Der Herbst ist da – und damit auch die Zeit der Lohnverhandlungen fürs nächste Jahr. Wegen der erhöhten Inflation haben viele Lohnempfänger die letzten drei Jahre real betrachtet Einbussen hinnehmen müssen.
Die Gewerkschaften sprechen deshalb von einem massiven Lohnrückstand und fordern bis zu 5 Prozent mehr Lohn. Der Kaufmännische Verband Schweiz hat diese Forderung und die Argumentation übernommen.
Etwas bescheidener ist die Arbeitnehmerorganisation Angestellte Schweiz: Sie gäbe sich mit 2,2 Prozent zufrieden.
Hohe Forderungen haben keine Chance
Realistisch ist aber eher ein Lohnzuwachs zwischen 1 und 2 Prozent. Das zeigen Umfragen und Prognosemodelle.
Die Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF) rechnet mit einem nominellen Lohnwachstum von 1,4 Prozent, nach geschätzten 1,5 Prozent fürs laufende Jahr.
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Wichtiges Detail: Die Prognose bezieht sich auf den Schweizerischen Lohnindex des Bundesamts für Statistik (BFS). Dieser misst die Entwicklung der Bruttolöhne anhand der Unfallmeldungen und den Angaben zum versicherten Lohn. Seit der Pandemie zeigen diese Daten eine schwächere Lohnentwicklung an als alternative Lohndaten (vgl. Kasten unten).
Auch 2025 ist der prognostizierte nominelle Lohnanstieg laut den KOF-Ökonomen und -Ökonominnen etwas stärker – und zwar 1,7 Prozent –, wenn dieser nicht über die Unfallversicherungsdaten, sondern nach dem Konzept des AHV-Durchschnittslohns berechnet wird.
Ein wichtiger Vergleichswert für diese Modellprognosen seien die Lohnerwartungen, welche das Forschungsinstitut im Juli im Rahmen der Konjunkturumfragen erhob. Über alle Branchen hinweg rechneten die Unternehmen mit einem Lohnwachstum von 1,6 Prozent in den nächsten zwölf Monaten.
Auf 1,6 Prozent Lohnwachstum kommt auch die Unternehmensberatung Kienbaum in einer neuen Umfrage zu den Lohnerwartungen 2025. Befragt wurden rund 250 Kunden und Kontakte im September.
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Etwas zurückhaltender zeigen sich die rund 200 Personalchefs, die die St. Galler Beratungsfirma Know gefragt hat. Die erste Lohntendenzerhebung vom August deutet auf einen Anstieg zwischen 1,3 und 1,5 Prozent hin. Die nächste Prognose wird Ende Oktober publiziert, kurz vor der jährlichen Schweizer Lohnumfrage der UBS.
Bis dann werden auch konkrete Zahlen von einzelnen Firmen oder Branchenverbänden durchsickern.
Baumeisterverband erhöht die Löhne
Bis dato sind erst einzelne Zwischenergebnisse der sozialpartnerschaftlichen Verhandlungen bekannt. Mehr Lohn dürfte es auf dem Bau geben: Die Gewerkschaften fordern allgemein 250 Franken mehr im Monat, plus eine höhere Mittagsentschädigung. Der Baumeisterverband zeigt sich offen für Verhandlungen, im Vordergrund stünden allerdings individuelle, leistungsbasierte Lohnerhöhungen.
Er verweist stolz auf die Tatsache, dass das Bauhauptgewerbe im Gegensatz zu den meisten Branchen in der Schweiz die reale Kaufkraft zwischen 2019 und 2023 vollständig gesichert habe. Seit 2019 seien die Löhne der Mitarbeitenden des Landesmantelvertrags im Schnitt um insgesamt 6 Prozent gestiegen. Ein gutes Argument, um in der Lohnrunde 2025 etwas mehr Zurückhaltung zu verlangen.
Keine realen Einbussen mehr
Insgesamt zeichnet sich also eine Verlangsamung des Lohnwachstums ab, wobei 2023 wie auch das laufende Jahr lohntechnisch gesehen Ausnahmejahre sind. Je nach Quelle und Datensatz sind die Löhne rund 2 Prozent pro Jahr gestiegen.
Diese Zeiten sind nun vorbei. Besonders in der exportorientierten Maschinen- und Tech-Industrie müssen die Unternehmen wegen der anhaltenden globalen Nachfrageschwäche den Gürtel eher enger schnallen. Auch bei den Banken hat der Wind wegen der Zinswende nach unten gedreht.
Der Teuerungsausgleich taugt als Argument immer weniger. Unterdessen liegt die Inflation bei 0,8 Prozent. Gemäss Schätzung von SNB und KOF dürfte sie nächstes Jahr noch 0,6 oder 0,7 Prozent betragen.
Das heisst aber auch: Trotz der Knausrigkeit wird die Kaufkraft von Herrn und Frau Schweizer zum zweiten Mal nach langer Durststrecke zunehmen.
Alles andere wäre ökonomisch schwer zu rechtfertigen, denn die reale Lohnentwicklung sollte die Produktivität spiegeln. Deren Wachstum wird seit Jahren auf rund 1 Prozent pro Jahr geschätzt.