine intrinsische Motivation haben – und nur Banker werden, weil in der Finanzbranche die höchsten Löhne bezahlt werden.
Das stimmt nicht. Ich wurde nicht wegen des Geldes Banker. Mich hat bereits während meiner Doktorarbeit interessiert, wie Banken funktionieren und welche Funktion sie in unserem Wirtschaftssystem haben. Faszinierend ist zudem, dass man als Banker Einblick in sehr viele verschiedene Branchen hat. Das ist bei einem Industriebetrieb anders.

In den deutschen Medien waren Sie zeitweise das Feindbild Nummer eins. Bekannt wurden Sie insbesondere wegen des Victory-Zeichens, das Sie machten, während Sie im Mannesmann-Prozess vor Gericht standen. Beschäftigt Sie das heute noch?
Wenn Kinder das machen, finde ich es lustig. Wenn aber die Medien das Foto zum 100. Mal bringen, nervt mich das. Ich habe damit nur Michael Jackson imitiert, der das Zeichen kurze Zeit davor bei einem Gerichtsprozess gemacht hatte. Das wurde komplett aus dem Zusammenhang gerissen. Meinen Umfragewerten in Deutschland hat das Ganze aber am Ende kaum geschadet.

Wenn Sie auf Ihre Karriere zurückblicken, was war Ihr grösster Fehler?
Bei der Schweizer Armee habe ich gelernt, was Auftragstaktik bedeutet: zu delegieren und den Leuten zu vertrauen. Das habe ich auch bei der Bank so gemacht. Von einigen wurde dieses Vertrauen missbraucht und es kam zu Exzessen. Vielleicht hätte ich mehr Kontrolle ausüben sollen, dann hätten wir wohl den einen oder anderen Rechtsstreit vermeiden können.

2005 gaben Sie bei der Deutschen Bank ein neues Rekordergebnis bekannt – und kündigten gleichzeitig den Abbau von über 6000 Arbeitsplätzen an. Würden Sie es heute wieder so machen?
Auf jeden Fall. Unser Resultat war nur für Deutschland ein Rekordergebnis – global gesehen blieb die Deutsche Bank weit unter ihren Möglichkeiten. Es war deshalb unser Job, die Bank umzustrukturieren und Kosten zu reduzieren. Das hat sich in den Jahren darauf ausbezahlt. Als eine von wenigen Grossbanken sind wir ohne staatliche Unterstützung durch die Finanzkrise gekommen. Am Ende meiner Amtszeit hatten wir wesentlich mehr Beschäftigte als zu Beginn.

In der Finanzkrise provozierten Sie ebenfalls heftige Reaktionen, als Sie zu Protokoll gaben: «Ich würde mich schämen, wenn wir Staatsgeld annehmen würden.»
Ich habe nie verstanden, wieso das eine Provokation sein soll. Für mich ist diese Aussage typisch Schweiz: Die Eigenverantwortung ist wichtig.

Vor zwei Wochen hat die Schweiz für eine 13. AHV-Rente gestimmt. Ist die Eigenverantwortung auch hierzulande aus der Mode gekommen?
Ich bedauere das Resultat, vor allem weil völlig unklar ist, wie das Ganze finanziert werden soll. Ich persönlich bin von dem Entscheid aber nicht betroffen: Ich habe nie eine AHV-Rente bezogen und verzichte seit meiner Pensionierung auf meinen Anspruch. Andere Leute haben die AHV nötiger als ich.

Während Ihrer Zeit in Deutschland wurden Sie auch von Kirchenvertretern heftig kritisiert. Daraufhin sind Sie aus der katholischen Kirche ausgetreten. Haben Sie sich mittlerweile mit der Institution versöhnt?
Es hat mich stark gestört, dass mich Vertreter der katholischen Kirche wegen des Personalabbaus bei der Deutschen Bank harsch kritisiert haben. Ich empfand das als verletzend, zumal ich über die Jahre Kirchensteuern in Millionenhöhe bezahlt hatte. Deswegen entschied ich mich, diese Gelder direkt wohltätigen Organisationen zukommen zu lassen. Ganz generell stört mich der Wahrheitsanspruch der Kirche – und das, obwohl ich ein religiöser Mensch bin.

Was verstehen Sie unter religiös?
Ich bin überzeugt: Bei der Erschaffung des Universums war etwas Göttliches im Spiel. Wir können bis zum Urknall zurückgehen – aber was war vor dem Urknall, wer hat diesen initiiert? Viele Menschen beginnen zu beten, wenn sie in Gefahr sind. Dazu gehöre auch ich.

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