Die Bioladenkette Bachsermärt schliesst ihre Filiale in Eglisau ZH Ende Juli für immer. Nicht wegen eines Rückgangs der Nachfrage: Die Filiale ist ein Ausbildungsort für Lernende mit Förderbedarf. «Jedoch haben wir im Zürcher Unterland weniger Anfragen für Lehrplätze», erklärt Patrick Honauer (58), Geschäftsführer von Bachsermärt mit insgesamt fünf Filialen. Den Laden in Eglisau brauche es deshalb nicht mehr.
Das Hauptziel der Ausbildungsstätte ist die soziale Inklusion. «Immer mehr Betriebe bieten Ausbildungsplätze mit Coaching an. So braucht es weniger Plätze im vollbetreuten Rahmen», so Honauer.
Ist diese Entwicklung in der ganzen Schweiz zu spüren? Eine Frage für Jonas Staub (49), Inklusionsexperte und Gründer der Non-Profit-Organisation Blindspot, die sich für Inklusion einsetzt – sowohl am Arbeitsplatz als auch im Wohn- und Freizeitbereich.
Herr Staub, geht es mit der Inklusion in der Ausbildung vorwärts?
Jonas Staub: Der erste Arbeitsmarkt versteht das Thema Inklusion immer besser. Jedoch nur bis zu einem gewissen Grad. Nicht bei allen beeinträchtigten Personen wird das Potenzial erkannt – dort sehe ich keine Entwicklung. Behinderten-Werkstätten werden oft als Ausweg genutzt.
Sind solche Werkstätten nicht sinnvoll?
Nicht zwingend. Das Problem ist: Menschen mit Beeinträchtigung wird ihr Leben lang reingeredet. Wenn beeinträchtigte Jugendliche zuerst auf die Sonderschule gehen und dann eine Ausbildung in einer Werkstatt machen, verpassen sie den Anschluss. Eine Inklusion bereits bei der Erstausbildung oder auf dem ersten Arbeitsmarkt wäre optimal. Es braucht Plattformen, wo Menschen mit und ohne
Beeinträchtigung sich auf Augenhöhe begegnen und voneinander lernen können. Genau das bieten wir.
Funktioniert das denn?
Ja, unsere Gastrobetriebe in Bern wie die Fabrique28 funktionieren wie normale Restaurants und finanzieren sich von selbst. Unsere beeinträchtigten Angestellten erhalten einen Leistungslohn und verdienen damit zum Teil bis zu sechsmal mehr als in einer Werkstatt. Dadurch sinken die Ergänzungsleistungen, was den Steuerzahler entlastet. Aber der grösste Hindernis-Faktor ist das System.
Warum?
Das Problem ist die Objektfinanzierung im Bereich Arbeit. Es werden die Werkstätten finanziert – und nicht die Angestellten. Menschen mit einer Beeinträchtigung haben aufgrund dieses Finanzierungssystems also keine Wahl, wo sie arbeiten wollen. Das System der Separation ist noch viel zu stark, um eine beschleunigte Entwicklung zuzulassen.
Was müsste sich am System verändern?
Eine flächendeckende Subjektfinanzierung wäre eine Lösung. Dann könnten die Menschen mit Unterstützungsbedarf selbst aussuchen, wo sie arbeiten wollen. Mein Wunsch ist, dass Firmen ihre Türen öffnen und Ausbildungsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt anbieten. Denn das wäre ein Mehrwert für die Firma und unsere Gesellschaft. Wenn eine Person drei Prozent leisten kann, sind das drei Prozent – und nicht null.
Sind Firmen denn bereit, beeinträchtigte Personen anzustellen?
Ohne Lösungen sind Firmen unwissend und auch nicht motiviert, weil sie den Mehrwert nicht sehen. Wenn wir ihnen aber diese Lösungen bieten, sind sie sehr offen. Mit unserem neuen Projekt wollen wir Firmen dabei unterstützen, Ausbildungsplätze für beeinträchtigte Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt anzubieten. Das Interesse der Firmen ist dabei gross. Wir sind auch bereits mit der IV in Kontakt und wollen im Sommer 2025 mit der Ausbildung starten. Vorbild sind unsere Gastro-Betriebe.
Wie könnte man das weiter fördern?
Das Thema Behinderung wird immer noch tabuisiert oder ist schambehaftet – Inklusion wird deswegen oft missverstanden. Ein entscheidender Akteur ist die Politik. Menschen gesondert zu fördern, ermöglicht überhaupt erst den Ausschluss aus der Gesellschaft. Deshalb muss sich die Gesetzgebung ändern. Aber auch das Mindset in der Gesellschaft: Denn Inklusion ist ein Mehrwert für uns alle.